Von Siegesmund von Ilsemann
Einem gewaltigen Erdstoß gleich erschütterte am Freitag voriger Woche die Herabstufung der Bonität der Weltmacht USA das globale Finanzsystem. Die Zerstörungskraft des Tsunamis, den die Entscheidung der Rating-Agentur Standard & Poor’s auslösen wird, ist noch gar nicht abzusehen. Der dramatische Kurssturz an den internationalen Börsen, der Ende voriger Woche der S&P-Ankündigung vorausging und bereits Werte in Billionen-Höhe auslöschte, ist möglicherweise nur ein milder Vorläufer all der Crashes und Kräche, die nun folgen könnten.
Schon jetzt aber ist klar, dass die weltweite Finanzkrise zum Menetekel für den scheinbar mächtigsten Mann auf unserem Erdball wird. Die “Berechenbarkeit des amerikanischen Politikprozesses” müsse in Frage gestellt werden, lautet das vernichtende Urteil von S&P mit Blick auf das langwierige Gezerre zwischen Regierungslager und Opposition.
Wie konnte es dazu kommen, dass die Präsidentschaft eines Mannes, der mit so viel Vorschusslorbeeren, begleitet von so großen Hoffnungen und unter so lautstarkem Jubel sein Amt angetreten hat, nach kaum mehr als der Hälfte seiner ersten Amtszeit bereits gescheitert scheint?
Die Ursachen dafür schuf nicht die Finanzkrise. Das viel zu lange Hickhack um einen Ausweg aus dem Teufelskreis einer immer steiler steigenden Verschuldungsspirale der einst so überpotenten Zugmaschine der Weltwirtschaft ist nur ein Symptom und nicht der Grund für dieses Scheitern. Dessen Wurzeln sprossen schon viel früher. Sie reichen tief in den Wahlkampf des Barack Hussein Obama hinein, speisen sich aus den messianischen Erwartungen seiner Wähler und wurden genährt von Medien, die dieses Hoffen in einem Ausmaß schürten, dem letztlich nur noch ein Scheitern folgen konnte.
Wer den heutigen Hauptmieter in Washingtons 1600 Pennsylvania Avenue 2008 bei seinem Wahlkampf um den Einzug ins Weiße Haus beobachten konnte, dem musste vor allem eines auffallen – das fast religiöse Sehnen, ja die geradezu überschäumende Gier nach Veränderung, nach dem Wechsel. „Hope“ und „change“ waren die Schlagworte, welche die Strategen ihrem Kandidaten Tag für Tag erneut ins Gebetbuch geschrieben hatten.
Als hofften sie auf die Erscheinung des Messias, harrten Tausende, manchmal Zehntausende stundenlang sogar in brütender Hitze oder strömendem Regen aus – mit gläubigem Glanz in den Augen, bereit, jedes Wort ihres Hoffnungsträgers zu bejubeln. Und für diesen Jubel versprach Obama viel – und vieles davon in dem Wissen, es so nie einlösen zu können.
Die Medien, die angeblich korrigierende vierte Gewalt in der Demokratie, analysierten nicht etwa all die Versprechungen auf ihren realisierbaren Gehalt, sondern erschöpften sich nur allzu oft in atemlosen Berichten über das „horse race“, den Wettlauf, der jeden Tag neu bis auf Bruchteile von Prozentpunkten prognostiziert wurde. Die Erscheinung der Kandidaten, ihr Charisma, die Kleidung ihrer Frauen – fast jeder Nebensächlichkeit wurde in der maßlosen Berichterstattung mehr Raum gegeben als der inhaltlichen Auseinandersetzung mit ihrer Politik. Das Bild von Medien-Stars wurde poliert, damit es sich in den bewundernden Augen einer Star-versessenen, ja Star-gläubigen Menge spiegeln konnte.
Drei Faktoren trugen wesentlich zu Obamas Scheitern bei: Die Wahlbürger, die in grenzenlos naiver, vielleicht aber auch schon sträflich leichtsinniger Weise mit ihren politischen Erlösungshoffnungen Obama unerreichbare Ziele gesetzt haben; die Medien, die mit ihrer Sensationsgier und der zwanghaften Suche nach täglichen Scoops jede noch so unbedeutende Nebensächlichkeit zur Spitzenmeldung hoch gejubelt haben, statt sich in gründlichen Analysen auseinanderzusetzen mit den Problemen des Landes und den Vorschlägen der Wahlkämpfer zu ihrer Lösung; und schließlich ein Präsident, der unhaltbare Wahlversprechen abgegeben hat, obwohl er, ein Insider des politischen Systems, genau wissen musste, dass er viele seiner Versprechen nicht würde einlösen können.
Barack Obama ist kein schlechter Präsident. Er kann reden wie wenige, denkt scharf und hat auch im Oval Office nicht seine politischen Begabungen verloren.
