Kardinal Super-Gau

Von Marion Kraske

Er hat es wieder getan, wie so oft, sich zu Wort gemeldet, mit Inhalt wie Donnerhall,
man kennt das schon. Er kann nicht anders.
Der Kölner Kardinal Joachim Meisner ist für seine undifferenzierten Polemiken bekannt, gegen Drogensüchtige, gegen Wissenschaftsgläubige zog er schon zu Felde, gegen andere Religionen, selbstredend auch gegen Homosexuelle. Nun nimmt er neuerlich ein Thema ins Visier, das alle Jahre wieder neu aufgewärmt durch die katholischen Kanäle geistert: das Schreckgespenst der Abtreibung. Jeden Tag würden durch sie in Deutschland mehr als zehn Klassenzimmer ausgelöscht, beklagte Meisner unlängst in einem Interview. Das sei „der tägliche, beschwiegene Super-Gau“.
Wieder einmal stellt sich die katholische Moralkeule gegen die Wahlfreiheit der Frau, ein Thema, das bereits in den 80er Jahren heiß diskutiert wurde, lang lang ist´s her. Als gäbe es keine anderen, keine drängenderen gesellschaftlichen Themen, kramt Meisner das Thema nun neuerlich aus der Mottenkiste. Während in Deutschland – ernsthaft und zurecht – über moralische Bedenken bei der Präimplantationsdiagnostik gestritten wird, mimt er den Einpeitscher ethisch-moralischer Grundsätze auf längst befriedetem Terrain. Er beobachte eine tiefe Verunsicherung der Gesellschaft, so der Kirchenobere und führt das nicht etwa auf Eurokrise oder soziale Irritationen, wohl aber auf den „millionenfachen Tod der ungeborenen Kinder in diesem Land“ zurück. Eine messerscharfe Logik, auf die man erst mal kommen muss.

Interessant freilich ist, dass Meisner auf das Wohl der ungeborenen Kinder abstellt. Zu den tausenden geborenen, sehr lebendigen Kindern und Jugendlichen, die über Jahre von katholischen Priestern missbraucht wurden, ist von Meisner dagegen keine Äußerung erinnerlich. Im Gegenteil: Trotz der Monströsität der Taten, trotz der tausenden dokumentierten Fälle duckten sich Meisner und seine Glaubensbrüder lieber weg als sich in Schuldeingeständnissen zu üben. Nicht die Opfer – die Kinder – standen im Fokus katholischer Besorgtheit, sondern die ramponierte Reputation ihrer Amtskirche. Wieder einmal ging es um Machterhalt einer Organisation, die, so der Religionswissenschaftler Hans Küng, ihre autoritären Systemstrukturen nie aufgegeben hat.
Aussitzen. Eingraben. Zubetonieren. Die Katholische Kirche ist darin meisterhaft. Auch inhaltlich – das beweist der Meisnersche Vorstoß – bewegt sich nichts. Mit Ausnahme der Kirchengemeinde, die in Heerscharen von diesen ihren Hirten davonläuft:
Mehr als 200.000 Katholiken kehrten im vergangenen Jahr ihrer Kirche den Rücken, eine Steigerung von 40 Prozent; allein im größten deutschen Erzbistium Köln, im Reiche Meisners also, waren es mehr als 15.000 Gläubige, die sich auf und davon machten.
Das hat Gründe: Glaube kann die Katholische Kirche womöglich noch verkaufen, ihre Glaubwürdigkeit hat sie bis auf weiters verspielt. Mit ihrem zaudernden Herantasten an die kriminelle Wahrheit, mit ihren Vertuschungs – und Verharmlosungsversuchen – im Gespräch mit der Autorin verwies ein Geistlicher statt auf die Verwerfungen in den eigenen Reihen auf die Verfehlungen der bösen Protestanten – hat sie ihr teuerstes Gut verwirkt. Wenn Meisner nun mit seiner moralischen Überhöhung vom „Super-Gau“ die Gesellschaft aufzurütteln versucht, kann das nur scheitern. Moral predigen kann nur derjenige, der sie lebt. Die Katholische Kirche aber hat sich als moralische Instanz diskreditiert. Dass die Kirchenoberen wie Meisner, wahrlich kein Leichtgewicht im römisch-katholischen Apparat, nicht erkennen, dass das Thema dieser Tage nicht die Abtreibung, sondern der eigene Autoritätsverlust ist, das ist, für die Katholische Kirche, der eigentliche Super-Gau.

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