Die Moral der Anderen

Von Marion Kraske

Bernadette Knecht, Leiterin einer Kindertagesstätte nahe Königswinter, hat sich schuldig gemacht. Zumindest aus der Sicht der Katholischen Kirche. Sie trennte sich von ihrem Mann und lebt seither mit ihrem Lebensgefährten zusammen – ausgerechnet dem Vorsitzenden der örtlichen CDU-Fraktion. Was für ein Frevel.

Den Kirchenmännern jedenfalls, in dem Falle Udo Maria Schiffers, Pfarrer in Königswinter bei Bonn, reichte es. Er feuerte die blonde Pädagogin der bis dahin katholisch geführten Kita. Ehebruch ist aus Sicht der Kirche nach wie vor ein schlimmes Vergehen. „Wo katholisch drauf steht, muss katholisch drin sein“. So lautete lapidar die Begründung.
Basta.

Die Eltern aber wollten sich mit dem Rauswurf der beliebten Kindergärtnerin nicht abfinden. Es hagelte Proteste, ein Sturm brach los, dem sich schließlich auch die Stadt selbst anschloss: In einer Sondersitzung entschloss sie sich schließlich zu einem ungewöhnlichen Schritt und kündigte die Zusammenabeit mit dem katholischen Träger in der zu 100-Prozent städtisch geförderten Kita auf. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kirche sei zerrüttet, so hieß es.
Basta.

Wieder einmal hat die Katholische Kirche unter Beweis gestellt, dass sie sich von der Lebensrealität der Menschen unwiderbringlich entkoppelt hat. Befeuert wird der Eindruck von einem Papier der Kirchengemeinde, das als Antwort auf die Causa Kindergarten in den örtlichen Kirchen ausgelegt wurde. Darin heißt es: Ihre „hohe Auffassung von der Ehe kann die Kirche keinesfalls einer mehr und mehr liberalen Einstellung in unserer Gesellschaft anpassen.” Und: “Ist man wirklich bereit, einem ganzen Kindergarten die Erziehung im Sinne der katholischen Werteorientierung auf Dauer wegzunehmen und den nachwachsenden Kindern vorzuenthalten? Ist eine einzige Person diesen hohen Preis wert?”

Damit ruft die Kirche zum Kampf auf – es ist ein Kampf der vermeintlichen Moralwächter, die sich selber als Hüter der christlichen Werte stilisieren, gegen die böse Welt da draußen, den Modernismus, den lasterhaften gesellschaftlichen Realismus. Rom und seine Stellvertreter drängen zur Richtungswahl: Hier die heile Katholische Kirche – oder das was sie dazu erklären. Dort Lust und Laster. Das Böse. Die Gesellschaft.

Das Problem ist: Man kauft ihr diese hohe Moral einfach nicht mehr ab.

Eine Kirche, die von ihren Angestellten höchste Integrität in allen Lebenslagen einfordert (was eigentlich soll daran moralisch sein, mit jemandem weiter zusammen zu leben, wenn die Beziehung längst gescheitert ist?), die aber bei schwersten Vergehen ihrer eigenen Priesterschaft wie dem tausendfachen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen nicht die Aufklärung in den Mittelpunkt stellt, nicht das Leid der Opfer und Angehörigen, sondern einzig den Machterhalt (dies ist der eigentliche Antrieb für die lange Zeit betriebene Vertuschungs- und Verdrängungspolitik). Wie sollte man eine derartige Kirche als moralische Instanz noch ernst nehmen?

Eben diese Diskrepanz ist es, die die Römische Kirche ihrer eigenen Glaubwürdigkeit beraubt. Bei der Moral der Anderen schwingt die Katholische Kirche gerne die große Keule. Bei der Moral im Innern hapert es, da schaut man weg. Da zeigt man Milde. Da versetzt man Priester, lässt sie weiter wurschteln, bis zum nächsten Missbrauch. Es würde wohl das römische System sprengen, wenn man sich eingestehen würde, dass die Verfehlungen, die man nach außen anprangert, im eigenen Kreise nicht mal im Mindesten erfüllt sind.

Wie wenig kann man derzeit im Bistum Trier beobachten: Dort arbeiten unter der Ägide des Trierer Bischofs Stephan Ackermann mindestens sieben als pädophil aufgefallene Pfarrer, darunter ein Geistlicher, der als Lehrer in einem Internat sexuelle Beziehungen zu einem seiner Schüler unterhalten haben soll sowie zwei wegen des Besitzes von Kinderpornografie verurteilte Priester. Das Bistum will die genaue Zahl der Priester, die im “eingeschränkten Einsatz unter Auflagen” tätig seien, derzeit nicht veröffentlichen. Im Klartext heißt das: Einige der Delinquenten sind nach wie vor als Seelsorger im Einsatz. Von moralischer Verpflichtung, von Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Gläubigen, von den in Königswinter eben noch so huldvoll vorgetragenenen Wertevorstellungen – keine Rede. Es war übrigens Bischof Ackermann, der als Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz zuvor eine “Null-Toleranz-Linie” gegenüber den Verbrechen gefordert hatte.

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Eine Antwort auf Die Moral der Anderen

  1. Claudia Adams sagt:

    Liebe Frau Kraske,
    1. Danke für den klasse Beitrag!
    2. kleiner Korrekturvorschlag im letzten Satz:
    “Es war übrigens Bischof Ackermann, der als Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz zuvor eine “Null-Toleranz-Linie” gegenüber Tätern gefordert hatte.”
    Da sind wir leider alle drauf hereingefallen: BA sprach tatsächlich und nachweislich niemals von einer “Null-Toleranz” gegenüber den Tätern, sondern (Zitat) “Null-Toleranz” gegenüber den Verbrechen, also der Tat an sich…. Bitte nicht falsch verstehen, nur ein liebgemeinter Vorschlag, im Sinne der Sache!
    Ganz liebe Grüße aus dem schändlichen Bistum Trier,
    Claudia Adams
    http://missbrauch-im-bistum-trier.blogspot.de/