Schwarzgelb oder braun, eins geht nur!

Von Michael Kraske

Als BVB-Fan hat man allen Grund, stolz auf seinen Verein zu sein. Borussia spielt den schönsten Fußball der Liga, Mario Götze ist das größte Talent Deutschlands, Kloppo der beste Trainer, den man sich denken kann. Und die Südtribüne ist das beste, was Fußballfans an Stimmung und Leidenschaft zu bieten haben. Rosige Zeiten für Schwarzgelbe, eigentlich. Doch das, was seit einiger Zeit auf der Südtribüne auch noch passiert, sollte jeden echten Fan mit Scham erfüllen: dass sich Neonazis breit machen und versuchen, den Ton anzugeben. Und dass erschreckend viele Fans mitmachen, wenn Schwarzgelb mit Braun verwechselt wird.

Auf der Website des Fanzines „Schwatzgelb“ berichtet ein Autor von rechtsextremen Sprechchören. Die Fans des Rivalen Schalke 04 seien mit der Parole bedacht worden: „Alle Blauen haben einen gelben Stern zu tragen.“ Eine widerliche Anspielung auf den „Juden-Stern“ der Nazis. Diese ekelhafte Entgleisung müsste eigentlich auch für den Unbedarftesten als solche erkennbar sein, aber der Autor des Fanzines stellt fest, dass erschreckend viele Fans mitgesungen hätten. Er beklagt, dass die Parole „SS, SA, Borussia“ gebrüllt werde. Gegen Werder Bremen wurde am 24. August ein Plakat mit der Parole gezeigt: „Solidarität mit dem NWDO“. Das Kürzel steht für die Neonazi-Kameradschaft Nationaler Widerstand Dortmund, die kurz zuvor vom nordrhein-westfälischen Innenministerium verboten worden war. Deren Aktivisten nutzen die Südtribüne zur Rekrutierung von Nachwuchs. Politisch neutrale Ultras wurden bedroht und angegriffen. Die Neonazis sind auf dem Vormarsch, nicht nur in Dortmund.

In Aachen haben die Neonazis den internen Kampf bereits gewonnen. Die Aachen Ultras haben sich aufgelöst. Seit 1999 haben die Aachen Ultras ihren Verein unterstützt und offen Stellung gegen Rassismus und Neonazis bezogen. Doch nachdem Neonazis sie massiv bedrohten und Mitglieder bei „Hausbesuchen“ zusammen schlugen, kapitulierten sie. Noch ein schwarzgelber Verein mit einem braunen Problem. Es gibt noch einen dritten, der heißt Dynamo Dresden, da wurden immer wieder antisemitische Hass-Gesänge angestimmt. Das sind keine Randerscheinungen und Ausnahmen mehr. Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus haben sich in die Fankultur gefressen. Man findet die rechte Menschenverachtung in der Bundesliga ebenso wie in den unteren Ligen, im Westen wie im Osten, bei Schwarzgelben ebenso wie bei Rotweißen. Der Journalist Olaf Sundermayer zitiert die Anlage eines „Jahresberichts Fußball Saison 2010/2011“, wonach allein 16 Vereine aus den drei Profiligen ein Problem mit Rechtsextremisten hätten, darunter Traditionsvereine wie Fortuna Düsseldorf und Borussia Mönchengladbach.

Der BVB hat mittlerweile reagiert, Vereins-Boss Watzke eine umfangreiche „Erklärung zum Vorgehen gegen rechtsextremistische Tendenzen im Umfeld von Borussia Dortmund“ abgegeben. Danach hat der Verein gegen den Aktivisten, der das Solidarität-Plakat auf der Südtribüne zeigte, ein bundesweites Stadionverbot erwirkt. Gegen acht Personen, die beim Spiel der Amateure in Erfurt u.a. durch Zeigen einer Reichskriegsflagge auffielen, wurden Stadionverbote ausgesprochen. Der Verein bekennt sich ausdrücklich zu Integration und Weltoffenheit, sowohl was seine Mannschaften als auch seine Anhänger angeht. BVB-Chef Watzke verweist darauf, dass die Stadionordnung mehrfach verschärft worden sei. Das Tragen und Zeigen rechtsextremer Parolen und Symbole ist verboten. Der BVB hat zwei weitere Fan-Beauftragte eingestellt und einen „Arbeitskreis gegen Rechts“ ins Leben gerufen. Watzke spricht durchaus Tacheles, aber er weist auch darauf hin, dass Rechtsextremismus ein gesellschaftliches Problem sei. Er zitiert die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, wonach fast jeder zehnte ein geschlossen rechtsextremes Weltbild habe. Angesichts dessen könne man nicht ausschließen, dass dies vereinzelt auch bei Mitarbeitern des BVB der Fall sei. Der Verein könne keine Gesinnungsprüfung etwa in sozialen Netzwerken vornehmen.

