Pegida: Rassistische Volksbewegung

Die Politik reagiert hilflos auf Pegida – und unterscheidet zwischen bösen Nazis und unbedachten Normalbürgern. Zwischen bürgerlicher und radikaler Fremdenfeindlichkeit zu unterscheiden ist ebenso beliebt wie gefährlich. Seit Jahren wird die grassierende Menschenverachtung der gesellschaftlichen Mitte ignoriert. Das liberale Deutschland muss endlich lautstark und mit guten Konzepten für eine offene Gesellschaft eintreten.

Von Michael Kraske

Jetzt wundern sich alle. Über Pegida und alle Ableger mit ähnlich bescheuerten Namen wie Duegida oder Legida. Über die wütenden Normalbürger. Die Angst. Den Hass. Bemerkenswert an Pegida ist aber nur, dass es so lange gedauert hat, bis der bürgerliche Mainstream-Rassismus eine Form und einen vernehmbaren Ausdruck gefunden haben: Den Spaziergang mit Deutschland-Fahne. Das geklaute „Wir sind das Volk“, das schon die Fackelmärsche gegen Asylbewerber im sächsischen Schneeberg begleitete. Das Selbstbewusstsein derjenigen, die sich als Retter des Abendlandes aufspielen und sogar die Weihnachtsgeschichte vom Flüchtlings-Paar in Bethlehem missbrauchen, um gegen Flüchtlinge und Muslime zu hetzen.

Fremdenfeindlichkeit und Rassismus haben sich seit Jahren in die Identität derjenigen gefressen, die als Bürgertum und Mitte der Gesellschaft gelten. Ein Viertel der Westdeutschen und ein Drittel der Ostdeutschen stimmen über einen langen Zeitraum stabil ausländerfeindlichen Parolen zu. Die Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung und die Bielefelder Untersuchungen zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit haben immer wieder die zunehmenden Abwertungen von Minderheiten gemessen und vor dem Verlust an Solidarität und Toleranz in der Gesellschaft gewarnt. Ein Drittel der Ostdeutschen fühlt sich seit Jahren “in gefährlichem Maß überfremdet”. Die Politik hat das kontinuierlich ignoriert. Um den dämmernden Furor nicht zu wecken, von dem man spätestens seit Sarrazins Hobby-Eugenik wusste, dass er mehrheitsfähig ist. Der sich seither periodisch in der Attitüde des unbequemen und von der “linken Mainstream-Presse” unterdrückten Wahrheitenaussprechers zeigt: Man wird ja wohl noch sagen dürfen, dass…Nichts gegen Ausländer, aber…

Flut, Strom, Masse

Jetzt vermischen sich diffuse Ängste vor Flüchtlingen im Allgemeinen und einer wie auch immer gearteten Islamisierung im Besonderen mit der Pose des basisdemokratischen Wutbürgers. Die Angst vor dem Fremden richtet sich neuerdings zielgerichtet gegen Asylbewerber und Moslems. Von SPD bis CDU äußert man angesichts des anschwellenden Aufbegehrens auf der Straße Verständnis für die „Ängste und Sorgen“ der selbsternannten Abendlandretter und unterscheidet kategorisch zwischen bösen Nazis und unbedachten Normalbürgerdemonstranten. Als gebe es legitime und verachtenswerte Fremdenfeindlichkeit. Rassismus bleibt aber Rassismus. Egal, wer ihn durch die Straßen trägt. Diesen Rassismus muss man in der Tat ernst nehmen, weil er Menschen ihrer Individualität beraubt und zu einer kollektiven Gefahr erklärt. Zum Strom. Zur Masse. Zur Flut. Rostock-Lichtenhagen hat gezeigt, was passiert, wenn verbal gezündelt wird. Wenn Gewalt durch die Heraufbeschwörung apokalyptischer Szenarien motiviert wird. Lange haben die Pogrome von Lichtenhagen die öffentliche Agitation gegen Asylbewerber tabuisiert. Dieses Tabu bröckelt seit einiger Zeit. Anwohner rufen wieder: Nicht hier, nicht bei mir. Pegida hat dem Abwehr-Reflex eine Form und einen Namen gegeben.

Wer oder was ist denn nun Pegida? Um die Fragwürdigkeit der Bewegung zu belegen, reiten die Medien genüsslich auf der kriminellen Vergangenheit ihres Gründers Lutz Bachmann herum. Ganz so, als wären die fremdenfeindlichen Forderungen und geschürten Ängste weniger schlimm, wenn sie von einem Ehrenbürger initiiert worden wären. Pegida zeigt, wie unsinnig es ist, die Bewertung ideologischer Argumente davon abhängig zu machen, wer sie vorträgt.

