Merkel oder Schulz: Wahl egal?

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Im TV-Duell wurden die wichtigsten Zukunftsfragen konsequent ausgeblendet. Anstelle quälenden Kleinkleins hätten Merkel und Schulz sagen sollen, wie sie gegen die doppelte Spaltung im Land vorgehen wollen.

Von Michael Kraske

Ist ja irgendwie auch egal. Hü oder Hott. Merkel oder Schulz. Rot oder Schwarz. Am Ende ist alles Große Koalition. So in etwa lassen sich viele Kommentare nach dem TV-Duell von Angela Merkel und Martin Schulz lesen. Die ganz Lustigen nannten das Duell ein Duett. Ärgerlich an den 90 Minuten waren nicht die Verbalholpereien des Herausforderers. Auch nicht die souverän vorgetragenen Allgemeinheiten der Kanzlerin. Wirklich schlecht war, dass weder die wichtigsten Probleme des Landes noch konkrete Lösungen dafür diskutiert wurden. Schuld daran sind die vier Moderatoren und Martin Schulz, der es nicht geschafft hat zu sagen, was mit ihm grundsätzlich anders werden soll und wie er das machen will.

Befeuert von den rechtspopulistisch inspirierten Fragen des SAT1-Provokateurs Claus Strunz verhedderten sich Merkel und Schulz erst mal in einem Wettbewerb, wer denn der bessere Abschieber sei, als wäre Deutschlands Zukunft bereits gewonnen, wenn nur all die gefährlichen, nichtsnutzigen Migranten schnell außer Landes geschafft würden. Tatsache ist, dass Abschiebungen aufwendig und schwierig sind. Und dass sie gemessen an den gesellschaftlichen und politischen Zukunftsaufgaben eine Marginalie sind. Fast eine Dreiviertelstunde lang mussten sich Merkel und Schulz an AfD-inspirierten Angstfragen abarbeiten, die nichts, aber auch gar nichts dazu beitrugen zu erfahren, wie künftig Schulen und Steuern, Pflege und Renten, Arbeit und Investitionen organisiert werden sollen.

Wie geht Gerechtigkeit?

Wie können die vielen Geflüchteten Teil dieser Gesellschaft werden? Was muss außer Sprachkursen noch alles getan werden, damit möglichst viele von ihnen möglichst schnell Deutsch sprechen, Ausbildung und Arbeit bekommen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können? Wie also soll Integration konkret organisiert werden? Dazu gestern keine Frage. Keine Antworten.

Martin Schulz ist mit dem sozialdemokratischen Klassiker „soziale Gerechtigkeit“ in seine rohrkrepierende Kanzlerkandidatur gestartet. Er hat gestern nicht einmal versucht zu erklären, wie er das Land gerechter machen will. Anstatt sich im Laufe des TV-Duells in Diesel-Skandal, PKW-Maut und einer völlig intransparenten Steuerentlastungs-Modellrechnung zu verheddern, hätte er wenigstens einmal sagen sollen, was sein konkreter Plan für ein gerechteres Deutschland ist. Andere Schulen? Gerechtere Steuern? Bessere Kitas?

Schulz fehlten die wichtigen Worte

Seine SPD pflastert Werbeflächen mit dem Slogan zu, dass eine Gesellschaft nur dann gerecht sei, wenn alle die gleichen Chancen haben. Das trifft tatsächlich einen Kern des deutschen Problems: Wer oben ist, bleibt oben. Inklusive Kinder. Und wer unten ist, hat keine realistische Chance aufzusteigen. Ebenfalls Kinder inklusive. Doch welche Forderungen und Pläne leitet Schulz daraus ab? Im TV-Duell fand er dazu keine Worte.

Die gesellschaftliche Spaltung betrifft aber nicht nur die Chancen, sondern auch die Einkommensverteilung. Die unteren 40 Prozent haben in den vergangenen Jahrzehnten verloren. Die Reichen haben dagegen exorbitant gewonnen. Die Lebensverhältnisse sind für diejenigen mit Mini-Jobs, Zeit- und Leiharbeit und ohne Job prekär. Die vielbeschworene Mitte fürchtet den Abstieg. In den Großstädten explodieren die Mieten. Aus Angst und Unsicherheit wachsen Abwertung, Hass und Gewalt.

Hinter dem erfreulichen Rückgang der Arbeitslosenzahlen stecken massenhaft prekäre Existenzen und Existenzängste. Die Zahl der Kinder, die von Armut bedroht sind, wächst. Welche Angebote haben Merkel und Schulz für die untere Mitte? Für Menschen ohne oder mit schlechtbezahlten Jobs? Nach dem TV-Duell lautet die Antwort: Keine Ahnung. Das ist zu wenig. Auch von Merkel. Vor allem von Schulz.

Die doppelte Spaltung

Die deutsche Gesellschaft ist längst nicht mehr nur in oben und unten gespalten. Die viel bedrohlichere Spaltung ist eine ideologische und kulturelle. Der Riss verläuft zwischen einer Mehrheit, die eine moderne, liberale und demokratische Gesellschaft will, und einer lauten und aggressiven Minderheit, die das Land im Sinne einer völkisch-nationalistischen Ideologie verändern will.

Der Aufschrei von Rechts ist längst mehr als Populismus im luftleeren Raum, sondern vergiftet das gesellschaftliche Klima und verändert gesellschaftliche Prozesse. Die AfD arbeitet unablässig daran, die Grenze des Sagbaren über rassistische Hassgrenzen hinaus zu verschieben und geht mit politischen Forderungen hausieren, die schlicht gegen das Grundgesetz verstoßen. Rechte Täter lassen menschenverachtenden Worten Gewaltstraftaten folgen. Mancherorts können sich deren Opfer nicht darauf verlassen, dass die Polizei mit der gebotenen rechtstaatlichen Härte und Konsequenz gegen diese Täter vorgeht.

Gegen diese Spaltungsprozesse braucht es ein neues gesellschaftliches Leitbild und konkrete Richtungsentscheidungen. Wer soll künftig mehr Steuern zahlen und wer weniger? Wollen wir eine Zweiklassen-Medizin oder die beste Versorgung für diejenigen, die sie am nötigsten brauchen? Wollen wir eine Zweiklassen-Gesellschaft, in der allein die deutsche Herkunft über Wert und Privilegien von Menschen entscheidet? Wollen wir Schulen, die versuchen, jeden mitzunehmen oder solche, die den Status der Eltern zementieren? Wollen wir Arbeit, die absichert und von der man leben kann oder die größtmögliche Flexibilität für Arbeitgeber? Wollen wir Donald Trump gefallen und die Rüstungsausgaben massiv erhöhen oder stattdessen die Entwicklungshilfe ausbauen? Wollen wir mehr oder weniger europäische Zusammenarbeit?

Es gibt Alternativen

Die wichtigste Aufgabe der künftigen Bundeskanzlerin (wer denn sonst?) besteht darin zu integrieren. Nicht nur Migranten, sondern vor allem diejenigen Deutschen, die sich von der Demokratie abwenden. Dazu braucht es attraktive Angebote für unterschiedliche Zielgruppen. Wer 40 Stunden malocht, damit aber nicht über die Runden kommt, muss entlastet werden. Wer als Kind zu Hause nicht genügend gefördert wird, braucht die intensive Unterstützung von Erzieherinnen und Lehrern, um Defizite zu korrigieren und zu fördern, was sonst verkümmert. Es macht einen großen Unterschied, ob am Ende die FDP, Die Linke oder Die Grünen stark sind. Es gibt Unterschiede. Es gibt Alternativen. Nur die Partei, die sich selbst so nennt, ist keine.

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