Leise rieselt der Fremdenhass

Von Marion Kraske

Nun sind es also mehr als 17.000, 17.000, die in Dresden auf die Straße gehen, um das „Abendland“ zu retten. Vor wem und was? Vor der akuten Islamisierung, so zumindest die offizielle Version. Ganz genau erfährt man das ja nicht. Wenn man das so in den Nachrichten hört und liest, muss man unwillkürlich denken: Der Postillion hat wieder zugeschlagen. Die Satire hat das Nachrichtengeschäft übernommen. Leider ist dem nicht so.

Sie meinen es nämlich ernst, dort in Dresden. Ein Heer von selbst ernannten GoodGuys, die vorgeben, allesamt hehre Ziele zu verfolgen. Leider ist auch dem: Nicht so.

Versuchen wir es zur Versachlichung einmal mit den Fakten: Wer bei einer Ausländerquote von aktuell 2,5 Prozent in Sachsen auf die Straße geht wie die Dresdner „Patrioten“ und das eigene Land, das “Abendland”, bedroht sieht, ist entweder nicht im Bilde (was bei etlichen Pegida-Anhängern der Fall sein dürfte) oder ihm ist das tatsächliche Bild der Zuwanderung sowieso wurscht. Weil es ohnehin nicht um Fakten geht, sondern um Stimmungsmache. Um freie Fahrt für Fremdenhass.

Das Kerngeschäft von Pegida ist recht einfach: Nicht bewiesene Behauptungen und Vorwürfe werden da in den Raum gestellt, gepaart mit Vorurteilen und Vereinfachungen. Es geht um Masseneinwanderung. Um Job-Wegnahme. Um Terrorismus. Um Kriminalität, klar. Um die da, die Fremden und wir hier in Deutschland, genauer: im sächsischen Elbtal.

Doch während es in Dresden immer mehr werden, die den Islam als Vorwand nutzen, um fremdenfeindliche Simplifizierungen und Umdeutungen auf die Straße zu tragen, fühlen sich auch andernorts Retter des Abendslandes berufen, ihrem sendungsbewussten Bauchgefühl nachzugehen: In Dormagen prangern seit einigen Tagen an dem Rohbau einer Moschee Sprüche wie: „Nieder mit dem Islam in Deutschland“ oder noch schlichter: „Heil Hitler!“. In Kassel nennt sich ein Haufen versprengter Kagida (Kassel gegen die Islamisierung des Abendlandes), in Bonn erklärte eine 36-Jährige Initiatorin des Bündnisses Bongida (Bonn gegen die Islamisierung des Abendlandes) mit knallhart rechtsextremer Vergangenheit unverblümt, dass es für sie „völlig unerheblich sei, ob es den Holocaust gegeben“ habe. Das sei schließlich 70 Jahre her. Und in Nürnberg brennen Asylunterkünfte – das hatten wir schon mal – wenn auch noch nicht bezogene.

WIR gegen DIE

Quer durch die Republik trauen sie sich wieder was, die angeblichen Freunde des Abendlandes, trefflicher wäre wohl: Feinde der Demokratie. Sie alle schleudern wohlbekannte Versatzstücke des fremdenfeindlichen Diskurses in den Raum: Die und wir, die Kriminellen, die Sozialschmarotzer, die Zuwanderer, die Flüchtlinge, DIE als homogene Masse. Die Fremden, die Ungewollten. DIE da – mit ausschließlich negativer Konnotation. Und WIR hier die Guten, die Rechtschaffenen. WIR, die das Hausrecht haben, die Abendländer (was soll das eigentlich sein?), die die Wahrheit gepachtet haben, die das Recht haben, alles und vor allem Nein zu sagen- zu wem auch immer.

Der Bielefelder Rechtsextremismusforscher Wilhelm Heitmeyer nennt diese vereinfachte (Ab-)Qualifizierung „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Nicht mehr das Individuum wird gesehen, sondern einzig und allein die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, einer die von ihrer Wertigkeit her unter der „Wir“-Gruppe verortet wird. In der kruden Argumentation von Pegida ist jeder Zuwanderer ein potenzieller Glaubenskrieger, ein Islamist, eine Bedrohung, eine Gefahr. Fremdenfeindliche Stimmungsmache in Reinkultur.

An Zahlen und Fakten werden die angeblichen Probleme bei Pegida ja ohnehin nicht festgemacht. Das Bauchgefühl, dieser Sensor des Ungebildeten und Uninformierten, muss reichen, eine unbestimmte Angst vor einer unbestimmten Überflutung durch unbestimmte Fremde, die Pegida aber auch andere „Abendlandretter“ formulieren. So kommen die vorgetragenen Botschaften mehr als schwammig und nebulös daher – Statistiken gelten ihnen ohnehin als getürkt. Wird ja sowieso alles hingebogen und hingelogen, so die Aussage von Pegida-Organisatoren. Wir haben Recht, die da, die anderen, auch die Statistiker, haben unrecht. So die schlichte wie entlarvende Pegida-Argumentation.