Phantom-Angst Überfremdung

Der rassistische Kern der Bewegung steckt schon im Namen: Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Das Abendland wird zur zusammengehörenden Schutzzone stilisiert, der die kulturelle Überfremdung durch den Islam drohe. Das Konstrukt einer Überfremdung setzt jedoch das Ideal einer Rasse- oder kulturellen Reinheit voraus. Pegida bewegt sich damit auf dem argumentativen Boden der französischen Nouvelle Droite, die das Recht auf kulturelle Identität ausrief: Homogene Völker in einer heterogenen Welt, nicht umgekehrt, so deren Parole. Auch die Neue Rechte wollte Europa vor wesensfremder und zerstörerischer Vermischung mit anderen Kulturen retten. Journalisten nennen Pegida gern “islamkritisches Bündnis”. Mit dieser Verharmlosung drückt man sich darum herum, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus beim Namen zu nennen.

Nun sind die Gesellschaften des Abendlandes aber gar nicht als ethnisch reine oder dem Christentum verpflichtete Kulturnationen verfasst, sondern als freiheitliche Demokratien, wo jeder im Rahmen der Gesetze nach seiner Facon glücklich werden darf. Um Pegida zu widerlegen, werden reflexhaft der sächsische Ausländeranteil von 2,5 Prozent angeführt oder die wenigen Tausend Muslime in diesem Bundesland. Pegida-Kritiker entlarven die kollektive Angst vor dem Fremden richtigerweise gern als Phantom-Angst, aber kaum jemand widerspricht kategorisch.

Wie geht Überfremdung?

Was soll das denn überhaupt sein, Islamisierung, Überfremdung? Wie viele Muslime braucht es, um eine Region zu überfremden? Und wie geht Überfremdung praktisch? Wenn ein Muslim friedlich seinen Glauben praktiziert? Wenn eine Moschee gebaut wird? Ein Kopftuch getragen wird? Und wie viele Kopftücher und Moscheen braucht es eigentlich für eine gelungene Überfremdung? Oder reicht es schon, eine andere Herkunft zu haben, um zu überfremden? Muss man als Fremder nur da sein? Überfremdet jeder einzelne ein bisschen oder nur, wenn er zur Masse wird. Und wer legt fest, wie viel Fremdes zu fremd ist? Und wer überhaupt ein Fremder ist? Ein Leipziger in Dresden? Ein Wessi, ein Ausländer, ein Muslim?

Ja, es ist absurd, dass sich Menschen vor Muslimen fürchten, die im Alltag nie einem begegnen. Aber viel wichtiger als sich auf Zahlenspiele einzulassen wäre es, das Recht auf individuelle Verschiedenheit gegen das auf kollektive zu verteidigen. Vor lauter verständnistriefender Defensive bleibt die ungeheure Anmaßung unwidersprochen. Die Vereinnahmung nicht nur einer Stadt, sondern eines ganzen Erdteils zum Zwecke der kulturellen Reinheit.

An dem rassistischen Ideologie-Kern von Pegida ändert auch das Positionspapier nichts, das seit Tagen im Internet kursiert. Die 19 Thesen widersprechen sich zum Teil gegenseitig. Einerseits wird betont, man wende sich „nicht gegen hier lebende, sich integrierende Muslime“, andererseits ruft man die „Erhaltung und den Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur“ aus und fordert eine „Pflicht zur Integration“. Müssen Moslems also ihrer Religion abschwören? Dürfen sie ihren Glauben nicht praktizieren? Die Islamophobie wird ergänzt durch krude Forderungen zum Asylrecht. Ja, Kriegsflüchtlinge soll man aufnehmen und sogar dezentral unterbringen, aber es müsse „Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten“ gelten. Vor dem deutschen Gesetz ist jeder gleich, Pegida will zwischen Inländern und Ausländern unterscheiden. Rassismus soll institutionalisiert werden.

