Vom Elend der Gleichschaltung

Von Siegesmund von Ilsemann

Eine kleine Meldung verschreckte jüngst die in Selbstbespiegelung befangene Medienwelt: „Landlust“, der Ratgeber für gelebte Gartenpflege, hat das einst renommierte Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ überholt. Während das Hamburger Wochenblatt pro Ausgabe kaum mehr als 900 000 Käufer zählt, findet der nicht gerade für publizistische Potenz bekannte Münsteraner Landwirtschaftsverlag mittlerweile deutlich mehr als eine Million Gartenfreunde, die jeden zweiten Monat ihr Fachblatt fürs Pflanzen, Pflegen und Pflücken erwerben.
Wenn Mediendienste den Leserschwund bei Magazinen, die vormals von Auflagenrekord zu Auflagenrekord jagten, damit erklären, dass „politische Inhalte heute ins Internet abwandern“, ist das allenfalls die halbe Wahrheit. Die ganze steckt in der inflationären Flut von immer ähnlicheren, immer austauschbareren Publikationen, die sich 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche über uns ergießt. Immer häufiger stoßen Leser, Radiohörer oder TV-Konsumenten auf dieselben Inhalte – egal, ob sie sich sonntags von Günter Jauch bevormunden lassen, montags zum Spiegel greifen, sich Zeit oder Stern anschauen oder gar stündlich den Wandel der Welt im Zerrspiegel des Online-Journalismus bestaunen.
Das beste Beispiel für die betäubende Gleichschaltung nahezu der gesamten veröffentlichten Meinung, war die völlig überzogen-aufgeregte Kampagne, die landauf, landab vom Zaun gebrochen wurde, nachdem Günter Grass jüngst sein Israel-kritisches Gedicht in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichen ließ. Kaum einer der Kommentatoren, Leitartikler, Parteiensprecher, die sich als Scharfrichter der veröffentlichten Meinung gerierten, setzte sich wirklich mit den Inhalten auseinander, um die es dem Nobelpreisträger ging.

