Berlins neue Doku-Soap: Die Aufrüster kommen

Von Siegesmund von Ilsemann

Soll’s denn ewig von Gewitter
Am umwölkten Himmel braun?
Soll denn stets der Boden zittern,
Drauf wir unsre Hütten baun?
Oder wollt ihr mit den Waffen
Endlich Rast und Frieden schaffen?
Emanuel Geibel, 1861

Wenn die Rechte nicht weiß, was die Linke tut, kann man ihr das kaum vorwerfen, besitzt sie doch weder Augen noch Ohren, mit denen sie sehen oder hören könnte, was um sie herum geschieht. Vielmehr spendierte die Evolution dem Menschen solche Sensoren im Kopf und als Steuerungszentrale dazu ein Gehirn. Damit kann er verhindern, dass die linke Hand das wieder einreißt, was die rechte soeben aufgebaut hat.
Schade nur, dass unserer schwarz-gelben Koalition in Berlin ein so nützliches Organ offensichtlich fehlt. Anders ist der außenpolitische Amoklauf nicht zu erklären, auf den Angela Merkel ihre Regierung von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen führt, als gelte es, bloß keines auszulassen.
Den Auftakt markierte der ewige Diplomatie-Dilettant Guido Westerwelle, als er am 17. März im UN-Sicherheitsrat den „Ohne-Mich-el“ gab. Gegen den Rat seiner eigenen Fachleute und zum Entsetzen bis tief hinein in die Berliner Koalition verweigerte Westerwelle Deutschlands Zustimmung zu einem Militäreinsatz, der verhindern soll, dass Libyens Despot Muammar al-Gaddafi den Aufstand seiner Bevölkerung in ihrem eigenen Blut ertränkt.
Ein klares Nein zum „Frieden schaffen mit Nato-Waffen“ wäre vertretbar gewesen – vor allem, wenn Weltpolitiker Guido es ergänzt hätte durch ein politisches Konzept zum Umgang mit dem gesellschaftlichen Aufbruch in der arabischen Welt im Allgemeinen und Gewaltherrscher Gaddafi im Besonderen. Lob wäre dem Chef im Berliner „Haus am Werderschen Markt“ sicher gewesen, hätte er eine Alternative zur westlichen Bombenpolitik entworfen, die seit mehr als drei Monaten zwar die Munitionsbunker der europäischen Nato-Partner leert, den verhassten Revolutionsführer und seine Clique aber gleichwohl bislang nicht aus ihrer Machtbastion am Golf von Syrte vertreiben konnte.

