Ersatzkrieg Olympia

Von Marcus Müller
8. August 2012

Würden sie nicht schon selbst reihenweise bei Olympia „versagen“, man müsste den deutschen Sportlern die Niederlage fast nahe legen. Denn so selten wie schon lange nicht mehr, haben die Spiele in London gezeigt, wie nationalistisch, oberflächlich und zynisch der Sport geworden ist. Und mit ihm – einerlei, ob in der Rolle als Henne oder Ei – die Medien.
Besonders stach das erste Wochenende der Olympischen Spiele heraus. Da schafften es doch tatsächlich die deutschen Schwimmer nicht, in den Vorläufen zu bestehen. Gleich mehreren Berliner Radiosendern waren das natürlich Schlagzeilen wert. Ob es der Entrüstung, der Trauer oder doch eher der persönlichen Beleidigung der Sportredakteure geschuldet war: Über dieses für sie offenbar vollkommen unvorstellbare Ergebnis vergaßen sie über längere Zeit dem geneigten Hörer überhaupt mitzuteilen, wer es denn stattdessen geschafft hatte. Andere Nationen? Interesse für den Sport? Fehlanzeige.
Kein Wunder, dass sich das in den folgenden Tagen fortsetzte. Doch nicht nur auf dem Boulevard zeigte sich Nationalismus gepaart mit Desinteresse am eigentlichen Sportgeschehen. Inzwischen war der gesamte Mediensprech ins Tremolo der nationalen Tragödie verfallen. Von BILD über Frankfurter Rundschau bis zu den öffentlich-rechtlichen Sendern waren nur „totale Fehlstarts“, ein „Versagen“ und „aus deutscher Sicht Enttäuschendes“ zu besichtigen“, sogar „die Ehre Deutschlands“ galt es zu retten. Niveau-Unterschiede? Ach woher, wenn es um nationale Angelegenheiten geht: Marsch, marsch in den Ersatzkrieg! Und selbst wenn es bei der taz – entgegen meiner Vermutung – doch Ironie gewesen sein sollte, als sie den Medaillenspiegel mit „Deutschland versagt“ überschrieb und erklärte, „Mauretanien und Nauru haben die gleiche Ausbeute“: Was soll mir das dann sagen?
Das ist Nationalismus bis hin zum Chauvinismus. Nicht, dass das in anderen Ländern wesentlich anders wäre. Ist es deshalb gut? Bestimmt nicht, denn ein derartiges Dramatisieren führt ja zwangsläufig zu einem Irr- und Blödsinn, der kaum mehr zu beschrieben ist – besonders in den Medien. Nachdem die Reiter die erste Goldmedaille „für Deutschland“ gewonnen hatten, stellte Spiegel Online eine Eilmeldung auf die Seite und in der Tagesschau war am Abend von einer „Erlösung“ die Rede. Was wollen die eigentlich ihrem Publikum noch entgegen schreien, wenn plötzlich die Euro-Krise und die Hunger-Probleme der Welt gelöst werden sollten oder, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, irgendwann doch irgendein Heiland den Planeten betritt?
Mehr Dramatisierung ist kaum mehr möglich, die Realität interessiert längst nicht mehr. Ein mustergültiges Beispiel lieferte dafür vor wenigen Wochen auch die Fußball-Europameisterschaft. Der deutsche Sportjournalismus verabschiedete sich dabei bis auf wenige Ausnahmen völlig. Nach ein paar guten Spielen wurde die deutsche Mannschaft auf eine Art hochgeschrieben, als sei eine normale Erörterung schon Landesverrat. So kam es, dass die Mannschaft nach Ansicht praktisch aller Medien eigentlich gar nicht verlieren konnte – und es im entscheidenden K.o.-Spiel dann einfach doch tat. Da ihr fast die gesamte Journaille das vorher verboten hatte, war hernach freilich was los. Liebeskummer ist nichts dagegen. Immerhin kommen einem dabei aber keine Vollpfosten aus der CDU oder der CSU in die Quere, die behaupten, dass das mit einem ordentlich-deutschen Grölen der Nationalhymne vorab aber nicht passiert wäre. Eine größere Freude kann man der NPD und dem braunen Neonazi-Sumpf in diesem Land wohl kaum mehr bereiten.
Wäre das alles nur Sport – geschenkt. Obwohl ich mich auch dort wohler fühlen würde, wenn mir Veranstalter und Medien nicht nur eine Ware verkaufen würden, die sie in besonders schrilles Geschenkpapier eingewickelt haben. Wenigstens könnten sie sich die zynischen Sprüche von Dabeisein, Fair Play, Anstand, gar Völkerverständigung auf der Verpackung sparen. Doch es ist eben nicht nur Sport. In seinen Veranstaltungen, der Rezeption und medialen Aufbereitung zeigt sich nur besonders deutlich ein Trend zur Vereinfachung, Oberflächlichkeit, Eskapismus, Nationalismus. Und dieser „Party-Patriotismus“ ist gerade nicht der so herbeigesehnte „unverkrampfte Patriotismus“ der Konservativen.
Schlimm genug, dass nun auch schon die öffentlich-rechtlichen Sender bei von ihnen gekauften Sportereignissen zu billigen Event-Kaspern werden. Doch sie hören damit ja – wie viele andere Medien – gar nicht mehr auf. Das Sport-Bericht-Schema findet sich längst auch in den Fragen, ob denn nun die Kanzlerin bei nächtlichen Verhandlungen in Brüssel gewonnen oder verloren habe, Gabriel oder Steinbrück in der K-Frage der SPD siegt und wer in Unternehmen das Vorstandsspielfeld verlässt. Spätestens bei diesen Fragen geht es dann nicht mehr um die schönste Nebensache der ist Welt, ist die Fan-Haltung dann doch etwas sehr schlicht.

Dieser Beitrag wurde unter Alle Artikel, Politik: Welt, STREIT-BAR abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.