Die Kernfrage, ob es einem Staat erlaubt sein kann, den präventiven Massenmord – und nichts anderes wäre ein vernichtender Militärschlag gegen die atomaren Anlagen eines dicht besiedelten Landes – zu erwägen, ja, anzudrohen, wurde in keinem Interview, keiner Talkshow, keiner Gesprächsrunde wirklich ausgelotet. Warum wird es einem Land – nämlich Israel, das in jüngerer Vergangenheit wiederholt Angriffskriege geführt hat, nachgesehen, dass es sich wider den erklärten Willen der Staatengemeinschaft nuklear bewaffnet? Warum ein anderer Staat – nämlich Iran, allein mit der (bislang unbelegten) Behauptung, es strebe auch nach Atomwaffen, zum Pariah erklärt? Immerhin war Iran Opfer nicht Angreifer eines acht Jahre dauernden blutigen Angriffskriegs, den der großmachtlüsterne irakische Diktator Saddam Hussein 1980 mit massiver amerikanischer Unterstützung begonnen und auch mit Massenvernichtungswaffen ausgetragenen hatte.
Flugs wird dann auf den geifernden persischen Präsidenten Ahmadinedschad verwiesen, der den Holocaust leugnet und das Existenzrecht Israels ebenso. Dass er dies – für jeden Iran-Kenner unübersehbar – vornehmlich aus innenpolitischem Kalkül tut, um seine wackelige Machtbasis in der iranischen Revolutionshierarchie zu festigen, wird bei der Bewertung einfach unterschlagen. Genauso wie ungesagt bleibt, dass Israels Regierungen mit ihrer penetranten Missachtung von Völkerrecht und UN-Beschlüssen sowie einer durch nichts zu rechtfertigenden Besatzungs- und Vertreibungspolitik im gewaltsam annektierten Palästina die Argumente liefern, mit denen Israels Kritiker diesen Staat attackieren.
Man mag darüber streiten, ob die Gedichtform die geeignete ist, um solche Themen anzusprechen. Doch den Verdienst des Günter Grass, in der historischen, unauslöschbaren Schuld des deutschen gegenüber dem jüdischen Volk auch die Verpflichtung zu – solidarischer – Kritik zu sehen, in platten Antisemitismus umzudeuten, ist perfide.
Man muss Grass gewiss nicht lieben, nicht einmal als Autor schätzen. Aber dieser Repräsentant des Volkes der Dichter und Denker überragt turmhoch jene Kritikaster, die ihn mit ihren pseudo-intellektuellen Fäkalien zu beschmieren trachten. Dabei sind Sudeleien von Autoren, deren Wirken sich ansonsten zum Glück am Rande oder außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung abspielt, noch das kleinere Übel.
Das größere ist, dass sich die veröffentlichte Meinung nahezu ausnahmslos der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Grass’ kritischen Anmerkungen verweigert. Man mag darüber streiten, ob es politisch sinnvoll und historisch richtig ist, das Existenzrecht Israels als Teil der deutschen Staatsräson zu definieren, wie es Kanzlerin Merkel vor der Knesseth getan hat. Falsch ist aber ohne Zweifel, den deutschen Völkermord an den Juden als Vorwand dafür zu nutzen, Kritik an Israel quasi automatisch unter Antisemitismus-Verdacht zu stellen. Genau diesen Eindruck erwecken aber die gleichgeschalteten Medien dieser Republik.
Damit verstärken sie das Gefühl der Beliebigkeit, das Leser, Hörer und Zuschauer beschleicht wenn sie merken, dass Presseorgane wie Bild und Spiegel, die angeblich ganz unterschiedliche, ja gegensätzliche Segmente der öffentlichen Meinung bedienen, immer wieder gemeinsame Sache machen.
Werden solche Kampagnen dann auch noch Tag für Tag von immer den gleichen Besserwissern, Klugscheißern, Skandalrittern und Selbstrepräsentanten in den ubiquitären Talkshows, Gesprächsrunden, Diskussionszirkeln und Interviewsendungen wiedergekäut, verdichtet sich der Eindruck intellektueller Verödung zu der Gewissheit: Das muss ich mir nicht mehr antun.
Irgendwann merken die Leser, wenn inhaltlich fragwürdige Stücke nur deshalb gedruckt werden, weil sie „doch schön geschrieben sind“, wie sich Chefredakteure gelegentlich rechtfertigen. Dann laufen Spiegel, Stern und Focus die Leser davon. Das Gleiche erleben die ARD-Granden, denen abstürzende Einschaltquoten Kopfzerbrechen bereiten, seit sie ihren Zuschauern den Feierabend werktäglich mit gleich fünf Talkshows vergällen, in denen oft dieselben Sprechpuppen, meist dieselben Themen mit fast immer denselben Plattitüden zerreden.
Letztlich machen Verlage und Sender sich wie ihre Konsumenten zum Opfer ihrer eigenen Verwertungsideologie: Den Blick panisch auf Auflage und Quote gerichtet, verschreiben sich alle dem “media mainstream”, der gleichgeschalteten Meinung. Wenn da etwas schief läuft mit Auflagen oder Quoten, kann es nur am Nutzer und nicht am Inhalt liegen, denn der unterscheidet sich ja kaum noch von dem der Konkurrenten.
Nur wer aus diesem Geleitzug ausschert, einen eigenen Kurs fährt, eine abweichende Meinung vertritt, macht sich angreifbar. Dann liegt es an ihm, wenn Auflage oder Quote enttäuschen.
Die „Landlust“ belegt, dass diese Rechnung nicht unbedingt aufgeht. Leser, Radiohörer, TV-Zuschauer verzichten nämlich nicht einfach auf den Konsum medialer Inhalte, sie steigen um auf andere Angebote.
Es gibt also Hoffnung – nicht nur für Heim und Garten sondern auch für kritische Alternativen zum täglichen Gleichklang an den Kiosken und auf den Rundfunkkanälen, für Debattiersalons, Nachdenkseiten oder den Freitag, für Web-Fernsehen, Bürgerreporter, für eine Meinungsvielfalt also, ohne die eine Demokratie nicht (über)leben kann.

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3 Antworten auf Vom Elend der Gleichschaltung