Guidos „ohne uns“ in New York geriet zum kläglichen Offenbarungseid eines konzeptionsarmen Provinzstrategen, der Deutschland dem Gespött einer verständnislosen Welt aussetzte. Erkennbar zielte die Stimmverweigerung des deutschen Chefdiplomaten nämlich darauf, den in Umfragen gnadenlos abgestürzten Freidemokraten ein paar Sympathiepunkte bei der interventionsmüden deutschen Bevölkerung zurückzugewinnen.
Kaum vorstellbar, dass die Entscheidung, sich an der Seite von Moskau und Peking gegen praktisch den Rest der Welt zu stellen, ohne Kenntnis des Kanzleramts getroffen wurde. Dennoch schickte Angie, bestrebt, in der weltweiten Woge des Unverständnisses nicht gänzlich zu versinken, ihren Musterschüler an die Front: Verteidigungsminister Thomas de Maiziere musste dem Außenminister in die Parade fahren, ehe der noch mehr Schaden anrichten konnte.
Der Zug zum großen Nato-Abenteuer in Nordafrika war zwar längst abgefahren. Ein Aufspringen hätte den bereits strauchelnden Freidemokraten dermaßen aus der Balance bringen können, dass der Vizekanzler womöglich gar aus der Berliner Koalition gestolpert wäre. Doch als den westlichen Waffenbrüdern bereits nach wenigen Wochen die Bomben auszugehen drohten, bot der deutsche Militärminister flugs Nachschub aus Munitionsdepots der Bundeswehr an. Nach dem Motto: Wenn wir schon nicht selber schießen, dann sollen Gaddafi & Co. wenigstens deutsche Raketen und Sprengköpfe um die Ohren fliegen.
Das Angebot des Wehrministers zur Waffenhilfe aus Berlin erscheint auf den ersten Blick als genau das, was es ganz ohne Zweifel ist – eine schallende Ohrfeige für Guido Westerwelle. Doch dahinter deutet sich ein Kurswechsel der deutschen Politik an, den wenig später eine ganze Reihe fragwürdiger Entscheidungen manifestieren sollten.
„Es mag am deutschen Wesen einmal noch die Welt genesen“, endet das eingangs zitierte Gedicht des spätromantischen Lyrikers Emanuel Geibel. Diesen Sinnspruch für germanische Weltverbesserer hat sich nun offenbar auch Reichskanzlerin Merkel zu Eigen gemacht. Und da sich das Wesen so schlecht vermarkten lässt, ersetzte sie es einfach durch ein anderes W-Wort: Waffen.
Gewiss, nicht erst Schwarz-Gelb hat die Bundesrepublik klammheimlich auf Platz Drei der Weltrangliste aller Rüstungsexporteure gehievt. Egal ob sozial-liberal, rot-schwarz oder das Duo Schröder-Fischer – alle Vorgänger unserer heutigen Regierung haben mitgerüstet. Mal wurden anrüchige Geschäfte mit Waffensystemen, Munition und anderem Kriegsgerät offen gefördert, mal mit verschämt niedergeschlagenen Augen toleriert. Nie aber wurden die aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs geborenen Beschränkungen für deutsche Rüstungsexporte so flagrant missachtet wie jetzt unter Angela Merkel.
Keine deutschen Waffen in Krisengebiete und schon gar kein Rüstzeug für Gegner Israels – nicht einmal der große Freund der Waffenlobby, Franz-Josef Strauss, wagte es, offen diese Schamgrenzen für deutsche Rüstungsausfuhren zu verletzen. Dieser Tabubruch bleibt der ersten deutschen Kanzlerin vorbehalten.
Dabei hatte ihr Außenminister bei seinem Amtsantritt noch Abrüstung zum zentralen Thema seiner Agenda erhoben. Nun geht die Kanzlerin offensichtlich auch in dieser Frage auf Gegenkurs zu ihrem Chefdiplomaten.
Dass Libyen mit Hilfe deutschen Rüstzeugs von den Übeln des Gaddafi-Regimes genesen soll, ist nur ein Indiz für die politische Kehrtwende. Ein weiteres ist der Geheimbeschluss des Bundessicherheitsrats, den Export von 200 hochmodernen Kampfpanzern vom Typ „Leopard 2“ nach Saudi-Arabien zu genehmigen.
Zum Ärger seiner Drahtzieher wurde dieser Deal bekannt. Zu gerne hätten sie den brisanten Tabubruch der Öffentlichkeit vorenthalten. Selbst wenn man einmal davon absieht, dass derlei Geheimdiplomatie mehr der monarchistischen Gesinnung Geibels entspricht als dem Staatsverständnis in einer Demokratie, erschreckt der Bundessicherheitsrat, das höchste mit Sicherheitspolitik befasste Gremium der Berliner Republik, mit seiner kaltschnäuzigen Prinzipienlosigkeit.
Zu Gunsten dieses Milliarden-Geschäfts walzt die Regierung Merkel nun auch noch die letzten Schranken nieder, die das boomende deutsche Rüstungsgeschäft bislang noch eingrenzten. Das Wüstenkönigreich, das sich bislang einem Friedensschluss mit Israel verweigerte, gehört – zumindest potentiell – zu den Gegnern des jüdischen Staates. Als Hauptakteur im endlosen Nahostkonflikt ist es zudem Teil eines der gefährlichsten Krisengebiete unserer Zeit. Schon für sich genommen, müsste jeder dieser Faktoren nach geltenden deutschen Ausfuhrrichtlinien die Lieferung von Waffen „made in Germany“ an Riad ausschließen.
