Von Marion Kraske
Österreich hat gewählt – und wie in Deutschland auch, bringt das Wahlergebnis eine historische Wendung mit sich: Während die liberale FDP, seit Bestehen der Bundesrepublik Mehrheitsbeschaffer, programmatisch geschwächt und personell ausgezehrt an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte und ihr Dasein nun als bedeutungslose Splittertruppe mit Auftrag zur Grunderneuerung fristen darf, vollzieht sich in Österreich das genaue Gegenteil: Hier stellt der Einzug von Neos in den Nationalrat eine bedeutsame Zäsur da. Erstmals seit 1999 hat eine liberale Gruppierung, die den Namen auch verdient, die Möglichkeit, die österreichische Bundespolitik aufzumischen. Es wurde Zeit!
Die neue Kraft wird der politischen Kultur im Lande, vor allem aber der politischen Hygiene gut tun. Liberale Überzeugungen (weniger Staat, Bewegungsfreiheit, vor allem aber die gesellschaftsliberale Komponente mit einem Denken, das sich an Freiheits- und Grundrechten jedes Einzelnen – auch von Zugewanderten! – orientiert) waren bislang weiße Flecken auf der politischen Landkarte Österreichs. Schlimmer noch: Durch die “Freiheitlichen” und ihre erbärmliche Politik der Hetze wurde der Freiheitsbegriff gnadenlos entkernt und seiner Sinnhaftigkeit beraubt. Vor diesem Hintergrund ist der Neos-Einzug in den Nationalrat für die österreichische Politik ein doppelter Gewinn.
Denn mit der neuen Partei wachsen auch die Möglichkeiten hinsichtlich einer Regierungsbildung. Dies ist umso bedeutender, als dadurch das verkrustete Parteiensystem, das über Jahrzehnte eine Dominanz von ÖVP und SPÖ beförderte und die fortgesetzte Ödnis großer Koalitionen zementierte, aufgebrochen wird. Die Schmuddelkinder der FPÖ als mögliche Mehrheitsbeschaffer verlieren an Bedeutung – auch wenn ihr Zugewinn von knapp vier Prozentpunkten zeigt, wie populär rechtsradikales Gedankengut fünf Jahre nach dem Tode Jörg Haiders noch immer ist. Jeder fünfte Österreicher stimmte am Sonntag für Heinz-Christian Strache, dem – schon vergessen? – laut einem Gerichtsurteil aus 2004 eine Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut bescheinigt werden darf. Ein solches Wählerverhalten müsste alle demokratisch gesinnten Kräfte alarmieren. Nicht so in Österreich.
Anti-Europa-Prediger
Dass mit dem irrlichternden Frank Stronach neben Strache nun ein weiterer Anti-Europa-Prediger im Parlament sein Unwesen treiben kann, passt ins Bild: EU-Kritik gehört landauf, landab zum guten Ton, obwohl Österreich ein einer der Hauptprofiteure der EU-Osterweiterung ist. Hier die schöne, heilige Heimat, dort das böse Pestgeschwür namens EU. Dem haben auch SPÖ und ÖVP bislang nichts entgegengesetzt – uninspirierter, als etwa Kanzler Werner Faymann bislang in Brüssel auftrat, geht es wohl kaum.
Auch in anderen Bereichen mangelt es der österreichischen Politik bislang an klaren Bekenntnissen: In Deutschland haben sich die demokratischen Parteien zuletzt unzweideutig gegen die neu gegründete rechtsgesinnte Alternative für Deutschland (AfD) gestellt, die ebenfalls einen Anti-Euro-Kurs fährt und krude Thesen zur Migration unters Volk bringt, ganz wie die rechtsextreme NPD.
In Österreich hat sich dagegen über Jahre eine fatale Wurschtigkeit breitgemacht. EU-Bashing? Ausländerbeschimpfung? Islamhetze? Alles nicht so schlimm! Trotz seiner Blut- und Abendland-Propaganda wird Heinz-Christian Strache absurderweise behandelt wie ein ernst zu nehmender Politakteur. Dass seine Partei ausländerfeindliches und anti-islamisches, somit rechtsextremes Gift versprüht, wurde im politischen Alltag bislang kaum problematisiert. Auch die Großparteien haben eine konsequente inhaltliche Abgrenzung zu den demokratiegefährdenden Thesen stets vermieden. Im Gegenteil: ÖVP-Chef Spindelegger will gar eine Koalition mit den rechten Demokratiefeinden derzeit nicht ausschließen. Erbärmlich? Erbärmlich!
Angesichts dieser Verharmlosung trägt die politische Klasse Mitschuld daran, dass am rechten Rand ressentimentgetriebener Ungeist grassiert, der – einer Hydra gleich – mit immer neuen Köpfen reüssieren kann. Was Österreich nach dieser Wahl dagegen gut zu Gesicht stünde, wäre ein parteienübergreifendes Bündnis gegen Europa-Hass und Rechtsextremismus, ein Aufstand der Anständigen. Womöglich kann ja Neos diesen geistig-moralischen Neustart anschieben. SPÖ und ÖVP jedenfalls wären gut beraten, dieser Anständigkeit eine Chance zu geben. Nur so ließe sich der endemische Rechtsextremismus im Land nachhaltig eindämmen.
Der Beitrag erschien zuerst am 30. September im Wiener Standard.