Vielen Pegida-Demonstranten mögen solche Feinheiten weder bewusst noch wichtig sein. Entscheidend ist für sie das Bauchgefühl, die subjektiv empfundene Bedrohung der eigenen, deutschen Identität. Das Gefühl, ein Fremder im eigenen Land zu sein. So grotesk das in einer ausländerarmen Region wie Sachsen auch sein mag. Das Kulturbüro Sachsen hat Pegida treffend einen Resonanzraum für Rassismus genannt. In dem diffuse Ängste vor eingeschleppten Epidemien, amerikanisch-jüdischer Fremdbestimmung und männlichen, arbeitsscheuen Ausländern ausgelebt werden können. Solche Stereotype sprechen Demonstranten in hingehaltene Mikrofone der “Lügenpresse”. Die ekelhaften Bilder des Folter-Skandals von Burbach und die Berichte über die menschenunwürdigen Zustände in den Asyllagern des Landes haben bei ihnen kein Mitgefühl erzeugt, sondern die mit dem Thema Asyl verbundenen Ängste erst richtig angestachelt. Diese selbstunsicheren Verlustängste unter dem Banner christlich-jüdischer Kultur und mit basisdemokratischer Attitüde herum zu tragen, ist eine neue, perfide Qualität. Rechts will man dabei nicht sein. Aber Seite an Seite mit Neonazis zu marschieren ist auch kein Problem. Auch nicht für Pegida-Sympathisanten von der AfD.

Kein Plan, kein Konzept

Seit Kohls Asyl-Kompromiss hat es politisch niemand gewagt, ein Konzept zu entwickeln, das Flucht und Zuwanderung nicht nur als gesellschaftliche Realität begreift, sondern auch als Zukunfts-Modell, das es auszugestalten lohnt. Bis hin zu den Grünen hat man sich auf den faulen Kompromiss geeinigt, Deutschland als eine von sicheren Drittstaaten umgebene Insel ohne nennenswerte Zuwanderung zu betrachten. Das Ideal einer offenen, vielfältigen Gesellschaft, in der Herkunft nicht die entscheidende Rolle spielt, ist politisch nie mit Inhalt gefüllt worden. Ein solch fortschrittliches Gesellschaftsmodell inklusive Regeln für Zuwanderung zu entwickeln hätte in der Kernkompetenz der Grünen gelegen. Das haben sie sich in ihrer rot-grünen Regierungszeit unter Schröder nicht getraut. Nicht mal für menschenwürdige Unterkünfte von Flüchtlingen sind sie eingetreten. Wie wir mit Menschen umgehen, die zu uns kommen – egal, ob als Flüchtling oder Migrant – , wie sie gesellschaftliche Teilhabe erlangen können, das interessiert CDU, SPD, FDP, Grüne und Linke bis heute nur am Rande. Die Grünen haben sich gerade dafür entschieden, Ernährung zum Top-Thema der Zukunft zu machen.

Statt für innovative Gesellschaftsmodelle zu werben galt es milieuübergreifend als Zeichen gesellschaftlicher Emanzipation, zu Weltmeisterschaften unverkrampft mit Deutschlandfahnen zu wedeln. Die Liberalen im Land haben es hingenommen, dass ein normales Miteinander unterschiedlicher Herkünfte und Identitäten von Konservativen als Multi-Kulti-Hirngespinst denunziert und nationale Party-Symbolik als allgemein identitätsstiftend akzeptiert wurde. Die Frage, wie deutsch dieses Deutschland sein soll oder ob die Fußball-Nationalmannschaft mit ihren Özils und Khediras nicht sogar Vorbild für die gesamte Gesellschaft sein kann und soll, blieb ohne konkrete Antworten. Die Debatte ging nicht sehr weit über Fußball hinaus.

Verständnis für Hirngespinste

Jetzt reagieren Politiker mit den bekannten Reflexen auf die irrationale Angst vor dem Fremden. Vor allem unter Christdemokraten ist es beliebt, diese ressentimentgeladenen „Ängste und Sorgen“ der Bürger dergestalt ernst zu nehmen, dass man sie weiter anfacht. Das sieht dann so aus, dass der sächsische CDU-Innenminister Markus Ulbig als Reaktion auf Pegida eine Spezialeinheit der Polizei gegen kriminelle Asylbewerber ankündigt. Fremdenfeindlichkeit wird zum Anlass für fremdenfeindliche Symbolpolitik genommen. CDU-Politiker erklären, abgelehnte Asylbewerber noch rigider abschieben zu wollen. Mit diesem pervertierten Politikverständnis auf dem Rücken von Flüchtlingen bescheren sie dem diffusen Rassismus der Straße konkrete Erfolge.

