Koran-Verteilaktion: Viel Lärm um Nichts?!

Von Akif Sahin, Blogger (www.akifsahin.de). Sahin lebt und studiert in Hamburg

Koran-Verteilaktion: Viel Lärm um Nichts?!

Eine kaum beachtenswerte Gruppe von Muslimen in Deutschland verteilt, in vielen Städten der Republik, eine Übersetzung des Qur’an al Karim. Sie selbst nennen sich in der Öffentlichkeit Muslime, werden allerdings sowohl von der Mehrheit der Muslime, als auch von den Sicherheitsbehörden als Salafisten bezeichnet.

Die Salaf as Salih, dass waren die drei ersten Generationen von Muslimen, die als ehrenwert gelten. Diese werden zwar von allen Muslimen als Vorbilder betrachtet, allerdings ist eine sektiererische Gruppe ziemlich stark darum bemüht dem Vorbild dieser „Altvorderen“ in allen Angelegenheiten zu folgen. Dies drückt sich neben puritanischen Vorstellungen über Leben und Kleidung auch oft durch politische Ansichten aus. Salafisten lehnen beispielsweise eine Trennung von Staat und Religion ab und fordern die Einführung der Scharia. Gerade die Salafisten lehnen im Grunde alles ab was mit der Moderne zu tun hat.

Ihre bekanntesten Vertreter in Deutschland sind der ehemalige Boxer Pierre Vogel (alias Abu Hamza) und jetzt eben auch Ibrahim Abu Nagie. Beide sind als Prediger seit Jahren um den Verein „Einladung zum Paradies“ in Erscheinung getreten und sorgten immer wieder mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen für Aufsehen.

Zuletzt machte Pierre Vogel Schlagzeilen weil er in Frankfurt ein öffentliches Totengebet für den verstorbenen Terroristen-Chef der Al Qaida, Osama bin Laden, verrichten wollte.

Der Verein „Einladung zum Paradies“ wurde aufgrund des öffentlichen Drucks und auch rechtlicher Ermittlungen von den Verantwortlichen aufgelöst. Pierre Vogel tritt seit einiger Zeit kaum noch öffentlich in Erscheinung, während Ibrahim Abou Nagie seit einiger Zeit versucht mit seiner Aktion „Lies“ auf sich aufmerksam zu machen.

Jetzt scheint ihm zumindest dieses Anliegen gelungen zu sein. Die gesamte Medienlandschaft berichtet über das Projekt, die Politiker äußern sich mit Sorge und die Sicherheitsbehörden warnen vor den Salafiten. Allgegenwärtig wird über das Projekt der kostenlosen Koran-Verteilung berichtet.

Nur vereinzelt hört man diesbezüglich auch Stimmen die zur Gelassenheit im Umgang mit den Salafisten aufrufen. Und tatsächlich muss man sich fragen, ob man sich wirklich in einem aufgeklärten und selbstbewussten Deutschland überhaupt noch über religiösen Eifer aufregen muss.

Ibrahim Abou Nagie wird leider jetzt gerade als Muslim wahrgenommen und gerade jetzt wird er als ein Vertreter des Islam angesehen. Die Berichterstattung und auch die Angriffe der Politik, die oftmals nicht einmal genügend Hintergrundwissen und Expertise bei ihren Kommentaren aufkommen lassen, sorgen heute dafür, dass Abou Nagie sich in die Köpfe der Deutschen einbrennt.

Doch die Frage sollte lauten, ob wir wirklich eine Koran-Verteil-Aktion fürchten müssen.

Ich bin in Hamburg groß geworden. Wer den Hauptbahnhof dieser Stadt kennt, weiß, dass Jahrelang immer an einer bestimmten Ecke des Bahnhofs ältere und ziemlich zierlich wirkende Frauen mit dem „Wachturm“ der Zeugen Jehovas aufwarteten. Sie riefen zu ihrem Glauben auf. Auf dem gleichen Bahnhof gab es Jahrelang immer einen christlichen Prediger, der die Menschen zu mehr Gottesfurcht und Gottgefälligkeit aufrief und die Bibel hochhielt. Auf dem gleichen Bahnhof haben schon vor Jahren muslimische Gruppen, den Koran an Interessierte kostenlos verteilt ohne dabei sich in den Vordergrund spielen zu müssen.

Echauffiert oder darüber aufgeregt hat sich Niemand, weil einfach Religion im Alltag der meisten Menschen keine Rolle spielt und religiöse Aufrufe eigentlich kaum eine Chance haben, wenn sie denn nicht im Dialog-Gespräch mit Interessierten geschehen.

Warum regen wir uns also auf?

Der Islam ist eine faszinierende Religion. Aber der Islam wird in Deutschland immer als eine Bedrohung empfunden. Ibrahim Abou Nagie kündigt mit seiner Aktion an, dass in 25 Millionen Haushalte ein Koran geliefert werden soll. Bereits mehr als 200.000 Ausgaben der Übersetzung sollen verteilt worden sein.