„Rassistische Bewegung“

Bezeichnend für den Geist der Anti-Islam-Bewegung sind zudem Reaktionen der Demonstranten, wenn Medienkollegen sie auf ihre Motive ansprechen. Kameras werden dann wütend weggedrückt, Journalisten bepöbelt, die miese Lügenpresse gegeißelt. Halt die Fresse, Lügenpresse. So schlicht und so einfach ist das Weltbild der peinlichen Patrioten.

Kritik am System muss als Teil eines demokratischen Diskurses erlaubt sein. Wenn aber Medien per se angegriffen und verunglimpft werden, weil sie angeblich immer und überall die Unwahrheit sagen, stimmt etwas nicht. Die Haltung, über die einzig wahre Wahrheit zu verfügen, ohne sich gleichzeitig auf tatsächliches Wissen und nachvollziehbare Fakten berufen zu können oder zu wollen, offenbart hingegen eine zutiefst anti-demokratische Gesinnung.

Der Göttinger Rechtsextremismusforscher Samuel Salzborn urteilt denn auch über Pegida:: “Pegida ist ohne Wenn und Aber eine rassistische Bewegung, die ihren Ausgangspunkt in Dresden – einer Hochburg des Rechtsextremismus im Osten – hat. Allein bei der letzten Landtagswahl in Sachsen kamen NPD und AfD zusammengenommen in den Dresdner Wahlkreisen auf rund 27.800 Zweitstimmen und in den letzten Jahren gab es immer wieder rechtsextreme Großdemonstrationen in Dresden. Daran kann Pegida anknüpfen.”

Verhöhnung der 1989er Revolution

Infam wird die Haltung der Dresdner Demonstranten, wenn diese so tun als stünde das Aufbegehren gegen den Islam in der Tradition der 1989er Revolution. Ein intellektueller Witz, der die historische Leistung all jener Bürgerrechtler und Bürger veröhnt, die einst für demokratische Ziele auf die Straße gingen. Wir sind das Volk, tönt es dieser Tage in Dresden. Nein, Pegida ist zum Glück nicht das Volk, ein kleiner Teil, nicht mehr, angesichts des antidemokratischen Giftes, der von ihnen versprüht wird, aber ein gefährlicher.

“Pegida scheint eine große Bewegung zu sein, letztlich sind aber ein paar Tausend Menschen nur ein Minimalteil der Gesellschaft. Man sollte das medial nicht überschätzen, denn hier marschieren diejenigen rassistischen Rebellen, die grundsätzlich demokratiefern sind und an der Politik vor allem auszusetzen haben, dass diese nicht ihre egoistischen Partialinteressen vertritt. Das Schlagwort ‘Islamisierung’ ist lediglich ein Vorwand, um rassistische und völkische Positionen öffentlich zu platzieren“, so formuliert es der Göttinger Sozialforscher Salzborn.

1989 ging es darum, Grundrechte wie Freiheit und Gleichheit zu erwirken. Und auch heute, im Angesicht der Pegida-Agitation, muss es darum gehen, diese in unserer Demokratie verankerten Grundrechte für alle in diesem Land zu bewahren. Nicht jeder Muslim ist ein Islamist. Nicht jeder Fremder ein Krimineller, ein Attentäter. Wer so denkt ist ein Rassist. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

Die Würde des Menschen muss verteidigt werden

Die Würde des Menschen ist unantastbar – dieser Grundsatz muss für alle Religionen gelten. Es gilt, diesen Grundsatz zu wahren und offen zu kommunizieren. Unser Grundrechtekanon steht über faktenfreiem, rassistisch motiviertem Bauchgefühlen frustrierter Was-auch-immer-Retter. Nicht weniger infam ist es, sich zu versammeln und Weihnachtslieder zu singen, um dem Fremdenhass nur ja ein harmloses Mäntelchen überzustreifen. Welch Bigotterie! Umso wichtiger ist es, dass die Evangelische Kirche den erbärmlichen Pegida-Hokuspokus als unchristlich brandmarkt. Christen dürfen sich an Ausländer-Hetze nicht beteiligen, das ist die Botschaft.