Er ist auch kein schwacher Präsident. Den Abzug aus dem Irak hat er begonnen, Bündnisse konnte er stärken, der Wirtschaftskrise ist er mit einem 800-Milliarden-Dollar-Konjunkturpaket begegnet, die Reform des Finanzmarkts hat er begonnen. Seine Bildungspolitik zielt auf Verbesserung der lange vernachlässigten öffentlichen Schulen, und eine von Millionen Amerikanern seit Jahrzehnten ersehnte Gesundheitsreform, an der Bill Clinton noch scheiterte, brachte Obama gegen großen Widerstand durch den Kongress.
Doch sein Wahlkampf-Fanal “Yes, we can” war maßlos und hat Erwartungen geweckt, die weit über das hinausgehen, was er, was jeder Präsident, versprechen darf.
Schon seine Erfolge verraten, dass er keineswegs alles erreichen konnte, was er in Aussicht gestellt hatte. Gewiss, den Abzug aus dem Irak hat er begonnen, beenden, was seine Anhänger von ihm erwartet hatten, konnte er diesen völkerrechtswidrigen Krieg bislang indes nicht. Und nach der Tötung Osama bin Ladens – ein ebenso fragiler wie fragwürdiger Erfolg – rätselt nun bald auch noch der letzte US-Bürger, warum noch immer 100 Milliarden Dollar jährlich verpulvert werden für einen Krieg, an dessen Ende bestenfalls ein fauler Formelkompromiss und ein kläglicher Rückzug der Supermacht stehen wird.
Dass vorige Woche die Streitkräfte der globalen Militärmacht Nr. 1 ausgerechnet in einer Phase, in der die Sicherheitsverantwortung für das Land am Hindukusch der Regierung in Kabul übergeben werden soll, mit dem ersten Abschuss eines Hubschraubers, bei dem 31 US- und 8 afghanische Soldaten ums Leben kam, den höchsten Blutzoll seit ihrem Einmarsch vor 10 Jahren entrichten mussten, erscheint fast als Symbol für einen verfehlten Krieg, in den noch immer mehr GI’s verwickelt sind als zu Obamas Amtsantritt.
Im Nahen Osten, den der Demokrat nun endlich einer Friedenslösung näher bringen wollte, musste sich der angeblich mächtigste Mann der Welt von einem seiner teuersten Kostgänger, Israels Regierungschef Netanjahu, brüskieren lassen: Der von der Uno seit Jahrzehnten verbindlich geforderte und – nach langem Schweigen – auch von Obama schließlich angemahnte Rückzug Israels auf die Grenzen von 1967 komme nicht in Frage, beschied Netanjahu seine Gastgeber bei seinem Besuch in Washington Und das, obwohl die USA Israels Überleben nicht nur politisch und militärisch sondern mit jährlich vier Milliarden Dollar auch finanziell garantieren.
Eine ganze Reihe fragwürdiger, ja rechtswidriger Entscheidungen seines Vorgängers, versprach Obama zu korrigieren. Die Schließung des rechtsfreien Terrorknasts in Guantanamo ist vielleicht nicht das bedeutendste Wahlversprechen des heutigen Präsidenten, aber möglicherweise das symbolträchtigste. Doch Guantanamo wird nicht nur, wie das Weiße Haus längst einräumen musste, auf unabsehbare Zeit als extralegaler Kerker für Terrorverdächtige fortbestehen. Nicht einmal sein Versprechen, diese Häftlinge wenigstens einer ordentlichen Gerichtsbarkeit zuzuführen, konnte Obama einlösen. Sie werden auch künftig von Militärgerichten abgeurteilt, die selbst in den Augen vieler eigens dafür ernannter Militärstrafverteidiger keinerlei rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen.
Innenpolitisch sieht die Bilanz kaum besser aus: Seine Gesundheitsreform ließ Obama vom Kongress aushandeln. Er hielt sich raus und bekam so bestenfalls eine halbe Reform: Hoch kompliziert und in Wahrheit nicht mehr als eine Krankenkassenreform, für die Obama aber sein wichtigstes politisches Kapital verbrauchte, jenen politischen Vorschuss, der jedem neuen Präsidenten vom Kongress zugestanden wird, ehe der nach einer Wahl zu seinen Eigeninteressen und seiner Konfrontationspolitik zurückkehrt.
Nun fehlte dem in der Gesundheitsdebatte untergetauchten Obama das wichtige politische Kapital für die Erreichung anderer, mindestens ebenso wichtiger Ziele:
Die im Zeichen des Klimawandels überfällige Wende in der Energiepolitik etwa, die sich die Umerziehung der energiesüchtigen US-Gesellschaft hätte zum Ziel setzen müssen. Oder der Abbau der Arbeitslosigkeit, die mit mehr als zehn Prozent nach wie vor weit über dem Durchschnitt anderer Industrienationen liegt.
Die vollmundig angekündigten, teilweise sogar verabschiedeten Schritte zur Finanzmarktreform, wurden vom Kongress Schritt für Schritt wieder ausgehebelt. Befreit von lästigen Kontrollen schütten die mit Hunderten Steuermilliarden geretteten Geldhäuser der Wallstreet längst wieder Boni aus, die das Rekordniveau aus der Zeit vor der Finanzkrise schon wieder erreichen. Weitere Elemente der Bankenkontrolle und Teile seiner Gesundheitsreform musste Obama opfern, um in letzter Minute den wackeligen Schuldenkompromiss im Kongress zu erreichen – ein teurer Kompromiss, den die USA nun auch noch mit der Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit bezahlen müssen.
