Mladic vor Gericht: Der Geist der Vergangenheit

Von Marion Kraske

Er gefällt sich nach wie vor als Mann der großen Geste. Als er im vergangenen Jahr das erste Mal in Den Haag dem Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien vorgeführt wurde, salutierte Ratko Mladic mit der linken Hand, ein alter Mann, dessen andere Körperhälfte gelähmt zu sein schien. „Ich bin General Ratko Mladic“, erklärte der alte Mann, trotzig wie ein Kind. Keine Einsicht, schon gar keine Reue, auch nach all den Jahren nicht.

Ganz im Gegenteil, die Vorwürfe gegen ihn im Zusammenhang mit dem Völkermord im bosnischen Krieg nennt der ehemalige Serbengeneral „monströs“ und „abscheulich“. Es ist wohl die Perversion eines Massenmörders, die sich Bahn bricht, die ihn antreibt, trotz hinläglicher Beweislage, sich selbst, den Schlächter vom Balkan, zum Opfer zu stilisieren.

Nun wird Mladic endlich der Prozess gemacht, und wieder wartet er mit einer Gestik auf, die erkennen lässt: Er ist im Geiste noch da, wo gemetzelt und gemeuchelt wurde. Mit hoch gerecktem Daumen, dazu applaudierend präsentiert er sich den Haager Richtern, die Einlassungen einer Zeugin beantwortet er mit halsabschneidender Geste. Sollte Mladic den Prozess gesundheitlich durchstehen – das frühe Ableben von Slobodan Milosevic als einem der Hauptdrahtzieher der Kriege war eine Tragödie für die internationale Gerichtsbarkeit – wird er, der überzeugte Erfüllungsgehilfe großserbischer Strategiepläne, den Gerichtssaal wohl kaum als freier Mann verlassen.

Doch kann ein „lebenslang“ für einen 70-Jährigen all das aufwiegen, was er angerichtet hat? Kann es den Phantomschmerz aufheben, der die Region des ehemaligen Jugoslawien auch heute noch, mehr als zwei Dekaden nach Kriegsende, schüttelt? Kann es die Gräben zuschütten, die zwischen den Ethnien noch immer existieren, kann es die schrecklichen Wunden einer ganzen Region heilen?

Tatsächlich wäre eine Verurteilung Mladics mehr als ein symbolkräftiger Akt. Der Geist der internationalen Gerichtsbarkeit, wonach Despoten und ihre blutrünstigen Handlanger für ihre Taten ohne Gnade belangt werden, auch Jahrzehnte nach ihrem Tun, würde siegen über den Geist der Vergangenheit. Über den Ungeist der vermeintlichen Superiorität einer Ethnie, in dem Falle der Serben, die dem brachialen Völkermord Bahn brach und außer Tod und Vertreibung nichts aber auch nichts hinterließ.

Ratko Mladic steht wie kein anderer für die von Serben begangenen Gräueltaten während der jugoslawischen Erbfolgekriege. Die Belagerung Sarajewos. Massenvertreibungen. Massentötungen. Ethnische Auslöschung. Völkermord. Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, die Beteiligung für all das beweisen zu können. Schließlich soll Mladic das Massaker von Srebrenica befehligt haben. Es ist das größte Massaker auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Jungen und Männer wurden von ihren Müttern und Frauen getrennt und zum Abschuss freigegeben. Tausendfach. Und so hat Mladic zumindest mit der Wortwahl recht: Dieses Töten, dieses Metzeln war monströs. Seine Taten suchen ihresgleichen.

Und während in Serbien nun selbst die einstigen Nationalisten auf einen pro-europäischen Kurs eingeschwenkt sind und das Land damit über kurz oder lang über die Aufnahme in die EU zwangsweise demokratisiert werden wird – im Übrigen der einzig mögliche Weg in diesem anders kaum zu befriedenden Zipfel Europas – , hält die Führung in der bosnischen Republika Srpska noch immer an ihrer rückwärtsgewandten nationalistischen Haltung fest. Den bosnischen Gesamtstaat torpedieren die Serben wo sie nur können. Die ethnische Teilung in einen serbischen und einen bosnjakisch-kroatischen Einflussbereich ist daher zementierter denn je. Eine Verurteilung Mladics wäre gerade für das gebeutelte Bosnien ein Zeichen der Hoffnung. Es verhieße Rechtstaatlichkeit und Aussöhnung. Die Zeiten, als Mörder wie Mladic das Sagen hatten – sie sind endgültig vorbei. Ihr letzter Akt wird gerade verhandelt.

Dieser Beitrag wurde unter Alle Artikel, Politik: Welt, STREIT-BAR abgelegt und mit , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.