Schwanzvergleich der Edelfedern

Von Michael Kraske

Irgendwie ist der Wurm drin bei Deutschlands Edelfedern. Schon der Anblick von Journalisten, die sich wie Schauspieler aufbrezeln und im Hamburger Schauspielhaus Oscar-Verleihung spielen, wirkt unfreiwillig komisch. Weil aus einem begabten Schreiber auch mit Frack und Fliege kein glitzernder Strahlemann wird. Noch blöder ist, dass sich die journalistische Elite nun schon beim zweiten Henri-Nannen-Preis in Folge gegenseitig in die Suppe spuckt. Vor einem Jahr musste Spiegel-Pfister den Preis wieder abgeben, weil er seine Reportage mit einer Szene begonnen hatte, die er gar nicht beobachtet hatte. Diesmal lehnten Süddeutsche-Leyendecker und Kollegen die Ehrung selbst ab, weil sie den Preis für die beste investigative Leistung ausgerechnet mit Bild-Schmuddelkollegen teilen sollten. Die Gründe für die Glamour-Pleiten mögen auf den ersten Blick verschieden sein, aber beide Skandälchen sind Ausdruck einer Sinnkrise, die unter den vornehm geschnürten Bindern hervorlugt.

Der Henri-Nannen-Preis ist der wichtigste Journalistenpreis im Land, aber schon die karikaturhaft aufgeblasene Inszenierung zeigt ein ungesundes Maß an Selbstüberhöhung. Die ausgezeichneten journalistischen Arbeiten werden wie ein Fetisch behandelt, von selbsternannten Gralshütern bewacht. Ein elitärer Zirkel ergötzt sich an der vollendeten Komposition und sprachlichen Perfektion, die im Ergebnis mit Wichtigkeit verwechselt wird. Oder an der Größe des aufgetriebenen Aktenbergs.

Im Gegenteil hätte die Branche allen Grund zur Demut. Die Seriensieger von Süddeutsche oder Spiegel könnten sich fragen, warum sie beispielsweise bei der Beschreibung des braunen Alltagsterrors in Deutschland so kläglich versagten. Warum sie keine ihrer Edelfedern da hin schicken, wo die letzten aufrechten Demokraten gejagt und ihre Vereinsheime abgefackelt werden. Warum die ungeschriebenen Branchengesetze es nahezu unmöglich machen, solche permanenten Skandale zu thematisieren. Warum nur das ein Thema ist, was der Konkurrent auch macht. Die Journalistenpreise gaukeln eine individuelle Spürnasenschaft vor, die nichts mit dem blind machenden Herdentrieb des Alltagsgeschäfts zu tun hat. Das müsste im Hamburger Schauspielhaus mal in eine Dankesrede eingeflochten werden, wenn sich die Chefredakteure selbstzufrieden in ihren Polstern räkeln.

Stattdessen hat der neue Nannen-Eklat viel mit gekränktem Stolz zu tun. Der Chefaufklärer des Landes lehnt die Augenhöhe mit Bild-Schnüfflern ab. Beim Publikum kommt an, dass es den Herren doch wieder nur um einen Schwanzvergleich geht – in diesem Fall, wer den schöneren hat. Die wirkliche Geschichte hat eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung gerade erzählt. Dass nämlich die vermeintlichen Enthüller von Bild in Wahrheit ein durchkalkuliertes Spiel mit ihrem bis dahin noch Geschäftspartner Christian Wulff gespielt haben. Dass sie es meisterhaft verstanden, Infos zu streuen und zurückzuhalten und sich am Ende sogar als Hüter der Pressefreiheit aufspielen konnten. Ärgerlich an dem neuen Nannen-Tratsch ist, dass solche Feinheiten gar nicht beachtet werden. Die Kollegen in den Zeitungen machen aus Leyendecker gegen Bild sauber gegen schmutzig – gut gegen böse. Eine Boulevardgeschichte.

Journalistenpreise können helfen, das Gespür zu schärfen für das, was wirklich wichtig ist. Für die Geschichten, die erzählt gehören. Dafür, dass sich Mühe und Aufwand lohnen, um von unhaltbaren Zuständen, Missständen aber auch berührenden Hoffungsschimmern zu erzählen. Stattdessen gehen die Verlage mit ihren Auszeichnungen hausieren und versuchen sich vorzugaukeln, dass alles im Lack ist, auch wenn sie Redaktionen kaputt sparen und immer weniger in solide Recherche investieren. Und wir Journalisten aalen uns in dem guten Gefühl eigener Bedeutsamkeit und kunstvoller Meisterschaft. Journalismus, Frack und Fliege vertragen sich nicht. Dem Narzissmus kann man mit den Kollegen am Tresen nachgehen. Als pompös inszeniertes kollektives Berufsethos ist Selbstverliebtheit nur peinlich. Über guten oder schlechten Journalismus wird nicht im Hamburger Schauspielhaus entschieden, sondern in miefigen Redaktionen und auf der Straße.

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