Deutschland: Wir sind Mann

Von Marion Kraske

Nummer vier also, das wäre geschafft, auch wenn der Weg dorthin etwas holprig war. Drei Bundesländer werden künftig weiblich regiert, zusammen mit der Kanzlerin sind Frauen damit im deutschen Politestablishment so stark vertreten wie nie zuvor nach dem Zweiten Weltkrieg. Vergessen die Zeiten, da die eiserne Heide Simonis in Schleswig-Holstein die Einzige im bundesweiten Machtbetrieb war, die ganz oben, in Regierungsverantwortung, mitmischte.
Deutschland – ein Paradebeispiel für Gleichberechtigung also?

Das Gegenteil ist der Fall. Denn jene, die es geschafft haben, sind weniger aus gesellschaftlicher Selbstverständlichkeit heraus dort gelandet denn aufgrund sich ergebender „windows of opportunities“. Ganz so wie Angela Merkel einst, die in der Hochphase der CDU-Steueraffäre dem Spiritus Rector der klandestinen Machenschaften entschieden (damals war sie es noch) die Stirn bot und sich an die Spitze der Union katapultierte, kamen auch die Landeschefinnen in Thüringen, Nordrhein-Westfalen und nun auch im Saarland mit Hilfe von Turbulenzen und Missmanagement im Männer-dominierten Politbetrieb ans Ruder. Die jüngste Eroberung dieser Art wurde vollzogen von einer eher unscheinbar daherkommenden Dame mit dem klingenden Doppelnamen Kramp-Karrenbauer.
Hinter den wenigen Erfolgsgeschichten, hinter der Fassade vermeintlicher Chancengleichheit präsentiert sich jedoch eine Gesellschaft, in der nach wie vor eine über Jahrzehnte erprobte Leitkultur dominiert: Diese ist zunächst einmal weiß – junge Akademiker mit Migrationshintergrund verlassen nach ihrem Studium fluchtartig das Land, um anderswo Karriere zu machen, weil hierzulande nicht ihr Expertentum, wohl aber ihre (nach wie vor negativ bewertete) Herkunft im Vordergrund steht. Zudem ist die deutsche Leitkultur noch immer vor allem eines, nämlich männlich: Kaum eine Führungsetage, kaum eine Position weit oben in der Hierarchie von Unternehmen, Organisationen und Parteien, die nicht von Männern ausgefüllt wird. Dieser kuschelig-homogenen Truppe, die sich in schöner Kontinuität immer wieder selber reproduziert, gelten Frauen nach wie vor als exotische Störfälle.
Kein Wunder also, dass Deutschland im internationalen Vergleich bei der Berücksichtigung von Frauen am Arbeitsmarkt hinterherhinkt – so sehr, dass die EU-Kommission die Bundesregierung jüngst anmahnte, dieses Manko dringlichst zu beheben, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft künftig zu garantieren.
Denn es ist schon so: Nicht zuletzt angesichts des grassierenden Fachkräftemangels kann es sich Deutschland schon jetzt nicht mehr leisten, die Potenziale gut ausgebildeter Frauen derart zu ignorieren wie dies bislang der Fall war.
Tatsächlich präsentiert sich Deutschland in Fragen der Chancengleichheit nach wie vor als Entwicklungsland: Ganze zwei Prozent der deutschen Vorstände sind weiblich – damit landet die Bundesrepublik im Kreise der führenden Industrienationen auf dem letzten Platz – zusammen mit Indien, das nicht eben für sein transparentes Gesellschaftssystem bekannt ist.
In den skandinavischen Ländern, die gezielt mit Quoten operieren, sind Frauen ungleich stärker in Führungspositionen vertreten, im Norden Europas gilt es als selbstverständlich, dass auch Frauen in Teilzeit Führungsaufgaben übernehmen. In Deutschland gibt es – immerhin – einen entsprechenden Modellversuch bei Mercedes Benz. Wow!
Etliche Studien belegen, dass männliche Monokulturen längst nicht die besseren wirtschaftlichen Ergebnisse erzielen, ganz im Gegenteil: Gemischte Topmanagements bringen im Branchenschnitt bessere und kreativere Lösungen. Diese Erkenntnisse ließen sich mühelos auf Gesellschaft und Politik übertragen. Warum nur, fragt man sich, findet eben dieser Geistestransfer im Lande der Dichter und Denker nicht statt? Warum statt dessen dieses manische Festhalten an unterlegenen Strukturen?
In diesem Sinne hat Arbeitsministerin von der Leyen recht, wenn sie nachdrücklich eine Quote fordert, um die Verkrustungen hierzulande aufzubrechen. Nicht, weil Frauen die besseren Menschen sind. Sondern weil Deutschland mehr verdient als Eindimensionalität und öde Monokultur.

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