  1. Robert sagt:

    Sehr gut geschrieben, Herr von Ilsemann. Wenn man die ‘Argumente’ im Fall Grass liest: es war eine Anhäufung von Schimpfwörtern, denen die Beschmierung des Grass-Denkmals in Göttingen mit ‘SS! Günni halts Maul’ folgte. Die zwar anders gemeinte Aufschrift hat die optische Parallele zum ‘SS’ Geschmier auf jüdischen Friedhöfen. Das zeigt ja schon groteske Züge der Grass-Hetze. Und wenn sich Autoren wie Sobol zu der Aussage versteigen, in Grass brenne ‘ein ständiges Höllenfeuer’, dann wird in ihm der Teufel gesehen, das Böse, eine Art Antichrist. Auch hier wäre zu fragen, welche Traditionen das hat. Jedenfalls ist die kritiklose Einschwörung Deutschlands nicht nur auf ‘das Existenzrecht Israels’, sondern auch auf die Politik einer Regierung, deren orthodoxer Teil den Frauen in Jerusalem in öffentlichen, aber für orthodox erklärten Bussen den Zugang zu vorderen Sitzplätzen verwehrt, sie nur hinten dank eines Sondereingangs nur für Jüdinnen und andere Frauen zuläßt, nicht nachvollziehbar. Ich fürchte, dass einige Diskutanten die Lektionen der deutschen Geschichte falsch erlernt haben, vor allem wenn es um Sondereingänge und Sonderbehandlung, aber auch um Kriege geht. Ich fürchte, dass einige der Diskutanten weder die Mahn- und Gedenkstätten der Opfer des NS-Staates kennen, noch die Opfergruppen, darunter über 50.000 Homosexuelle, sich bei der Frage nach der Struktur des Faschismus wegdrücken, aber nun – in der Tradition der Sonderbehandlung – eine ‘Staatsgarantie’ für einen Staat abgeben, den einzigen bedeutenden Staat der Welt, der sich nicht auf Grenzen festlegt. Oder wo liegen sie, nach dem Staatsverständnis? Das Existenzrecht hat jeder Mensch und jeder Staat, warum kein Bekenntnis zum Existenzrecht der Palästinenser und zum palästinensischen Staat, gemeinsam mit Israel? Wer es sich ansieht, wie Sigmar Gabriel in Hebron, dass die Palästinenser dort von Siedlern mit Müll und Steinen beworfen werfen, der pflichtet seiner Einschätzung der Apartheid zu. Was ist eigentlich so schön daran, Menschen mit Dreck zu bewerfen, sie aber von Seiten des Staates Israel schutzlos zu lassen? Braucht es dafür eine deutsche Garantie der Solidarität mit dieser staatlich erlaubten und geförderten Menschenverachtung?

  2. M. Schneider sagt:

    Hm, Herr von Ilsemann,
    mal zu Ihrem Schluss: Leute, die heute “Landlust” lesen, waren also vorher glühend an Politik Interessierte??? Steile These, aber wohl falsch. Auch unsinniger Thesenjournalismus macht übrigens viele Medien-Erzeugnisse so dämlich öde… damit hat der Spiegel schon vor Jahren angefangen, bevor er seltsame Autoren mit seltsamen Büchern abdruckte, bei denen es nur den Aufruhr, nicht eine Sekunde um den Inhalt ging.
    Und beim Thema Grass scheint es doch gerade bei älteren Männern etwas aufzuwühlen zu geben. Denn wenn dieser Groß-Moralist, sich plötzlich an seine Vergangenenheiut erinnert und sich ein paar Jahre später als Literatur-Nobelpreisträger der Worte “Auslöschung” und “Gleichschaltung” bedient, und deren Brisanz nicht bemerkt oder sie eben bewusst setzt, dann muss er sich das halt deutlich sagen lassen. Denn dann steckt wohl da doch tief etwas in ihm, das ganze ist natürlich ein psychologisches Problem, was aber noch lange nicht heißt, das die ganze Kritik falsch ist. Hier hat der deutsche “Medien-Mainstream” ausnahmsweise ma lrecht gehabt – und ist mal nicht dem Leser-Mainstream hinterhergerannt, der so gerne so Unausgegorenes raunt, und so gerne “man-wird-ja-wohl-sagen-dürfen” sagt, auch wenns ausgemachter Unsinn ist.
    Und wo Sie, Herr von Ilsemannn, von “einfach unterschlagen” reden, dann machen sie das aber ebenso mit dem Existenzrecht Israels, das eine historische Komponente hat, der sich die Deutschen nun eben nicht entledigen können. Ohne eine Lösung zu wissen und die aktuell gefährliche Lage beschöniogen zu wollen, unterschlagen sollten sie dann aber auch nicht, dass israel noch immer von faktisch allen seinen Nachbarstaaten existenziell bedroht wird. Das von Ihnen so gesehene “vornehmlich innenpolitische Kalkül” Achmadinedschads lässt sich sicher entspannter von Deutschland aus beurteilen als von Israel aus.
    Das Perfide an Grass’ Äußerungen scheint doch zu sein, dass es ihm um alles mögliche geht, aber nicht um den tatsächlichen Konflikt. Dafür nimmt er selbst billigend und vielleicht auch bewusst in Kauf, was ihm nun vorgeworfen wird. Dafür hat er zu Recht Prügel eingesteckt. Soll er sich mal lieber der landlust hingeben.

