Von Michael Kraske
Lange vor diesem 13. Februar ist das Dresdner Gedenken an die Angriffe britischer Bomber zu einer deutschen Debatte geworden. Längst geht es dabei nicht mehr allein um das angemessene Gedenken an einen ebenso furchtbaren wie grauenvoll ambivalenten Tag, sondern auch darum, wie wir uns Neonazis in den Weg stellen können, sollen und dürfen. Welche Rechte in diesem Land Neonazis und welche Demokraten haben. Wer der Feind unserer Demokratie ist: die Rechten? Die Linken? Sitzblockadenteilnehmer? Es geht auch um die Frage, wie der Staat gegen Bürger vorgehen darf, die von einem Grundrecht Gebrauch machen. Darf die Polizei sie kollektiv durch eine Funkzellenabfrage ausspähen und abspeichern wie geschehen? Ohne konkreten Verdacht? Journalisten? Besucher? Pfarrer? Anwohner? Seit einem Jahr ist klar, dass dieser neuerliche 13. Februar in Dresden ein Gradmesser für den Zustand unserer Demokratie sein wird. Das alles hat mehr mit dem historischen Anlass und unserer heutigen Haltung zu tun als es auf den ersten Blick scheint.
Es ist nur wenige Jahre her, dass Neonazis in Dresden nahezu unbeachtet an die öffentliche Trauer andocken und ihre revanchistische Propaganda verbreiten konnten. Ihre These vom „Bombenterror“ der Alliierten konnte bei den in Dresden kursierenden Mythen anknüpfen und bei einem öffentlichen Gedenken, das die Zerstörung Dresdens weitgehend ohne den historischen Kontext des nationalsozialistischen Angriffskriegs gestaltete. Mitglieder der jüdischen Gemeinde schildern heute, wie sie sich vor einigen Jahren zusammen mit einigen wenigen Unterstützern von der Antifa der NPD und ihren Neonazis in den Weg stellten, während das offizielle Dresden in Ruhe trauern wollte.
Völlig ausgeblendet wurde über Jahre, dass der grauenvolle Bombenangriff nicht nur tausendfachen, grausamen Tod brachte, sondern in der Stadt verbliebene Juden auch vor der bereits geplanten und terminierten Deportation ins Konzentrationslager rettete. Diese Dresdner waren von der offiziellen Erinnerungskultur lange Zeit ausgeblendet worden. Dieser Tage gedenkt der Zentralrat der Juden derer, die vom Dresdner Bahnhof aus in den sicheren Tod geschickt wurden und jenen, die sich in den Wirren des bombardierten Dresdens retten konnten.
Es hat lange gedauert, bis die kursierenden Gerüchte über Hunderttausende Tote und britische Tiefflieger, die angeblich mit Maschinengewehren Jagd auf Menschen machten, offiziell ausgeräumt wurden. Die von der Stadt einberufene Historikerkommission ermittelte schließlich eine Zahl von etwa 25.000 Toten und stellte nach Auswertung der Militärarchive und archäologischer Untersuchungen fest, dass es keine flächendeckenden Tiefflieger-Angriffe gegeben hatte. Das nimmt für die Angehörigen und Zeitzeugen nichts von dem unvorstellbaren Schrecken, nichts von der Trauer und dem Verlust, aber die Historikerkommission hat dem Dresdner Gedenken die notwendige Wahrhaftigkeit gegeben.
Öffentliches Gedenken braucht Wahrhaftigkeit. Dazu gehört, dass der Angriff auf Dresden auch im Gedenken nicht isoliert oder ahistorisch betrachtet werden kann. Der Angriff auf Dresden ist eine Folge des totalen Krieges, den Goebbels ausgerufen und für den deutsche Soldaten marschiert und gemordet haben. Als die britischen Bomber Dresden angriffen und zerstörten, hatte das Deutsche Reich weder kapituliert, noch hatte es den Völkermord an Juden, Sinti, Roma und anderen beendet. In der persönlichen Trauer gibt es nur Schmerz und Verlust. Im öffentlichen Gedenken müssen wir die Erinnerung daran aufrecht erhalten, dass Deutschland die Schuld für einen mörderischen Eroberungskrieg und beispiellosen Völkermord trägt. Die historische Lehre kann daher nicht nur „Nie wieder Krieg“ lauten. Sie muss auch heißen: „Nie wieder Nationalsozialismus“.
Es ist also eine besondere Zumutung, dass die NPD dieses Gedenken und die Trauer mit dem perfiden Wort vom „Bombenholocaust“ und dem jährlichen Aufmarsch europäischer Neonazis für sich instrumentalisiert. Und es ist nicht Ausdruck mangelnden Respekts vor der Trauer von Angehörigen, sondern Ausdruck von Zivilcourage und verstandener Geschichte, dass sich Dresdner, aber auch Demonstranten aus ganz Deutschland den neuen Nazis in den Weg stellen.
