Verfassungsschutz: Neues vom tiefen Staat

Von Michael Kraske

Der niedersächsische Verfassungsschutz hat über Jahre die fleißigste, mutigste, standhafteste und am besten über den deutschen Rechtsextremismus informierte Journalistin des Landes, Andrea Röpke, bespitzelt. Er tat dies unter dem Innenminister Uwe Schünemann von der CDU, der sich gern als harten Hund stilisierte, wozu offenbar auch der Lauschangriff auf die Pressefreiheit passte. Als Andrea Röpke durch ihren Anwalt nachfragen ließ, ob das Amt personenbezogene Daten über sie habe, erhielt sie die Auskunft, dass es über sie keine Einträge gebe. Die Daten waren nach der Anfrage gelöscht worden. Das Amt hat sie nicht nur beobachtet, sondern auch getäuscht. Auf Machtmissbrauch folgte Vertuschung.

Andrea Röpke ist kein Einzelfall. Auch andere Journalisten wurden überwacht. Ob darunter auch Ronny Blaschke ist, der versierteste Kenner rechtsextremer Strukturen und Ereignisse im Sport, kann die neue Führung der Behörde derzeit nicht sagen. Erst informierte sie Blaschke darüber, dass er ausspioniert worden sei, später war von einer möglichen Verwechslung die Rede. Ein Stück aus dem real existierenden Tollhaus deutscher Geheimdienste. Der Vorgang ist ein weiterer Beleg dafür, dass der Verfassungsschutz in dieser Form nicht weiter existieren darf. Dass demokratische Kontrolle durch die Parlamente so wie bisher praktiziert nicht funktioniert. Und dass die von uns bezahlten Wächter der Demokratie willkürlich zum Feind erklären können, wen sie wollen, ohne dafür juristisch belangt werden zu können. Es muss etwas passieren und man fragt sich, wann Journalisten, Verbände und Politiker aus ihrer Lethargie erwachen, wirkungsvollen Protest organisieren und endlich Konsequenzen ziehen.

Wen oder was die Bundes- und Landesämter für Verfassungsschutz ausspionieren dürfen, ist durch Verfassungsschutzgesetze geregelt. Darin ist eindeutig die Aufgabe festgelegt, gegen Bestrebungen vorzugehen, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten. Dazu dürfen auch personenbezogene Daten erhoben werden. Allerdings ist gesetzlich auch geregelt, wie Betroffene darüber informiert werden müssen. Journalisten zu überwachen und Akten über sie anzulegen, gehört ganz eindeutig nicht zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes. Auch dann nicht, wenn diese Journalisten entweder über Rechtsextremisten recherchieren oder bei ihren Recherchen mit Leuten zu tun haben, die der Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich oder demokratiegefährdend einschätzt. Journalisten gehören zu den besonders geschützten Berufsgruppen. Die Praxis des niedersächsischen Verfassungsschutzes hat diesen Grundsatz Jahre lang klammheimlich und bewusst missachtet.

Der kritische Journalist – ein Staatsfeind

Das Medium-Magazin kürte Andrea Röpke zur Journalistin des Jahres, weil sie durch ihre hartnäckigen und gefährlichen Frontrecherchen einen tiefen Einblick in jene Netzwerke liefert, die eigentlich Verfassungsschützer transparent machen sollten. Andrea Röpke macht das, was eigentlich der Verfassungsschutz leisten muss: Die Gesellschaft über die Aktivitäten der braunen Revolutionäre, Gewalttäter, Vordenker und Kämpfer umfassend zu informieren.

Neben ihrem formal schützenswerten Status als Journalistin gebührt der Persönlichkeit Andrea Röpke der gesellschaftliche Respekt gerade auch derer, die nicht so genau hinsehen, wie Neonazis allerorten Alltagsmacht erobern. Dagegen galt sie unter einer christdemokratischen Landesregierung offenbar allein deshalb als Staatsfeindin, weil sie den lange ignorierten Rechtsextremismus thematisierte. Diese Paranoia passt zu dem absurden, innerhalb der Union gepflegten Extremismusbegriff, der Rechts und Links gleichsetzt und reflexhaft einfordert, linke Staatsfeinde automatisch mit anzuprangern, wenn man sich schon intensiv mit den Rechten beschäftigt. Wer nur über Nazis berichtet, setzt sich dem konservativen Verdacht aus, selbst ein Linksextremist zu sein. Dieser grobe Unfug bestimmt das Handeln von Bürgermeistern, CDU-Landespolitikern, offenbar aber auch das von Amtspersonen.