  3. Siegesmund sagt:

    Hm, Herr Schneider,
    mal zu Ihrem Anfang: Leute, die offensichtlich nicht richtig lesen können, sollten sich mit dem Schreiben vielleicht auch etwas zurückhalten. Sich als Groß-Kritiker gleich einer Unwahrheit zu bedienen, belegt nicht “unsinnigen Thesenjournalismus” (unter dem ich als Journalist wahrlich genug gelitten habe und noch immer leide) wohl aber den Unsinn, Widerspruch, der sich intelligent gibt aber arrogant daher kommt, ausgerechnet mit einer Lüge einzuleiten. Das macht leider manchen Leser-Beitrag so dämlich öde.

    Selbstverständlich habe ich in meinem Text nirgendwo behauptet, die Leser der Landlust seien ehemalige Spielgel-Leser, ebenso wenig das Existenzrecht Israels oder gar des israelischen Volkes unterschlagen. (Vermutlich würden Sie mir vorwerfen, die Existenz der Sonne zu unterschlagen, wenn ich Betrachtungen über den Mond anstelle). Ihre Feststellung, dass aus israelischer Perspektive sicher vieles anders aussieht als aus der sicheren europäischen Ferne, liegt in ihrer Banalität so auf der Hand, dass man sie nicht erwähnen muss, ohne deswegen gleich der Unterschlagung schuldig zu werden. Aber – verzeihen Sie mir, wenn ich mich damit auf das Niveau Ihrer Argumentation begebe, – darf, ja muss ein Sehender nicht eingreifen, wenn er sieht, dass ein Blinder auf der Suche nach dem richtigen Weg schnurstracks auf einen Abgrund zu marschiert, und das nicht um so mehr, wenn seine Vorfahren die Vorfahren jenes Blinden ermordet haben?

    Mit platter Propaganda-Technik a la Goebbels, durch die Verwendung von Halb- oder Unwahrheiten andere Meinungen von vornherein als idiotisch abzuqualifizieren, versuchen Sie von dem abzulenken, was mein symbolischer Vergleich (der ja schon wegen der – erwähnten – sehr unterschiedlichen Erscheinungsfrequenz der beiden Publikationen kein quantitativer sein und nur mit einer gehörigen Portion Böswilligkeit als solcher hingestellt werden kann) zeigen sollte, dass es nämlich durchaus noch Printmedien gibt, die Auflagenzuwachs verzeichnen – sogar erstaunlichen. Dass andere Blätter, darunter der jahrzehntelang so erfolgreiche Spiegel, im Sinkflug scheinen, liegt meines Erachtens zu einem großen Teil daran, dass sie – inhaltlich und interpretatorisch – immer austauschbarer werden. Und dieses Einscheren auf den Kurs des “media mainstreams” habe ich versucht am Fall Grass zu dokumentieren.

    Weder ging es mir darum, Grass zu einem jeder Kritik enthobenen Säulenheiligen zu erklären, noch, sein Gedicht zu einem Literaturpreis-verdächtigen Opus hochzujubeln. Ich habe mich an der mediale Verwurstung seiner Kritik gerieben, die inhaltlich – von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen – völlig unbeachtet blieb. Und das ist bei diesem Thema aus besagten Gründen leider die Regel.

    Es ist bezeichnend, wenn Sie zur Verteidigung Ihrer Auffassung so tief in der Vorurteilskiste wühlen müssen, um dort etwas zu finden, was “ältere Männer” angeblich aufwühlt. Ich gehöre nicht zur Generation Grass, musste – zum Glück – nie dem Druck, den Verführungen eines diktatorischen Regimes standhalten, nie durch den Nebel propagandistisch aufgerührten Massenwahns nach wahren menschlichen Werten Ausschau halten und sie gegen den Strom einer vielfach verblendeten Generation als meine Lebensmaxime vertreten. Ich stamme aus einer Familie deren eine Hälfte im Widerstand, die andere “in der Partei” war. Ich maße mir nach meinem Leben in Frieden und Freiheit nicht das selbstgerechte Urteil an, dass ich unter den damaligen Umständen die richtige Seite gewählt hätte.