Der relativierende Hinweis auf die Gesellschaft ist üblich, aber er entbindet die Vereine nicht von ihrer Verantwortung. Die Vereinsführungen müssen sich daran messen lassen, ob ihre Fans Nazi-Parolen grölen oder nicht. Ob sie Nazi-Symbole zeigen oder nicht. Ob sie gegnerische Fans als Juden schmähen und ihnen den Gastod wünschen oder nicht. Gemessen an 25.000 Fans auf der Südtribüne mögen wenige Dutzend Nazi-Aktivisten auf der Südtribüne wenig erscheinen. Aber offenbar versucht die organisierte Kameradschaftsszene massiv, die Macht unter den Ultra-Gruppen zu erobern, Gewalt und Einschüchterung gegen andersdenkende BVB-Fans inklusive. Zudem steht der Vorwurf im Raum, dass auch unter BVB-Ordnern rechtsextreme Ansichten verbreitet seien. Ein Ordner soll beim Spiel gegen Schalke sogar einen Gästefan auf der Toilette überfallen und schwer verletzt haben. Der Verein erklärt, es stehe Aussage gegen Aussage, es gelte die Unschuldsvermutung. Gleichwohl habe man, soweit möglich, die polizeilichen Führungszeugnisse seiner Sicherheitsleute noch einmal überprüft. Das offizielle Statement des BVB verrät den schmalen Grat zwischen Loyalität mit Mitarbeitern und dem Versuch, die schweren Vorwürfe ernsthaft zu prüfen. Das Maßnahmen-Paktet des BVB gegen Rechts ist umfangreich, aber es wird nur erfolgreich sein, wenn der Verein die Aufgabe als langwierigen Prozess begreift, nicht als Pflicht, die es schnell abzuhaken gilt, bevor man zur Tagesordnung übergeht.

Die Vereine wollen die Politik außen vor lassen. Das Problem ist nur, dass die Neonazis längst wieder da sind und auch in den Profiligen wieder offen auftreten. Borussia Dortmund hatte vor Jahren ein Nazi-Problem mit der “Borussen-Front”. Das schien Vergangenheit. Jetzt ist es wieder da. Mit Beschwichtigung, Vertuschen und Abwiegeln läst sich das Nazi-Problem im Fußball ebenso wenig lösen wie an Schulen, bei Feuerwehren oder in Kommunen. Der gute Ruf wird nicht dadurch gewahrt, dass man so tut, als gebe es keine Nazis unter den eigenen Fans. Die Reaktion des BVB auf die Vorkommnisse verrät beides: Das Bemühen, die Fälle als Ausnahmen darzustellen, indem man auf die große Mehrheit der vorbildlichen schwarzgelben Fans verweist. Aber auch, und das ist nicht selbstverständlich, eine genaue und ausführliche Problem-Analyse und konkrete Maßnahmen, die ergriffen wurden. Man kann den BVB nur ermuntern, den durch Recherchen von Medien forcierten Weg weiter zu gehen: Genau hinzusehen, was sich unter dem Dach der Südtribüne abspielt. Und Nazis, die Schwarzgelb braun färben möchten, raus zu schmeißen.