Angesichts des stetig steigenden Zulaufs von Pegida und andernorts ist es an der Zeit, dass alle demokratisch gesinnten Kräfte dieses Landes Tacheles reden. Nicht Dialog ist das Gebot der Stunde, nicht Verständnisschwurbelei a la Broder und Di Lorenzo, sondern die klare Abgrenzung von Pegida und anderen Gesinnungstätern. Das antidemokratische, rassistische Element der Islamfeinde muss klar benannt werden. Und überhaupt: Warum sollte man mit Rassisten Gespräche führen? Und worüber? Über unzumutbare Verallgemeinerungen? Über Geschichtsklitterung? Über Hetze, über die hasserfüllte Leier vom islamischen Gotteskrieger, der uns alle den Garaus machen will? Oder gar über die frohe Weihnachtsbotschaft und das, was die peinlichen Patrioten darin alles NICHT verstehen?

Nein, es bedarf der klaren Aussage, dass die Mehrheit dieses Volkes Hetze gegen Minderheiten und Zuwanderer nicht will, dass Verallgemeinerungen über Menschen anderen Glaubens weder christlich noch abendländisch noch demokratisch sind, dass Stimmungsmache und die Verbreitung von Vorurteilen nicht harmlos, sondern brandgefährlich sind. Mölln und Rostock-Lichtenhagen dürfen sich nicht wiederholen. Wo geistig gezündelt wird, da bastelt womöglich auch jemand wieder Brandsätze. Deswegen muss man der Pegida-Bewegung ein klares STOPP entgegen setzen. Hass und Hetze – nicht hier, im Abendland, nicht mit uns.

Öffentlich bedarf es der Klarstellung, dass es egal ist, ob Neonazis in Springerstiefeln marschieren oder ach so harmlose Wut- und Angstbürger zum vor Fremdenfeindlichkeit geifernden Spaziergang trommeln. Rassismus bleibt Rassismus, Fremdenfeindlichkeit bleibt Fremdenfeindlichkeit. Menschenverachtung bleibt Menschenverachtung, egal wie gut der Cordblazer oder Nadelstreifenanzug sitzt.

Es bedarf der Klarstellung, dass auch die angeblich so gutbürgerliche AfD fremdenfeindliche Hetze und einen sozial ausgerichteten Rassismus propagiert. Egal, wie viele Professoren und vermeintliche Gutbürgerliche sie in ihren Reihen zählt. Auch hier bedarf es der klaren Abgrenzung und klarer Worte: Nein, nicht mit uns, da ein guter Teil der AfD-Losungen ebenfalls antidemokratisches und somit rechtsextremes Gedankengut offenbaren.

Abschreckendes Beispiel Österreich

Im Nachbarland Österreich lässt sich exemplarisch beobachten, was passiert, wenn die Abgrenzung zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus im öffentlichen Diskurs nicht mehr gelingt. Ein Cordon Sanitaire, wie wir ihn hierzulande zu rechtsextremen Ideologien noch kennen, gibt es im Alpenland schon lange nicht mehr.

Die rechtsradikale FPÖ des verstorbenen Agitators Haider verbreitet seit Jahren rassistische und islamfeindliche Hetze – die etablierten Parteien schauen dabei mehr oder weniger untätig zu. Ja mehr noch, wenn es ihnen parteitaktisch in den Kram passt, gehen sie mit den Antidemokraten Bündnisse ein, wählen sie gar in wichtige Staatsämter. Der demokratische Grundkonsens wird auf diese Weise seit Jahren nachhaltig perforiert. Kein Wunder, dass es angesichts der fehlenden Abgrenzungen zu den gezielten Provokationen der FPÖ nicht einmal mehr ausgeschlossen wird, dass die Rechtsausleger einmal das Wiener Kanzleramt erobern könnten.

Damit es hierzulande nicht so weit kommt, sind alle gefragt. Die Politik muss sich positionieren, die Medien und alle, denen Demokratie kein festgeschriebener Status Quo ist, sondern in ihr eine Herausforderung sehen, die verteidigt und immer wieder neu erkämpft werden muss. Wir brauchen dieser Tage keine Kauders, die wenig christlich und ohne Not die Praxis des Kirchenasyls attackieren statt klare Worte gegen Hass und für eine humane Flüchtlingspolitik zu formulieren. Wir brauchen keine Broders, die die Hetze von selbsternannten Abendlandrettern noch verstärken, indem sie ihre eigenen, von Ressentiment durchtränkten Allgemeinplätze in den Raum werfen. Wir benötigen verantwortungsbewusste Stimmen, die den Geist einer offenen, toleranten Gesellschaft vertreten. Wir benötigen klare Worte und klare Taten, um Fremdenhass klein zu halten. Nicht nur zu Weihnachten.

Weiterführende Literatur:
Samuel Salzborn: Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze, Nomos/UTB: Baden-Baden 2014.

Die neueste Studie zum Thema Rechtsextremismus findet sich hier:

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