    Bei Ihnen scheint das anders zu sein, wenn Sie Grass reflexhaft unterstellen, er habe mit der Verwendung von Worten wie “Auslöschung” und “Gleichschaltung” unbedarft tief sitzenden – “antisemitischen”, wie ich vermute, – Vorurteilen Ausdruck verliehen. Gerade weil diesen Vokabeln durch monströse deutsche Verbrechen so eine schreckliche, mörderische Bedeutung verliehen wurde, hat Grass diese Begriffe gewählt um deutlich zu machen, auf welchem Irrweg er die israelische Regierung sieht. Auch ich kenne die Lösung für den Nahostkonflikt nicht, bin aber völlig sicher, dass es ins Verderben führt, wenn dieser Irrweg als der einzig gangbare gilt.

    Geschickt war Grass’ Wortwahl sicher nicht. Sie macht es Menschen wie Ihnen leicht, mit diesem “Vergleich” – der allerdings als solcher weder insinuiert war, noch von unvoreingenommenen Leser so verstanden werden konnte – gleich die ganze Kritik als unsachlich, unbegründet oder gar antisemitisch abzuqualifizieren. Aber auch ein vielleicht schräger oder gar zu schriller Alarmruf kann Grass’ große Sorge nicht entwerten, dass die israelische Regierung mit ihrer durch nichts zur rechtfertigenden Missachtung von Uno-Resolutionen (denen im übrigen ja der Staat Israel seine Existenz verdankt), durch eine völkerrechtswidrige Annektions- und Besatzungspolitik, durch – weltweit längst geächtete – nukleare Aufrüstung, durch fragwürdige Präventivfeldzüge und – leider auch – Kriegsverbrechen sowie nun sogar mit einer unverhohlenen Androhung eines Präventivkriegs gegen den Iran, der alles übertreffen dürfte, was diese krisen- und kriegsgeplagte Region bislang durchleiden musste, wenn also eine Regierung, die für eine solche Bilanz steht, genau die Katastrophe herbeizuführen droht, die sie angeblich verhindern will.

    Nach all dem verwundert es kaum noch, dass Sie sich – vermutlich um von dieser desaströsen Bilanz abzulenken (sehen Sie, auch ich “kann” Unterstellung) – sogar auf rufmörderisches Terrain begeben. Nicht anders kann ich es bezeichnen, wenn Sie sich abschließend aufs dunkle Munkeln verlegen: “Das Perfide an Grass’ Äußerungen scheint doch zu sein, dass es ihm um alles mögliche (um was denn bitte?) geht, aber nicht um den tatsächlichen Konflikt.” Wenn es Ihnen nicht ums Diffamieren ginge, hätten Sie eine vielleicht viel näher liegende Erklärung dafür finden können, dass Grass sich erst so spät zu seiner – kurzen – SS-Mitgliedschaft bekannt hat. Wie wäre es mit dem überhaupt nicht abwegigen Gedanken, das lebenslange Scham jemand, der sich in einem solchen Ausmaß darum bemüht hat, dass unsere heutiges Deutschland ein anderes, besseres ist, als das der Nazis, davon abhalten kann, eine solche “Jugendsünde” einzugestehen? Das mag weder besonders aufrichtig noch sehr mutig sein. Aber menschlich verständlich wäre es allemal.
    Wenn Sie dennoch die “Prügel” begrüßen, die Grass – vor allem im “media mainstream” – dafür bezogen habe, dann bewegen Sie sich schon fast auf dem argumentativen Niveau des “Völkischen Beobachters”.

    Um gleich noch mit dem unvermeidlichen “Gegenargument” aufzuräumen, ich würde den palästinensischen und islamistischen Terror unterschlagen, dem die Israelis leider immer wieder ausgesetzt sind:

    Mordanschläge, ob durch Terroristen oder Mossad-Agenten begangen, sind ebenso wie militärische Aggressionen menschenverachtende, verabscheuungswürdige Verbrechen, die durch nichts zu rechtfertigen sind. Sie gehören geächtet und angeprangert, wo immer sie begangen werden. (Eines werfe ich dem “media mainstream” in Deutschland sicher nicht vor: dass er dem verbrecherischen Terror von Palästinensern und Islamisten zu wenig Aufmerksamkeit widmen würde.)

    Genau darum geht es auch Günter Grass. Wenn Ihnen ebenso an den Dingen liegt, die Sie vorgeben – und das ist hoffentlich keine Unterstellung meinerseits, dann erweisen sie denen mit Ihrer Argumentation einen Bärendienst.