Günther Jauch: Deutschland braucht diese Sendung nicht!

Von Stefan Heijnk, Professor für Journalismus an der FH Hannover. Ein Crosspost von www.texten-fuers-web.de

Rückblende. Sonntagabend, 20. Mai, 21.45 Uhr, Das Erste: Thilo Sarrazin trifft zur zweitbesten Sendezeit auf Peer Steinbrück. Zwischen den beiden Diskussionsgästen sitzt ARD-Vorzeige-Journalist Günther Jauch, früher: “SKL-Millionenshow”, gestern und heute: “Wer wird Millionär?”. Thema des Abends: der Euro. Genauer: Sarrazins neues Aufregerbuch mit dem Aufregertitel “Europa braucht den Euro nicht!” – in einer einstündigen Buchpräsentation.

Draußen vor dem Studio: eine kleine Schar von Anti-Sarrazin-Demonstranten mit ihren handgemalten Transparenten, sehr authentisch ins Bild gesetzt per Wackelkamera (mit Panoramaschwenk), direkt von der Straße vor dem Gasometer, alles ganz nah dran, alles ganz live. Drinnen: die wirtschaftspolitischen Giganten im medialen 1-zu-1-Duell. Nur dabei statt mittendrin: Günther Jauch.

Wer die Sendung auf youtube.com noch einmal in Ruhe Revue passieren lässt, wird Augenzeuge eines journalistischen Bankrotts. Die Höhepunkte aus 60 Minuten sehen kurz und knapp so aus:

- In Minute 22 stellt Jauch jene Frage an Sarrazin, auf die alle gewartet haben: “Betreiben wir mit dem Euro einen modernen Ablasshandel für den Holocaust im Dritten Reich?” Sarrazin antwortet in den nächsten knapp zwei Minuten auf alles, nur nicht auf die gestellte Frage. Jauch lässt ihn gewähren. Erst dann fragt Jauch nach: “Was hat das mit dem Holocaust zu tun?” Sarrazin ignoriert Jauchs Nachfrage und redet einfach weiter. Eine quälende weitere Minute vergeht. Jauch fragt noch einmal nach, Sarrazin redet weiter. Steinbrück schaut einigermaßen konsterniert zu Jauch. Jauch hört zu, zappelt auf seinem Stuhl, fragt dann beide: “Aber gibt es jetzt eine Verbindung zwischen Holocaust und Euro?” Weder Steinbrück noch Sarrazin reagieren. Sarrazin redet weiter. Vier lange Minuten nach seiner Frage hat Jauch immer noch keine Antwort, die Zuschauer auch nicht. Dann – endlich – versucht Jauch, das Gespräch zu Steinbrück zu lenken. Sarrazin aber redet weiter. Steinbrück (!) bittet Sarrazin um das Wort: “Wenn Sie mich einmal nochmal ranlassen würden, Herr Sarrazin?”. Der antwortet: “Gern!”

- Minute 39: Sarrazin monologisiert gerade wieder seit einigen Minuten. Jauch will einen Themenschnitt machen. Steinbrück empört sich: “Das kann ich doch nicht alles so stehen lassen, was der da sagt. Der kann hier den größten Bullshit erzählen! Wo kommen wir denn dahin?!” (Applaus brandet auf.)

- Sarrazin redet und redet. Jauch versucht, Sarrazins Redeschwall in fernsehgerechte Bahnen zu lenken, scheitert aber wiederholt. Steinbrück kommentiert in Richtung Jauch: “Ja, nun, Sie müssen sich schon durchsetzen!”

- Es vergehen insgesamt 55 Minuten bis Steinbrück, quasi als Klimax der einstündigen Buchpräsentation, das Bonmot des Abends liefert: “Ich bin dagegen, dass die medialen Empörungswellen Sarrazins Buch weiter aufwerten. Diejenigen, die sich an diesen Empörungswellen beteiligen, tun das Gegenteil von dem, was sie eigentlich wollen”, so Steinbrück. Und Jauch antwortet ebenso geistesgegenwärtig wie ernüchtert: “Dafür ist es jetzt zu spät.”

Talkshowzuschauerherz, was willst Du mehr?

Zum Schluss bleibt ein mediengemachtes selbstreferentielles Stürmchen im Wasserglas: Von FAZ und Handelsblatt bis zum Stern und zum Spiegel springen – einmal mehr – alle namhaften Printredaktionen kommentierend und weiterdrehend auf das Thema an und vervielfachen die mediale Präsentationsfläche für Sarrazins Thesen. Und fast alle Beteiligten dürfen sich freuen: Buch-Autor Sarrazin und Deutsche Verlags-Anstalt über einen gelungenen PR-Coups zum Abverkaufsstart inklusive vorderer Plätze auf den Bestsellerlisten. Peer Steinbrück über die Gelegenheit, sich außenpolitisch als Schutzpatron der europäischen Idee zu profilieren, also tief im Hoheitsbereich von Frank-Walter Steinmeier.

Nur Günther Jauch hat nichts zu lachen: Der entlarvt sich coram publico als einigermaßen hilfloser Journalismus-Darsteller.

P.S.: Jauchs Sendung erreichte am 20. Mai 2012 laut Kress.de 4,36 Millionen Zuschauer – etwas mehr als in der Vorwoche.

P.P.S.: Sarrazins Buch findet sich aktuell (29.05.2012) sowohl bei Amazon als auch bei Libri unter den Top 10-Sachbuchtiteln.

P.P.P.S.: Christian Rickens von Spiegel Online fand die Sendung toll.

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