Zu dämlich für die Late Night?

Von Martin Häusler

Munch flog in einer Cessna über Chappaquiddick. Tief drin im Gedächtnis hängt dieser merkwürdige Satz. Gesagt von Harald Schmidt Anfang der 90er. Ein norwegischer Maler überquert also mit einem Propellerflugzeug die Insel, auf der Ted Kennedy seinen Unfall hatte. Was soll das? Das ergibt keinen Sinn. Schmidt, damals gemeinsam mit Herbert Feuerstein Gastgeber von „Schmidteinander“, hatte mal eben aus dem Stegreif drei Ideen aneinander montiert und diesen Kunstsatz geboren. Genial. Gibt man ihn bei Google ein, kommt nichts. Es ist bloß eine Erinnerung an eine große Zeit, in der das Late-Night-Format am späten Sonntagabend im deutschen Fernsehen etabliert wurde.

22 Jahre sind seitdem vergangen, Harald Schmidt wechselte in dieser Zeit vom WDR zu SAT.1, zurück in die ARD, wo er zwischenzeitlich mit einem durchschnittlich begabten Brachialkomiker die Chose stemmen musste, um schließlich wieder bei SAT.1 zu landen. Dort findet nun auch seine vierte Inkarnation am 3. Mai 2012 nach nicht einmal acht Monaten ihr verfrühtes Ende und mit ihr die siebte Inkarnation von Late Night im deutschen Fernsehen – inklusive gescheiterter Versuche von Gottschalk, Koschwitz, Engelke. Roger Schawinski, als früherer SAT.1-Chef das Gegenteil eines Schmidt-Freundes, orakelt gar, dass es das nun für alle Zeiten gewesen sein würde mit Schmidt und Late Night und Deutschland.

Warum sind deutsche Fernsehmacher nicht Willens, die Late-Night-Unterhaltung tiefe Wurzeln im Programm schlagen zu lassen? Oder anders: Warum sind wir Deutschen scheinbar nicht in der Lage, meisterhafte Late Night à la Schmidt dauerhaft zu gou¬tieren, wo doch David Letterman in den USA seit 1982 läuft? Sind wir etwa zu dämlich? Sind wir nur noch Quatsch-Comedy-Club-fähig? Sind wir erfolgreich qualitätsentwöhnt worden? Schmidt selbst würde das möglicherweise bejahen. Oder liegt es an den Conférenciers selbst? Denn auch Schmidt ist nur dann wirklich in Hochform, wenn es emotional gut um ihn steht. Die Antwort steckt wohl am ehesten in der Geschichte: in der späten Geburt dieses Formats in unserer Medienrepublik.

Als Schmidt 1990 startete, funkten längst die Privaten. Während ARD und ZDF bis Mitte der 80er ruhig nebeneinander her senden, Formate etablieren und diese zur Sehgewohnheit machen konnten, tobte danach der Kampf um die Quoten. In den Hauptprogrammen wurde es unruhiger. Das Fallbeil wurde immer schneller ausgelöst, wenn es darum ging, die Schwächelnden vor neue Aufgaben zu stellen – und zwar woanders. Die Plastikproduktion für den Mainstream setzte Fernsehdeutschland unter Vollbeschäftigung. Late Night aber war nie ein Format für die Masse. Es war immer das Gegenteil der Quizshow. Es war der unangepasste Bruder des politischen Krawatten-Talks, der Verwandte im Karosakko, der irgendwann einmal in Richtung Kunst abgebogen ist. Es war das Betthupferl fürs Bildungsbürgertum. Das Bildungsbürgertum aber spielt bei der Programmgestaltung der meisten großen Sender kaum mehr eine Rolle. Erst recht nicht bei SAT.1. Allein ProSieben zeigt immer noch große Geduld mit Stefan Raabs Late-Night-Show „TV Total“. Aber die wurde auch nie vom Bildungsbürger geschaut. Sie war eine anfangs ätzende und hämetriefende Ekelecke für ungezogene Teenager, entwickelte sich jedoch zu einer kreativen Keimzelle für das Unterhaltungsprogramm eines ganzen Senders.

Hätte Schmidt die Deutschen seit 1982 mit einem in der Cessna herumfliegenden Edward Munch unterhalten, mit Playmobil-Inszenierungen deutscher Geschichte oder Talkgästen, die mal eben ein Gartenhäuschen mit Fußbällen kurz und klein schießen sollen, er wäre möglicherweise tief verwurzelt und bis heute unfällbar. So ist er ein Vagabund geblieben, ein Vertriebener, ein Getriebener, ein Opfer der Umstände, ein Brecht-Fan, der im Sinne Brechts nichts Gutes im Schlechten zustande bringen kann. Unter den unwirtlichen Bedingungen des TV-Geschäfts kann seine letzte Heimat nur in der letzten intellektuellen Diaspora liegen, in ganz wenigen Dritten, bestimmt bei 3sat, vielleicht auch bei ZDFneo, da wo sich der Narziss Stuckrad-Barre seit einigen Monaten im Late-Night-Metier ausprobieren darf. Alles andere ist abgefackelt worden, zugunsten medialer Monokulturen.

Dabei müsste klassische Late Night heute zur öffentlich-rechtlichen Grundversorgung gehören, dieser scharfe, sarkastische und zuweilen blöde Blick auf die Dinge unserer Zeit. Viel mehr als die elenden Börsennachrichten, die seit zwölf Jahren jeden Abend durch welche Gremienentscheidung auch immer ihre verlässlichen Minuten vor der „Tagesschau“ bekommen – und das, obwohl weniger als vier Prozent der Deutschen Aktionäre sind.
Herr Schmidt, tauchen Sie ab Mai nicht nur noch auf dem „Traumschiff“ auf. Da sind Sie einfach unerträglich. Das ist vergeudetes Talent. Heben Sie wieder ab, dann vielleicht wieder ganz bescheiden in einer kleinen Cessna.

Dieser Beitrag wurde unter Alle Artikel, Medien, STREIT-BAR abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort auf Zu dämlich für die Late Night?

  1. Sven sagt:

    Wer je David Letterman sehen konnte, versteht, warum Schmidts erschreckend platte oft sogar peinliche Kopie des Originals, diese bis in Sprechweise und Gestik hemmungslos das amerikanische Late-Night-Urgestein plagiierenden Auftritte sich nicht auf Dauer etablieren konnten. Talmi wirkt eben immer billig, selbst wenn der echte Goldschmuck nicht daneben liegt. Schade nur, dass einem anderen US-Import im deutschen Fernsehen, dem täglichen Minderheitenreport von den Börsen, ein ähnliches Schicksal bislang erspart geblieben ist.