Es bleibt den Kirchen überlassen zu erklären, dass Hilfe und Schutz für Flüchtlinge sich aus dem Kern christlich-abendländischer Werte ableitet. Den Demonstranten, die sich vor „Flüchtlingsströmen“ und „Masseneinwanderung“ fürchten und beklatschen, wenn Redner schwadronieren, dass sich deutsche Rentner zu Weihnachten nicht mal einen Christstollen leisten könnten, während in den Asylheimen Vollverpflegung herrsche, fällt derweil nicht mal auf, dass sie für ihre Agitation mit Jesus ausgerechnet das berühmteste Flüchtlingskind der Welt instrumentalisieren. Dass Politiker, die sich christlich nennen, das nicht mit der ganzen Wucht ihrer Überzeugung anprangern, ist beschämend.

Dresden – kein Zufall

Dresden ist nicht zufällig das Zentrum dieser außerparlamentarischen, rassistischen Bewegung geworden. Der Politikwissenschaftler Michael Lühmann hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass der „Extremismus der Mitte“ in Sachsen seit Jahren fest verankert ist und dort kultiviert wird. Mit der allgegenwärtigen Überhöhung des Sachsentums, der Gleichsetzung von Links und Rechts, mit der man Rechtsextremismus ausschließlich als Phänomen gewalttätiger Neonazis wegdeutet und auf diese Weise die inhaltliche Diskussion um Ausländer-, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus verhindert.

Während in Mügeln, Limbach-Oberfrohna, Mittweida oder Geithain mehr oder weniger organisierte Neonazis Jahre lang Abweichler und alternative Jugendliche terrorisierten, organisierten CDU-Mitglieder die „Aktion Linkstrend stoppen“. Die Aufklärung des NSU-Terrors wurde in Sachsen dagegen verschleppt, obwohl Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt hier ihre Basis und Helfer hatten. Anstatt rechtsextreme Ideologie und Akteure gleichermaßen zu bekämpfen, wurden Scheingefahren herauf beschworen (Stichwort: Extremismus-Klausel) und Ruhestörer (gern Demonstranten gegen Nazis) verfolgt. Über Jahre wurden Herkunft und sächsische Eigenart idealisiert, in der alles beargwöhnt wird, was irgendwie anders daher kommt. Auf diesem Fundament bewegen sich die Pegida-Demonstranten bei ihren „Spaziergängen“. Gleichwohl beweisen die Ableger in anderen Städten dass die Sehnsucht nach Abschottung und Besinnung auf nationale Identität auch anderswo wächst.

Die Stimme der anderen

Deutschland ist gespalten. Die einen demonstrieren dafür, dass Vorurteile und irrationale Ängste nicht nur berechtigt sind, sondern auch in Politik umgesetzt werden sollen. Sie sind laut und sichtbar, auch wenn sie sich als Opfer der „Lügenpresse“ stilisieren. Auf der anderen Seite engagieren sich Tausende lautlos und nahezu unbemerkt für Flüchtlinge – geben Sprachkurse, organisieren Begegnungen, sammeln Kleidung und Spielzeug. 23 Millionen Menschen im Land engagieren sich ehrenamtlich. Und die allermeisten, die sich als Jugendtrainer oder Altenbetreuer für andere einsetzen, unterscheiden dabei nicht, ob derjenige, den sie trainieren oder besuchen in Aalen oder Ankara geboren ist. Für viele sind Integration, Toleranz, Miteinander und Solidarität keine abstrakten Ziele, sondern Selbstverständlichkeiten. Diese deutsche Normalität wollen die Abendlandretter zurück drehen. In Dresden warnen sie vor westdeutschen Verhältnissen. Als bemesse sich die Lebensqualität daran, wie wenig Ausländer in einer Region leben.

Die Engagierten, Toleranten, Offenen, Neugierigen und Entspannten brauchen eine Stimme. Oder viele. Laute, intelligente, vernehmbare, selbstbewusste und offensive Stimmen, die den selbsternannten Abendlandrettern klar machen, dass sie eine ganz andere deutsche Normalität wollen. Es braucht die Schriftsteller, Schauspieler, Komiker, Politiker, Talkshow-Dauergäste, Blogger und Bild-Zitatgeber. Es braucht Bürger, die für ein tolerantes und cooles Deutschland auf die Straße gehen. Es braucht Politiker, die als Reaktion auf Rassismus nicht auf die Schutzlosen und Hilfebedürftigen einprügeln, sondern Konzepte für Integration und bessere Teilhabe präsentieren.

Dialog bedeutet nicht, jeden Unfug hinzunehmen. Demokratie bedeutet nicht, absurde Argumente und Stimmungen unwidersprochen zu lassen. Wir haben uns mit Sommermärchen eingelullt. Jetzt ist es an der Zeit, Tacheles zu reden und für eine Gesellschaft zu streiten, in der sich keiner fremd fühlen muss.

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