In den vergangenen Monaten hat man viel von Fan-Protesten gehört: Gegen das neue DFL-Sicherheitskonzept, gegen Körperkontrollen und gegen die Gängelung der Fans durch die Vereine. Von lautstarker Solidarität von Fans für Fans, die sich den Nazis im eigenen Verein in den Weg stellen, hat man so gut wie nichts gehört. Man streitet über Bengalos oder kämpft gegen Körperkontrollen, das sind konsensfähige Aufreger, antisemitische Hass-Tiraden sind das für viele offenbar nicht. Die Mitarbeiter des BVB-Fanzines „Schwatzgelb“ bekennen, dass es Mut brauche, gegen Nazi-Parolen anzusingen. Sie fordern ihre eigene Anhängerschaft dazu auf. Sich laut und deutlich von den Nazis in den eigenen Reihen zu distanzieren ist unter Fans keine Selbstverständlichkeit.

Die Ultra-Szene kämpft seit Jahren gegen ungerechtfertigte Stigmatisierungen und für die feinsäuberliche Unterscheidung zwischen Ultras, Hooligans und Neonazis. Doch bei etlichen Vereinen gibt es Überschneidungen, sind Neonazis aus der Kameradschaftsszene fester Bestandteil der Fan-Szene. Schon vor Jahren schätzte ein Dresdner Staatanwalt, dass unter den gewaltbereiten Fans von Dynamo Dresden, Lok Leipzig und Chemnitzer FC mindestens 15 Prozent gefestigte Neonazis seien. DFB, DFL und Medien beschränken sich meist auf die ritualisierte Abhandlung eines diffusen Gewalt-Phänomens, wie am Samstag im Aktuellen Sportstudio des ZDF zu besichtigen war, wo ein Vertreter der Deutschen Fußball Liga mal wieder in schönster Fußball-Tonalität zu dem Schluss kam, man solle das ganze Thema nicht so hoch hängen. Dazu wurden die Bilder aus dem Frankfurter Fan-Block gezeigt, wo mal wieder mit Pyrotechnik gezündelt wurde. Das subtile Zündeln mit Rassismus und Antisemitismus liefert keine spektakulären Bilder und ist daher nicht fernsehkompatibel. Also findet es nicht statt. Im Sportstudio war das von Nazi-Ultras herbei geprügelte Ende der Aachen Ultras nur eine Randnotiz. Der Fußball mit seinen ritualisierten Feindschaften und Männlichkeits-Posen bietet einen idealen Handlungsrahmen für den aktionistischen Teil der Nazi-Szene. Das neue Nazi-Problem vieler Vereine bildet ab, was im Land passiert. Aachen und Dortmund sind Hochburgen der rechtsextremen Kameradschaftsszene. Die Probleme der schwarzgelben Traditionsvereine Borussia und Alemannia sind kein Zufall.

Der Fußball ist nicht der Reparaturbetrieb der Gesellschaft, natürlich nicht. Aber jeder Verein ist für das verantwortlich, was sich unter seinem Dach abspielt. Auch Spieler oder Trainer dürften gern mal klarstellen, dass sie sich Affenlaute gegen schwarze Spieler oder judenverachtende Hass-Gesänge verbitten. Leider ist das nicht üblich. Ebenso wenig, wie es öffentlich-rechtliche Mikrofonhalter bei ihren anbiedernden Pseudo-Interviews mit Spielern, Trainern oder Vereins-Bossen wagen würden, nach Nazis oder deren Umtrieben im Fan-Block zu fragen. Es braucht nicht nur Polizei, Videoüberwachung und Stadionverbote, es braucht auch eine Haltung von Funktionären, Reportern und Fans.

Am Wochenende hat Werder Bremen acht BVB-Anhängern den Einlass verweigert, weil sie in der Vergangenheit durch rechtsextremes Verhalten aufgefallen waren. Das ist der richtige Weg. Das muss die Regel werden: Nazis raus aus den Stadien. Ich sage das als jemand, der jeden Samstag das BVB-Netradio mit Norbert Dickel hört, der jedes einzelne Traumtor gegen Bremen bejubelt hat, der die Meistermannschaft mit Matthias Sammer und Andy Möller im damals noch Westfalenstadion gesehen hat und der beim Kicken im Park ein Götze-Trikot trägt, so lächerlich das auch für einen 40-Jährigen ist.

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