Die Grünen: Wer bin ich und wenn ja, mit wie vielen? | #btw13

Von Michael Kraske

politikblog debattiersalon | #btw13 Wer sind die Grünen? Wahlplakat Grüne Berlin | Foto: Marcus Müller © 2013 Wenn man Kommentaren öffentlich-rechtlicher Journalisten wie dem von Urgestein Hanni Hüsch zuhört, dann finktioniert Politik so: Man setzt sich als Partei nach einer verlorenen Wahl zusammen und mopelt aus, was die meisten Wähler von einem wollen, verpasst sich neue Inhalte und ein neues Image und schwups gewinnt man die nächste Wahl. Darauf laufen in etwa die Ratschläge hinaus, die den Grünen empfehlen, „bürgerlich“, weniger „links“ und „konservativer“ zu werden. Schließlich sei die Mehrzahl der Grünen-Wähler ja inzwischen auch spießbürgerlich und konservativ. Wenn die Grünen diesem Rat folgen, werden sie der FDP in den Abgrund folgen.

Natürlich ist der grüne Markenkern Umweltschutz. Die Bewahrung von Natur und der schonende Umgang mit Ressourcen haben tatsächlich eine wertkonservative Note. Aber eine echte Energiewende herbeizuführen, indem man die regenerativen Energien offensiv und gegen massive Widerstände fördert, bleibt ein geradezu revolutionärer Akt, weil man mächtige Lobby-Interessen der Stromriesen überwinden muss. Grün sein darf sich nicht darin erschöpfen, den Plastikmüll sauber trennen und die Schöpfung bewahren zu wollen. Eine Partei, die auf “saubere Heimat” machen würde, wäre selbst ein Produkt für die gelbe Tonne.

Aber abgesehen von Energie und Strom und Mülltrennung? Wer oder was sind die Grünen? Die Grünen sind, wenn sie gut sind, eine linksliberale und vor allem emanzipatorische Partei, die sich dafür einsetzt, diese Gesellschaft weiter zu demokratisieren. Die für Vielfalt, Gleichberechtigung, Toleranz, Menschenwürde und die Bürgerrechte eintritt, die von NSA, aber auch von Alltagsrassisten in Behörden, Parteien, Gerichten und Landesregierungen kontinuierlich verletzt werden. Das ist kein randständiger Kleckerkram, sondern trifft die Identität und das Selbstverständnis eines aufgeklärten, großstädtischen Bürgertums. Diese Demokratisierer müssen die Grünen bleiben und noch stärker werden.

Der pseudo-grüne Spießbürger

Dazu gehört auch, dieses Land sozial gerechter und in seiner Einkommensverteilung weniger ungleich zu machen. Das geht nur über sinnvolle Umverteilung mit dem Steuerhebel. Doch damit sind die Grünen ja gerade vor die Wand gefahren. Also alles über Bord schmeißen und stattdessen auf Politik für Besserverdienende umsatteln? In der Tat gibt es offenbar einen gut verdienenden Typus von Pseudo-Gutmensch, der zwar gern die teure, nachhaltig produzierte Öko-Kiste bestellt, aber sein grünes und soziales Gewissen gern auch wieder ausschaltet, wenn es zu doll ans eigene Geld geht. Solidarität ja, aber nur, wenn sie nicht weh tut und nichts kostet. Das ist, zugegeben, ein Dilemma für die Grünen. Vielen gut verdienenden Grünen-Sympathisanten ist der eigene Haushalt wichtiger als der des Bundes. Warum sollte das mit dem Fressen und der Moral bei den Grünen anders sein.

Der größte Fehler wäre aber, diesen Egoismus zum Parteiprogramm zu erheben, um sich für eine diffuse Mitte wählbar und für Schwarz-Grün windschnittig zu machen. Die FDP ist auch deshalb abgesoffen, weil sie soziale Kälte und Lobby-Politik für Reiche als unabänderlichen Wesenskern bis zum bitteren Ende durchexerziert hat. Gegen jede politische Vernunft und gesellschaftliche Verantwortung. Es gibt eine weit verbreitete und tiefe Sehnsucht nach sozialem Ausgleich in Deutschland, nur ist niemand freiwillig bereit, mit der eigenen Kohle dazu beizutragen. Vor diesem Dilemma stehen nicht nur die Grünen, aber auch.

Die Grünen haben eine Chance als Avantgarde-Partei der innovativsten Konzepte. Als Vorreiter für die gute Sache. Was Steuern, Rente, Bildung und Gesundheit angeht, können kreative, neue Modelle das Alleinstellungsmerkmal sein, das sie für die Mülltrenner und Tierliebhaber und Autoteiler und Bio-Esser wählbar macht. Die grüne Klientel will nämlich beides: Eine gerechte, grüne, tolerante, multikulturelle, moderne Gesellschaft, aber auch ein gut gefülltes Konto, um notfalls ohne schlechtes Öko-Gewissen nach New York fliegen zu können. Der grüne Wähler ist genauso widersprüchlich, inkonsequent und verlogen wie der CDU- oder der SPD-Wähler. Aber es wäre ein grandioser Irrtum, die Egoismen und Inkonsequenzen des aufgeklärten Neo-Bürgertums zum roten Faden grüner Politik zu machen.

Stimmvieh für Miss Germany?

Es gibt klaffende, gähnende Löcher, in denen sich die Grünen breit machen können: Der NSA-Schnüffelwahnsinn, der NSU-Verfassungsschutzskandal, die für viele noch immer ungeklärte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Bildung in verrottenden Schulen oder Containern, die von Merkels CDU schludrig und fahrlässig vernachlässigte Integration von Migranten, die mit dem tief verwurzelten Alltagsrassismus in der Gesellschaft korrespondiert. In all diesen Politikfeldern werden kluge grüne Antworten dringend benötigt. Und die lustlos-technokratische Europapolitik von Angela Merkel lässt ebenfalls Raum für alternative, angstfreie und selbstbewusste Europa-Konzepte. Europa aus Überzeugung, nicht Euro-Rettung, weil man muss.

Eine schwarz-grüne Koalition wäre für die Grünen bei den gegebenen Machtverhältnissen nur um den Preis der nahezu vollständigen Selbstaufgabe zu haben. Weder lässt sich gegen die CDU grüne Umwelt- und Energiepolitik durchsetzen, noch lässt sich die Gesellschaft mit dem hybrisverdächtigen Horst Seehofer demokratischer, toleranter und vielfältiger machen. Bevor sie auch nur daran denken sollten, sich unter die Fittiche von Angela Merkel zu begeben, müssen sich die Grünen daran machen, neue Ideen für ihre Ziele auszubrüten. Da dürfen dann gern pfiffigere Pläne rauskommen als der “Veggi-Day”. Kern, Haltung und Identität sind da. Die dürfen nicht mit Claudia Roth und Jürgen Trittin entsorgt werden. Grundsätzlich müssen auch die Grünen bereit sein, Koalitionen mit allen anderen demokratischen Parteien einzugehen. Notfalls auch mit den Schwarzen, ja. Wenn es denn passt und Sinn macht. Als grünes Stimmvieh sollten sie sich aber zu schade sein. Die neu ausgerufene „Miss Germany“ muss eine Kanzlermehrheit zustande bringen. Nicht die Grünen.

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