DEUTSCHLAND-Tagebuch: Wut und Mut in Plauen

Von Michael Kraske

debattiersalon: Deutschlandfahne, schwarz-rot-gold,Marion Kraske @ 2014Gestern war ich zu einer Podiums-Diskussion in Plauen eingeladen. Es sollte um die Studie „Gespaltene Mitte“ der Friedrich Ebert Stiftung gehen. Neben der Bühne hingen Lithographien von Pablo Picasso, die irgendwer für eine Ausstellung in die sächsische Provinz geholt hat. Der Saal im urigen Malzhaus war voll. Die Sozialwissenschaftlerin Daniela Krause arbeitete sich durch allerhand Folien, die mit Zahlen und Balken belegten, dass zwar kaum noch Deutsche ein geschlossen rechtsextremes Weltbild teilen, einzelnen Minderheiten gegenüber aber massive Vorurteile haben. Feindlichkeit gegenüber Muslimen und Geflüchteten ist hierzulande mehrheitsfähig geworden. Politikwissenschaftler Stefan Kausch steuerte die Ergebnisse des „Sachsen-Monitors“ bei, wonach die Hälfte der Sachsen Deutschland als „in gefährlichem Maß von Ausländern überfremdet“ empfindet und der Demokratie und den Politikern, die wir haben, massiv misstraut.

Als die Moderatorin nach den verstörenden statistischen Befunden erste Fragen zur wissenschaftlichen Methodik der Studien zulässt, meldet sich ein kleiner Mann im hellblauen Hemd zu Wort. Seine Stimme ist zu laut für das Mikro, in das er spricht. Mit jedem Satz wird er eindringlicher und angefasster. Er berichtet von einer Hausbesitzerin, der eine Verordnung vorschreibe, eine ganz bestimmte, offenbar teure Abwasseranlage einzubauen. Da würden Lebensleistungen zerstört. Das sei die Demokratie. Der Mann spricht über die Demokratie wie über etwas sehr Ekelhaftes. Er wirkt geradezu angewidert. Seine Mimik ist pure Verachtung. Die Moderatorin erinnert ihn daran, dass sie ja eigentlich um eine Frage zur Methodik der Studien gebeten habe, aber der wütende Mann ist jetzt nicht zu halten. Er erzählt vom Sohn eines Bekannten, der nach Mecklenburg-Vorpommern gezogen sei und sich dort den Nazis angeschlossen habe, mit denen er jetzt bundesweit aktiv sei. Er spricht es nicht aus. Aber was er sagt, lässt sich ungefähr auf folgende Formel bringen: Weil „die Politik“ und „die Demokratie“ Hausbesitzer dazu zwingt, wahnwitzige Abwasseranlagen zu installieren, muss man sich nicht wundern, dass junge Menschen zu Nazis werden.

Wut und Ohnmacht über Ungerechtigkeit

Da der zornige Mann keine Frage gestellt hat, bekommt er vom Podium auch keine Antwort, sondern steht auf und verlässt den Saal. Unfreiwillig hat er mit seiner Wutrede bestätigt, was nicht nur Studien andeuten, sondern auch die politische Entwicklung seit den Anfängen von Pegida: diffuser Ärger über die Politik, die Politiker, die Demokratie und das System scheinen rechtsradikale Einstellungen zu befördern. Ich hätte den Mann gern gefragt, warum er offenbar glaubt, dass es geradezu zwangsläufig ist, sich Nazis zuzuwenden, wenn man demokratisch zustande gekommene Entscheidungen für falsch hält. Ob er ernsthaft glaubt, dass sich der Führer in einem stramm von oben regierten Führerstaat für die Abwasserverordnung in Plauen interessieren würde. Meine Fragen bleiben ungefragt.

Wäre der Mann geblieben, er hätte einiges erfahren können an diesem Abend. Von der Frau, die sich mit bebender Stimme ans Podium wendet. Ihr Beitrag ist mehr Appell als Frage. Flehentlich, fast verzweifelt spricht sie über Hartz IV und fehlende Würde. Und warum niemand diese Ungerechtigkeit korrigiere. Sie trifft einen Ton und ein Thema, das viele im Saal umzutreiben scheint. Das Bedürfnis, sich den Unmut von der Seele zu reden. Und das Gefühl, dass es ungerecht zugeht in diesem Land. Dass denen, die nicht viel haben, zu viel zugemutet wurde und wird. Von Schröder, Rot-Grün, bis heute.

Bürgerkrieg oder Beteiligung

Es ist spät geworden, seit zweieinhalb Stunden wird zugehört und diskutiert, nach der Wortmeldung der verzweifelten Frau sollte eigentlich Schluss sein. Aber es drängt eine Zuhörerin zu widersprechen. Es sei leicht, alles auf die Politiker zu schieben. Sie solle sich doch lieber selbst politisch engagieren.

Ein anderer Zuhörer steht auf und erzählt, dass er in seiner Heimatstadt seit einem Jahr 45 Flüchtlinge betreut, ehrenamtlich. Erst sei er skeptisch gewesen, aber heute würde er das jedem empfehlen. Alle fühlten sich wohl, die Einheimischen und die Geflüchteten. Die Kinder hätten in der Schule schnell Deutsch gelernt. Er selbst habe gelernt, dankbar zu sein. Für das, was er habe und geben könne. Es wird leise im Saal. Gerade hatte ein Besucher noch gefragt, ob es denn Bürgerkrieg gebe nach der Bundestagswahl. Das ist jetzt weit weg. Der ehrenamtliche Helfer erklärt aus eigener Erfahrung, was eine demokratische Gesellschaft ausmacht: handeln, helfen, integrieren. Es geht auch anders. Demokratie ist anstrengend, nervig, quälend langsam, aber es geht. Ganz ohne Bürgerkrieg.

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