Andrea Röpke belegt mit ihrer Arbeit seit Jahren, wie militant, vernetzt, aktionistisch und gefährlich die rechtsextreme Szene in Deutschland ist. Mit drastischen Beispielen und Bildern. Ihre Darstellungen der Kameradschaftsszene sind Standardwerke für jeden Journalisten, der ernsthaft zum Thema recherchiert. Andrea Röpke hat lange vor Auffliegen des NSU-Terrors gezeigt, dass die Gefahr in diesem Land nicht diffus von „Extremisten von rechts und links“ ausgeht, wie CDU-Rhetorik glauben machen möchte, sondern von fanatischen, ideologisch gefestigten Neo-Nationalsozialisten, die auf ihrem Weg zu einer reinrassigen, nationalistischen, völkischen Gesellschaft über Leichen zu gehen bereit und in der Lage sind. Wer in Röpkes Arbeit „Extremismus“ erkennt, ist selbst ein Staatsfeind. Ihm muss das Handwerk gelegt werden.

Gesetzeswidrig, aber nicht strafbar

Der neue, beinahe übersehene Skandal zeigt einmal mehr, dass die parlamentarische Kontrolle der Verfassungsschutz-Ämter derzeit nicht funktioniert. Die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommissionen (PKK) erfahren nur, was die Verfassungsschützer ihnen zu erzählen bereit sind. Die Verweigerungshaltung von Verfassungsschützern im Berliner NSU-Untersuchungsausschuss ist zynische Demokratieverachtung. Eine Demokratie darf sich aber Schattenreiche, die unkontrolliert nach eigenen Regeln agieren, so wenig leisten wie Staatsdiener, die nicht den Primat der Demokratie und ihrer Organe anerkennen.

Juristisch sind staatlich finanzierte Widerwärtigkeiten wie die Überwachungsaktion gegen Andrea Röpke kaum zu ahnden. Ihr Anwalt hat jetzt Strafanzeige wegen Urkundenunterdrückung gestellt, weil sie über die erhobenen personenbezogenen Daten nicht informiert worden war. Das Sammeln von Daten und das Ausspionieren unbescholtener Bürger selbst erfüllt derzeit keinen Straftatbestand, ist weder Verfolgung gegen Unschuldige noch Rechtsbeugung, weil damit etwa Delikte von Richtern geahndet werden sollen, nicht die von wild gewordenen Verfassungsschützern. Viel mehr als die mäßige Aufregung in wenigen Zeitungsberichten brauchen die Täter also nicht zu fürchten.

Angriff auf die Pressefreiheit

Was muss jetzt passieren? Politisch müsste Transparenz und Überprüfbarkeit der Arbeitsweise in den Verfassungsschutz-Ämtern geschaffen werden, die rechtswidrige Alleingänge in den Behörden künftig erschweren. Dazu wird es nicht kommen. Allein der Hinweis auf die notwendige Geheimhaltung wird jede parlamentarische Initiative ausbremsen. Zudem müsste die Gesetzgebung so verändert werden, dass die offenkundige Verletzung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben des Verfassungsschutzes einen Straftatbestand erfüllen.

Öffentlich sind jetzt die Redaktionen und Journalistenverbände gefragt, den Angriff auf die Pressefreiheit nicht träge und gelangweilt zur Kenntnis zu nehmen, sondern zu skandalisieren. Viele sind von ihrer Haltung, dem Arbeitsethos und den Strukturen weit weg von einer wie Andrea Röpke. Die geht nicht nur hin, wo es weh tut, sondern auch, wo es bitter nötig ist. Im Gegensatz zu jenen, die den Glanz der Haare von Beate Zschäpe im Gerichtssaal thematisieren. Ein staatlich legitimierter Angriff auf Journalisten ist ein solch unerhörter Tabubruch, dass man ernsthaft an der Urteilsfähigkeit jener Kollegen zweifeln muss, die diesen Vorgang bislang ignorierten. Noch weiß niemand, ob Niedersachsen die Ausnahme oder der Regelfall ist.

Der V-Mann Tarif

Unterdessen hat der Journalist Dirk Laabs für das ARD-Magazin fakt die Identität des V-Manns „Tarif“ enthüllt. Dessen Akte war vom Bundesamt für Verfassungsschutz nach Auffliegen der NSU-Terrorzelle vernichtet worden. Bei „Tarif“ handelt es sich offenbar um Michael S., der seit zehn Jahren in Schweden lebt. S. bewegte sich offenbar im Umfeld des Thüringer Heimatschutzes und hatte wohl Kontakte zu Combat 18, dem Terrorarm des Blood & Honour-Netzwerks. Dieser V-Mann predigte den Recherchen zufolge den Untergrund-Kampf und war Zuträger des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Das bedeutet, dass der Verfassungsschutz über die Terrorbestrebungen innerhalb der Szene informiert gewesen sein muss. Auch die von Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft verbreitete Darstellung, beim NSU habe es sich um ein isoliertes und singuläres Phänomen gehandelt, gerät mehr und mehr ins Wanken. Unhaltbar auch die Darstellung, die vernichteten Akten hätten keinen NSU-Bezug. Ein Verfassungsschutz, der mit Nazis, die die Demokratie gewaltsam beseitigen wollen und Menschen zu ermorden bereit sind, zusammen arbeitet und zugleich kritische Journalisten überwacht. Das ist die Horrorvorstellung, die offenbar deutsche Realität ist.

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