Solche Zahlen wecken bei vielen Menschen ein Gefühl der Besorgnis. Der Islam wird oft mit den Begriffen Terror und Frauenfeindlichkeit in Verbindung gebracht. Die Menschen haben Angst islamisiert zu werden. Sie haben Angst, dass Muslime die Oberhand in der Gesellschaft erlangen könnten. Und die Politiker, die sich zu den Geschehnissen bisher geäußert haben, schüren und nähren diese Ängste und Befürchtungen der Menschen, durch oftmals inkompetente und oftmals unrichtige Aussagen.

Ich sehe das gerade deshalb kritisch. Ich kann einer Koran-Verteil-Aktion durch Salafisten nichts abgewinnen. Wer den Koran lesen möchte, vor allem junge Leute, der kann sich eine Online-Ausgabe kostenlos auf sein Smartsphone runterladen oder gleich auf den heimischen PC downloaden. In jeder Bibliothek in Deutschland finden sich gleich mehrere Qur’an-Ausgaben vielfältiger Interpreten und Übersetzer. In vielen Haushalten steht der Koran im Regal. Fragen sie vielleicht einfach mal ihren Nachbarn. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Koran im Regal steht ist sehr groß.

Und das ist das eigentliche Problem. Abou Nagie propagiert mit seiner Verteil-Aktion, dass der Koran gelesen werden wird. Das Problem ist, dass weder die meisten Muslime, noch die meisten Menschen, die jetzt den Koran kostenlos erhalten, diesen auch wirklich lesen werden. Oftmals haben wir es sowohl bei Muslimen als auch bei Nicht-Muslimen mit Menschen zu tun, bei denen der Koran im Regal herumsteht, bei denen der Koran nicht gelesen wird und bei denen der Koran nicht verstanden wird. Dies zeigt sich vor allem dann wenn es um religiöse Themen geht. Da wird dann oft mit Halbwahrheiten und aus den Zusammenhängen gerissenen Passagen des Korans begründet, warum man wie lebt oder warum man den Islam ablehnt.

Der Qur’an al Karim ist das heilige Buch der Muslime. In ihm sind nicht, wie vielfach vermutet, nur Verbote aufgeführt, sondern vor allem Gleichnisse und Geschichten. Der Qur’an al Karim wird von den Muslimen als direktes Wort Gottes an die gesamte Menschheit verstanden.

Wenn die Muslime und auch die Nicht-Muslime den Koran lesen würden und versuchen würden ihn zu verstehen, dann wäre das eine wunderbare Sache. Wir könnten den so wichtigen Dialog, aber auch die Auseinandersetzung mit den religiösen Themen des Islam wirklich führen. Das wird aber auch durch eine solche Verteil-Aktion nicht gelingen.

Denn den Koran kann man zwar lesen, aber verstehen ist etwas anderes. In meinem Schrank stehen gleich mehrere Tafsir-Bücher. Das sind Erläuterungen zum Qur’an al Karim. Diese beschreiben mit zahlreichen Belegen, wass jeder einzelne Vers des Koran bedeutet. Hinzu kommt, dass der Qur’an ein literarisches Meisterwerk darstellt. Er ist in Prosa geschrieben. Und die Erläuterungen klären, welcher geschichtliche Kontext dem einzelnen Vers zugrunde liegt und was der Vers an sich bedeutet. Ohne eine vernünftige Erläuterung zum Qur’an al Karim ist das Lesen des Koran auf Deutsch eine Qual. Es bleiben zudem mehr offene Fragen als beantwortet werden. In vielerlei Hinsicht sind auch viele Verse des Qur’an missverständlich, wenn man nicht die Hintergründe kennt.

Und deshalb fragt man sich umso mehr, was mit dieser Verteil-Aktion eigentlich erreicht werden soll. Ich sehe da drei Punkte, die klären, warum die Salafiten das Ganze überhaupt machen.

1. Die Salafiten möchten vor allem in Kontakt mit jungen Muslimen und vor allem möglichen Konvertiten kommen. Der Großteil ihrer kleinen Bewegung, die bisher vielleicht Deutschland-weit 5000 Personen zählt, sind junge Muslime und Konvertiten.
2. Die Salafiten möchten alle Muslime unter Druck setzen. Mit dieser Aktion geben sie vor für den Islam zu arbeiten und sie geben vor fromm zu sein. Dies erlaubt Ihnen sich noch weiter von allen Muslimen zu distanzieren und sie als Heuchler zu bezeichnen. Gleichzeitig steigt das eigene Prestige bei den Muslimen.
3. Und zu guter Letzt, die Salafiten brauchen Aufmerksamkeit. Weil sie nämlich so langsam drohen in der Masse unterzugehen. Sie wurden kaum beachtet und es war ziemlich still um sie geworden. Jetzt kämpfen sie darum, weiter im Fokus stehen zu können.

