Westerwelle: Degradierung eines Degradierten

Von Marion Kraske

Er hat es geschafft, Guido Westerwelle bleibt im Amt, erst einmal. Mal sehen, wie lange die letze Chance dauern wird, die ihm die Partei-Spitze nun gnädigst eingeräumt hat. An der Grundvoraussetzung hat sich freilich nichts geändert: Schließlich wollen es inzwischen ja fast alle gewusst haben, seine Kritiker sowieso, aber auch ein Teil seiner bislang treuen Anhänger. Dass er es nicht kann, dass er aus der starren Oppositionshaltung nie so recht herausgefunden hat. Dass er für einen Ministerposten – zumindest den im Auswärtigen Amt – schier ungeeignet ist. Dabei, seien wir ehrlich, gab es Anzeichen genug. Man hätte sie nur deuten müssen.
Nur wenige haben in den vergangenen Jahren im Bundestag so unbarmherzige Angriffe gefahren wie Guido Westerwelle. Markige Sprüche, zielgenaue Attacken gegen den politischen Gegner – das war lange sein ganz persönliches Erkennungsmerkmal. Die Unfähigkeit der anderen, von Grün bis Schwarz bis Rot, das war sein Thema, mit dem er zielstrebig und wenig zimperlich das Ziel einer eigenen Regierungsbeteiligung verfolgte. Er war immer einer, der Klartext redete, nicht unbedingt geistreich, dafür lautstark und pointiert. Zugegeben, rhetorisches Talent besitzt er.

Gespür für Stimmungen, einen Sensor für Befindlichkeiten dagegen – Fehlanzeige.
Erinnert sei an seinen Ausfall zur „spätrömischen Dekadenz“. Kaltschnäuzig. Instinktlos. Dass er Fehler in der Regel nicht einräumt, dass er mit einer apodiktischen „Man-wird-ja-wohl-noch-Sagen-Attitüde“ daher kommt, wenn längst ein Einlenken erforderlich wäre, macht es nur noch schlimmer. So wurde er zum uneinsichtigen Betonkopf, wenig geschmeidig, wenig souverän.
Kein Wunder, dass Westerwelle sich im Amt des Außenministers nicht zurechtfindet. Die hohe Diplomatie war noch nie seine Sache. Dort, wo die Kunst der Zwischentöne regiert, sitzt nun einer, der auf derartige Zwischentöne Zeit seiner Politikerkarriere gepfiffen hat, weil er stets die absolute Wahrheit für sich reklamierte.
Mit dieser Haltung hat Westerwelle nicht nur sich, sondern auch der Sache des Liberalismus nachhaltig Schaden zugefügt. Immerhin, war er jahrelang das Gesicht des deutschen Liberalismus. Doch auf der weiten Klaviatur liberalen Denkens spuckte Westerwelle lediglich die Töne des kalten Wirtschaftsliberalismus aus. Sein immerwährendes Mantra der Steuersenkung gab er wie ein Besessener zum Besten, daneben gab es außer krampfhaften Bespaßungsversuchen mit Schuhsohleneinlage und Big-Brother-Container – nichts.
Er teilte die Gesellschaft ein in gut (Leistungsträger) und böse (Leistungsempfänger). Er grinste wie ein frecher Schuljunge, wo ein wenig Nachdenklichkeit angebracht gewesen wäre. Und dann der Triumph des ewigen Oppositionellen: Die FDP zog in die Regierung ein, er, Guido, hatte es geschafft und entschied sich – entgegen seiner wirtschafts- und finanzpolitischen Ausrichtung – für das prestigeträchtige Außenamt, das schon sein großes Vorbild Genscher innehatte. Womöglich einer der folgenschwersten Fehltritte seines nicht eben fehltrittfreien Politikerlebens.
Schon der Auftakt alles andere als gelungen: Auf einer Pressekonferenz kanzelte er einen ausländischen Pressekollegen ab, er möge gefälligst nicht auf Englisch, sondern in Deutsch seine Frage vorbringen. „Wir sind hier in Deutschland“, maßregelte er im Oberlehrerton. Mit dieser Einlage degradierte er das ganze Land zu einem kleingeistigen Provinzgebilde. Fremdschämen war angesagt, es sollte nicht das einzige Mal bleiben.
Große Gesten, große Gedanken, – all das hat Westerwelle in seiner Amtszeit dagegen bislang nicht zu bieten. Nichts, was wirklich von Tragweite gewesen wäre. Im Gegenteil, man staunte bisweilen ob der verbreiteten, immerhin rhetorisch schön verpackten Gemeinplätze. Wikileaks enthüllte, dass der Deutsche auch US-Diplomaten nicht eben als Leuchte gilt: Er sei „aggressiv“, funkten die amerikanischen Beobachter nach Washington, seine Ministerialen wunderten sich, woher er seine politische Richtung bekomme. Und vielleicht das, was ihn persönlich wohl am härtesten getroffen haben dürfte: „He is no Genscher“.
Dass er sein Amt bis heute nicht recht auszufüllen vermochte – nun gut, das ist die eine Sache. Die Enthaltung im UN-Sicherheitsrat in der Libyen-Frage (nicht zuletzt aus parteitaktischen Gründen, um die torkelnde FDP mit einem vermeintlich pazifistischen Kurs zu stärken) aber entblößte, mit wie wenig Sachverstand und Weitsicht Westerwelle das Land im internationalen Kontext lenkt. Dass er zuallererst die Sanktionen – und damit zweifelsohne die eigene Leistung – für den Sturz des Wüstendespoten Gaddafi verantwortlich machte und erst nach Intervention durch den neuen Parteichef Rösler – eine Klatsche sondergleichen für den einstigen Oberliberalen – auch die militärische Intervention der Nato-Verbündeten lobte – das war die eigentliche Degradierung eines längst Degradierten.
Es ist wohl weniger „Realitätsverlust“, wie der ehemalige Grünen-Außenminister Joschka Fischer höhnt, als außenpolitisches Unvermögen eines Mannes, dessen Metier jahrelang einzig die Innen-, allen voran aber die Parteipolitik war. Gesellschaftliches Polarisieren, inhaltliches Hochjazzen, das Hochhalten des parteipolitischen Fähnleins. In der Libyen-Frage wurde klar, dass das nicht ausreicht. Die Genschers, die wahren Staatsmänner dieser Welt – ihnen kann Westerwelle das Wasser nicht reichen. Seine Stunden im Amt sind gezählt.

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