Aber es kommt noch schlimmer: Mitte März eilte König Abdullah Al Saud seinem Amtsbruder in Bahrain mit 10000 Soldaten zu Hilfe. Die saudischen Elitetruppen sollten mit dieser völkerrechtswidrigen Aktion jene panarabische Demokratiebewegung unterdrücken, die auch in der Zwerg-Monarchie am Golf die Straßen der Hauptstadt Manama zu erobern drohte.
Dass Berlin ausgerechnet der Regierung, die mit brutaler Gewalt die frischen Triebe des „arabischen Frühlings“ zertrampeln half, Waffen liefern will, die eigens für die Niederschlagung von Aufständen „optimiert“ wurden, macht die vollmundigen Reden, mit denen deutsche Politiker alle Couleur zuvor die Befreiungsbewegungen als Aufbruch in eine neue, bessere Zeit gefeiert hatten, zu wohlfeilem Geschwätz. Mit dem Räumschild des Leopard 2A7+, der neuesten Entwicklungsstufe des deutschen Wunder-Panzers, können Riads Truppen künftig noch effektiver Straßensperren von Demonstranten abräumen, die sich für Demokratie und Freiheit einsetzen. Mit seiner eigens zu diesem Zweck entwickelten Spezialbewaffnung kann der „Leo“ zudem Überlegenheit auch im Straßenkampf demonstrieren, sollte eine jahrzehntelang unterdrückte Bevölkerung in ihrer Not gar zu Waffen greifen.
Der Deal sei mit den USA und Israel abgestimmt, versuchte Merkel abzuwiegeln. Dass der Welt-Aufrüster Nummer Eins, die Vereinigten Staaten, an solchen Geschäften nichts Anstößiges findet, kann kaum überraschen. Und Israel scheint weit mehr daran interessiert zu sein, dass die Despoten des Nahen Ostens im Sattel bleiben, als dass frei gewählte Regierungen womöglich nicht mehr so duldsam die Besatzungspolitik des jüdischen Staates tolerieren, wie es die allein auf ihren Macherhalt bedachten arabischen Gewaltherrscher zunehmend getan haben.
Außerdem versprach Rüstungsminister de Maiziere wenig später den Israelis weitere deutsche Waffenhilfe. So fördert Berlin mit einem stattlichen Zuschuss von 135 Millionen Euro auch noch den Verkauf der letzten von sechs hochmodernen U-Booten aus deutschen Werften, obwohl Israel die anderen Boote gleich mit übergroßen Torpedorohren ausstatten ließ – nach Expertenmeinung vor allem zu dem Zweck, um daraus auch Marschflugkörper mit Atomsprengköpfen abfeuern zu können.
Die Waffenhilfe für Israel hat zwar aus historischen Gründen bereits unselige Tradition. Sie war und ist aber ein Verstoß gegen das Gebot, keine Rüstungsgüter in Krisengebiete zu liefern.
Dass dieser Grundsatz faktisch nicht mehr gilt, demonstrierte die Kanzlerin kurz darauf bei ihrer Afrikareise. In Angola verkündete sie stolz ihre Bereitschaft, dem bitterarmen Land sechs deutsche Patrouillenboote zu verkaufen. Der Umstand, das Schiffe zum Küstenschutz kaum zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung eingesetzt werden können, kann nicht rechtfertigen, dass Deutschland mit nutzlosem Rüstzeug die Ressourcen eines Landes zu verpulvern hilft, das noch immer unter den Folgen eines blutigen Bürgerkriegs leidet, der dort – auch mit deutschen Waffen – ausgetragen wurde.
Bei Booten wird es wohl nicht bleiben. Angeregt durch Merkels Lieferfreude, formulierte Angolas Staatspräsident José dos Santos den Wunsch vieler afrikanischer Staaten. Statt ihren Not leidenden Bevölkerungen aufzuhelfen, wollen sie lieber ihre Armeen aufrüsten – zum Schutz der eigenen Macht und gegen allgegenwärtige Feinde jenseits der Grenzen auf diesem zerrissenen Kontinent.
Bei so viel Einsatz für deutsche Waffenschmieden wundert es nicht, dass Mitreisende der Kanzlerin es für wahrscheinlich halten, dass auch in Kenia und Nigeria hinter verschlossenen Türen über deutsche Rüstungshilfe gesprochen wurde. Fast scheint es, als zielte die Verkaufsoffensive der Regierung Merkel vor allem darauf, der deutschen Rüstungsindustrie Märkte zu öffnen, auf denen sie mörderische Produkte losschlagen kann, für die es Dank der Verkleinerung der Bundeswehr in Deutschland keinen Abnehmer mehr gibt.
Dass einer Wirtschaftsförderung dieser Art auch die letzten Schamgrenzen zum Opfer fallen, gilt im Kanzleramt wohl als unvermeidlicher und hinnehmbarer Kollateralschaden.

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