Aus diesem Grund muss man das ganze kritisch sehen. Ich finde es aber falsch irgendwelche Verbote für die Verteil-Aktionen aussprechen zu wollen. Verbote bringen Nichts, weil sich dann die Betroffenen innerhalb ihrer eigenen Klientel als Opfer darstellen.

Vielmehr brauchen wir eine gute Auseinandersetzung mit den kruden und krassen Ansichten der Salafisten, die nicht immer, aber sehr oft extrem sind. Wir müssen zudem unsere Freiheit und unsere Gesellschaft vor der illegitimen Kritik der Salafisten schützen. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft zerredet wird.

Zudem sollten vor allem die staatlichen Stellen prüfen, wie das ganze mit der Finanzierung tatsächlich stattgefunden hat. Wenn ein Verein Spenden entgegennimmt, dann muss das alles auch sehr genau dokumentiert werden. Woher kommen denn die Gelder? Wieso schenken wir den Bekundungen der Salafisten eigentlich ohne Prüfung glauben? Und wieso wird nicht überprüft, ob auch wirklich alle Gelder, die für dieses Projekt geflossen sein sollen, auch wirklich rechtmäßig eingesetzt wurden?

Zu guter Letzt müssen wir aufhören uns immer wieder durch solche Debatten in einen Zustand drängen zu lassen, der alle Muslime in einen Topf wirft. Die Mehrheit der Muslime in Deutschland ist friedlich und sie fühlen sich hier Zuhause. Sie sind sehr offen und sehr tolerant und sie schenken auch gerne einen Qur’an. Aber das tun sie nur, wenn der Gegenüber im persönlichen Gespräch auch ein gewisses Interesse bekundet hat. Deshalb sollten solche Vorfälle nicht dazu führen, dass der Dialog innerhalb der Gesellschaft abbricht.

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4 Antworten auf Koran-Verteilaktion: Viel Lärm um Nichts?!

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  2. Couperinist sagt:

    Hallo Herr Autor.
    Das Vergehen der Salafisten ist ja eigentlich, dass sie den Islam ursprünglich, wörtlich und also politisch verstehen. Die Crux ist ja, und das ist die Gretchenfrage, die von Kritikern des Islam tendenziell bezweifelt wird: ob eine Trennung von der Politik in dieser Religion theologisch überhaupt denkbar ist.

    Die strenge Dichotomie von Gläubigen und Ungläubigen in zwei ungleichwertige Menschengattungen ist, als politische Idee, ein verbrecherisches System.

  3. Anonymus sagt:

    Dein Bericht gefällt mir so garnicht. Die Korane werden den leuten nicht mit Zwang in die Hand gedrückt, sondern die die eins haben möchten nehmen sich einfach eins. Darüber hinaus kann ich auch dem Argument zustimmen, dass beim Nachbarn oder in der Mosche welche zu bekommen sind. Durch den seit Jahren anhaltenden negativen Medienrummel um den Islam trauen sich dir meisten nicht den Schritt in die Moschee zu machen um sich eins zu kaufen. Dieses fällt ihnen durch die Öffentliche Verteilaktion einfach leichter. Und was nicht durch die Medien gezeigt wird, dass 99% der Menschen die eins mitnehmen sehr Dankbar sind und freuen dass es so eine Aktion gibt. Zum Punkt dass das Salafisten seien usw. kann ich ebenso nicht Zustimmen. Der Begriff wurde einfach in den Medien die letzten Tage und Wochen aufgepuscht und durchgekaut,wobei die meisten Menschen nicht einmal wissen was der Begriff genau bedeutet Sie vermuten jedoch nichts gutes. Seis drum auf jeden fall verteilen diese Menschen NUR den Koran ohne irgendwelche Flyer oder Werbung für ihre “Gruppierung”. Und die Sinngemäße Übersetzung die Verteilt wird ist auch seriös. Seine übersetzung ist die mit am Meisten verkaufte. Also wozu das ganze Theater und der ganze Hass die geschürt wird !??!! Wer keins haben möchte soll einfach weiter gehen. Wenn wir in einem Land Leben wo es eine Religionsfreiheit gibt und in der jeder seine Meinung äußern darf, dazu zählt auch das Verteilen von Koranen, ist der ganze Rummel NICHT und in keinster Weise nachvollziehbar und nicht angebracht.

  4. kornpicker sagt:

    Naja, die Übersetzung der Salafisten hat zumindest ein gewisses Geschmäckle. Sie ist eine Verschmelzung der Übersetzungen von Bubenheim/Elyas bzw. Rassoul. Die beiden Übersetzungen für sich genommen sind ok, aber wer hat bestimmt, welche Verse von welcher Übersetzung genommen worden? Rein rhetorische Frage. An der Stelle kommt also doch ein gewisses Maß an Interpretation durch die Salafisten rein. Darüber hinaus ist pikant, dass die Übersetzung von Rassoul auffällig viele Gemeinsamkeiten mit der Ahmadiyya-Übersetzung hat. Die Ahmadiyya ist ja bekanntermaßen einer der “Intimfeinde” der Salafistenbewegung.