Der 13. Februar hat Dresden vor einem Jahr traumatisiert: Gewalttätige Neonazis und Autonome, schwer verletzte Polizisten, aber auch friedliche Demonstranten, die über brutale Polizisten klagten. Ein Lauschangriff auf alle, die zufällig in der Dresdner Neustadt waren. Behörden, die das ganz normal fanden. Eine Justiz, die Demokraten mit Strafverfahren überzog und die Aufhebung der Immunität von Politikern voran trieb, weil die sich Nazis in den Weg gestellt hatten. Razzia und Anklage gegen den Jenaer Pfarrer Lothar König. Damit wurde ausgerechnet jener Mann zum Sächsischen Staatsfeind Nummer 1 stilisiert, der schon gegen die Nazis Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt demonstriert hatte, als sie noch rechte Straßenschläger waren. Seither ist Sachsen tief gespalten: In das konservative Lager, das vor diesem 13. Februar vor neuen Rechtsbrüchen warnte, und in die anderen, die CDU und FDP vorwerfen, ausgerechnet diejenigen zu kriminalisieren, die tun, was gerade im Angesicht des offenbar gewordenen braunen Terrors dringend getan werden muss.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass friedliche Sitzblockaden nicht in jedem Fall eine strafbare Nötigung darstellen. Gerichte müssen vielmehr das Motiv des Blockierers würdigen. Die sächsische Regierung beharrt dagegen darauf, dass Blockaden einer genehmigten Demonstration per se eine Straftat darstellen. Die Hardliner scheinen nicht zu verstehen, dass rechtspositivistische Prinzipienreiterei nicht das demokratische Dilemma lösen kann. Ja, in der Demokratie gilt Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Und ja, der martialische Marsch derer, die einen neuen Nationalsozialismus schaffen und Menschenrechte außer Kraft setzen wollen, ist dennoch so unerträglich, dass das Mittel des zivilen Ungehorsams vielen gerechtfertigt erscheint. Es kann nicht sein, dass der Staat seine erklärten Feinde gewähren lässt, aber diejenigen kriminalisiert, die bereit sind, für dessen Freiheit den Kopf hin zu halten.
Der 13. Februar ist vieles: Ein Tag der Trauer, der Erinnerung, aber auch der Mahnung und Selbstvergewisserung: wer wir sind und wie wir sein wollen. Vor diesem 13. Februar gab es trotz Streit und ungelöster Kontroversen auch Ansätze von Hoffnung: Die Arbeitsgemeinschaft 13. Februar war der Versuch einer Annäherung der Dresdner Akteure über ideologische Gräben hinweg. Die Polizei hat angekündigt, diesmal zwischen friedlichen und gewalttätigen Blockierern unterscheiden zu wollen. Die Zahl der Demokraten wird die der Nazis deutlich übersteigen.
Der 13. Februar wird dennoch ein Tag der Zerrissenheit bleiben. Es wird auch nach diesem Tag Streit und Kontroversen geben. Über richtigen und falschen Protest. Über Bürgerrechte und Staatsmacht. Über würdiges und unwürdiges Gedenken. Der Tag bildet nicht nur deutsche Geschichte schonungslos ab, sondern auch deutsche Gegenwart. Vielleicht reicht es in diesem Jahr wenigstens zu dem minimalen Grundkonsens, dass gewaltbereite Neonazis eine größere Gefahr darstellen als Menschen, die vor ihnen warnen und verhindern wollen, dass sie in diesem Land weiter Macht erobern.
Das Land steht keineswegs vor der Gefahr, von Neonazis per Bürgerkrieg erobert zu werden.
Es steht hingegen vor der Gefahr, dass die bürgerlichen Freiheitsrechte (hier: das Versammlungsrecht) durch geschickte “Uminterpretation” untergraben und ausgehöhlt werden – bis von ihnen genau soviel übrig bleibt wie in der ehemaligen DDR.
Übrigens: Auch wenn diese Aushöhlung der bürgerlichen Freiheitsrechte von links betrieben wird – wem sie zugute kommt, weiß man heute noch gar nicht. Alle die kleinen Ausreden, mit denen die SPD vor 1933 an den Freiheitsrechten herumgespielt hatte, konnten nach 1933 von der NSDAP wunderbar weiterverwendet werden.
Herr Möller, die von Ihnen erwähnte “Uminterpretation” ist eine Fiktion, wenn man die oben geschilderten Ereignisse zur Kenntnis nimmt, bzw. überhaupt nehmen möchte. Und Ihr historischer Vergleich ist, nun ja, unterkomplex, um es mal sehr vorsichtig auszudrücken.