B-NOTE 03 | Weiger-Wahl

Von Marcus Müller

B-NOTE | debattiersalon | Foto © Marcus MüllerWenn zwei oder mehr Menschen sich in einer freien, offenen, gleichen und demokratischen Gesellschaft dazu entscheiden, für einen Posten zu kandidieren, dann ist das nicht nur eine schöne Sache. Um es ein bisschen pathetisch zu sagen: Es ist das Salz in einer solchen Gesellschafts-Suppe. Es bedeutet: mehr als eine Nase, mehr als ja oder nein, mehr Möglichkeiten. Und es bedeutet: weniger DDR. Eine solche Wahl sollte in einer Demokratie die Regel sein, sonst wird es nicht nur öde, sondern es verabschieden sich langsam Offenheit und Gleichheit, es geht weniger frei zu. Demokratisch wollte man das irgendwann auch nicht mehr nennen. Außer man ist Journalist. Für Journalisten gibt es nämlich aus irgendeinem Grund den Zwang, eine echte Wahl mit mehreren Bewerbern „Kampfabstimmung“ zu nennen. Gerade ist das wieder in fast allen Medien passiert, egal wie auf- oder unaufgeklärt, privat oder öffentlich-rechtlich sie sein mögen: Denn in der Potsdamer CDU gab es für ein Bundestags-Direktmandat zwei Bewerberinnen. Oje. Also: Kampfabstimmung! Und das ist kein Einzelfall, wie schon der oberflächliche Blick zeigt.

Nun ist nichts dagegen einzuwenden, etwas auf einen bestimmten Begriff zu bringen. Warum aber gerade etwas nicht mit dem richtigen bezeichnenden Ausdruck versehen wird, das genau die passenden Merkmale hat, muss wohl das ewige Geheimnis deutscher Politik-Redaktionen bleiben. „Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht“, hat mein Segellehrer früher oft über den Zustand der Welt gesagt. Ein weiser Mann. Er hat viel in der Zeitung gelesen.

Seltsam, wenn nicht gar dämlich, ist es aber doch, dass Journalisten gerade der so genannten „Kampfabstimmung“ den Sonderfall-Stempel aufdrücken. Warum ist die Ausnahme für deutsche Journalisten nicht die Kür des alternativlosen Einzel-Kandidaten? Aber wie nennen die Medien das dann: Wahl. Wenn die Nachrichtenredaktion gerade viel Zeit hat, vielleicht noch mit dem Zusatz „ohne Gegenkandidaten“. Muss aber viel Zeit sein.

Selbst in einer Situation ohne Alternative sind zu viele Stimmen übrigens auch wieder nicht gut. Denn dann wird’s „fast schon sozialistisch“. Doch Obacht: Ist das Ergebnis nicht „fast schon sozialistisch“, mangelt es flugs an Geschlossenheit. Fast könnte man auf die Idee kommen, in den deutschen Politik-Redaktionen säßen die allerletzten Hardcore-Kommunisten, die auf Lenin komm raus beweisen wollen, was für „Feigenblätter der Diktatur des Kapitals“ die „niederträchtigen bürgerlichen Wahlmanöver“ doch sind, wie die das wohl nennen würden.

Mit ein wenig Leidenschaft für die Demokratie hätte die – bis auf ein schnödes Nein – alternativlose Wahl es verdient, von Journalisten einen Kampf-Begriff aufgepappt zu bekommen: „In einer Nicht-Wahl hat die CDU heute Angela Merkel zu ihrer Spitzenkandidatin bestimmt.“ Oder: „Peer Steinbrück ist in einer Weiger-Wahl zum Kanzlerkandidaten der SPD…“ Vielleicht auch: „Bei der Ein-Wahl zum Direktkandidaten…“ So was. Bis sich das aber flächendeckend durchgesetzt hat, gibt es für Journalisten und ihr Verständnis von Demokratie pauschal einen: Abzug in der B-Note.

Zeigen Politik, Gesellschaft, Medien und PR-Salat-Verkäufer ausreichend Grazie, wenn sie ihre Tätigkeit in Wort, Schrift, Bild und Hosenanzug ausführen? So wie das für Eiskunstläufer festgestellt wird, will Marcus Müller das in seiner Kolumne B-NOTE über unser Öffentlichkeitspersonal für den debattiersalon herausfinden. Sachdienliche Hinweise gerne an b-note@marcus-mueller-berlin.de. Zugegeben: Die taz war mit ihrer Dachzeile für die Olympia-Berichterstattung 2012 schneller mit der B-Note; aber, hey, das waren die Sprinter aus der Sportredaktion!

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