Das finanzpolitische Desaster könnte Obama die Wiederwahl kosten. Selbst so scharfsinnige Analysen wie die des Wirtschaftsnobelpreisträgers Paul Krugman werden ihm da wenig helfen, der die Schuld von Republikanern und Rating-Agenturen an dem Debakel herausstrich:
“Einerseits gibt es Argumente dafür, dass der Irrsinn auf dem rechten Flügel Amerika zu einer durchweg angeschlagenen Nation gemacht hat. Ohne den Extremismus der Anti-Steuer-Republikaner hätten wir kein Problem, eine Lösung zu finden, welche langfristige Solvenz sichert. Auf der anderen Seite ist es schwer, jemanden zu finden, der schlechter qualifiziert ist, ein Urteil über Amerika abzugeben als die Rating-Agenturen. Die Leute, die minderwertige Wertpapiere bewertet haben, wollen sich nun zum Richter über die Finanzpolitik aufschwingen?”
Kredit hat Obama inzwischen auch bei seinen treuesten Anhängern verloren: Die Schwarzen haben in Massen ihren Hoffnungsträger gewählt, Homosexuelle auf die versprochene Gleichstellung gewartet – für beide Gruppen tat Obama bislang so gut wie nichts. Und die bürgerliche Mitte, vor drei Jahren in Scharen ins demokratische Lager gezogen, sieht sich nicht nur von der Immobilienpleite und der Finanzkrise gebeutelt, sondern muss mit der nun drohenden Entwertung der US-Staatsanleihen, dem wichtigsten Standbein vieler amerikanischer Pensionskassen, auch noch um den Rest ihrer bereits arg gerupften Alterssicherung fürchten.
So verspielte Obama Zug um Zug die Gunst von Kerngruppen seiner demokratischen Wähler. Viele dieser Menschen werden ihn dennoch für eine zweite Amtszeit wählen. Doch die könnte zäh werden: Die Begeisterung von 2008 wird sich vier Jahre später kaum wieder einstellen. Die Hoffnung auf Wandel wurde zerstört von einem Präsidenten, der sich nicht getraut hat zu wollen, was zu erreichen er versprochen hatte. Sein „Yes we can“ klingt in den Ohren vieler seiner enttäuschten Gefolgsleute heute wie „we can’t“ – wir können es leider doch nicht.
Allerdings, Obama allein die Schuld an dieser Entwicklung zuzuschieben, wäre verfehlt. Er musste von seinem Vorgänger George W. Bush ein Erbe übernehmen, das sich als überschwere Bürde erwies: zwei rechtswidrige Kriege, ein durch sie und Steuersenkungen für seine reiche republikanische Klientel ruinierter Haushalt, eine durch die Konfrontationspolitik der Clinton- und Bush-Jahre zutiefst gespaltene Nation. Nahezu in allen Bereichen der Gesellschaft galt es Trümmer wegzuräumen, die George W. zurück gelassen hatte.
Daran, dass dies bislang nicht gelang, gibt es reichlich Mitschuldige. Viele von ihnen bilden das politische System der USA – in seiner Verfilzung kaum durchschaubar, als Einflussgeflecht kaum kontrollierbar.
Große Bereiche der amerikanischen Politik, werden in den 50 unabhängigen Bundesstaaten der Republik geformt. Auf sie hat das Weiße Haus wenig bis keinen Einfluss und dennoch schwärzt ihr Versagen immer auch das Bild des Präsidenten.
Die 100 Mitglieder des Senats, aus jedem Bundesstaat zwei, bestimmen maßgeblich Washingtons Politik. Jedes von ihnen – egal, ob es vom weitgehend menschenleeren Alaska oder aus dem bevölkerungsreichen Kalifornien entsandt wurde, genießt das gleiche politische Gewicht. Und wer es einmal in dieses Gremium geschafft hat, hält sich zumeist auch gleich für die bessere Besetzung im Weißen Haus.
Diese Primadonnen arbeiten ohne feste Bindung an ihre Partei. Um jede wackelige Stimme muss dort gekämpft werden, oft vom Präsidenten selbst, der dann in nächtlichen Telefonaten den Wankelmütigen sein Tafelsilber verspricht, damit sie bei der Stange bleiben.
Das Repräsentantenhaus, die zweite Kammer des Kongresses, ist parteipolitisch zwar straffer organisiert als der Senat, aber gleichwohl keine sichere Bank für den Präsidenten, selbst wenn seine Partei dort die Mehrheit hält. Obamas politische Taktik, den Republikanern die Hand zu reichen, wann immer es möglich oder notwendig schien, ging denn auch nach hinten los. Seine übergroße Kompromissbereitschaft, sicher auch ein Resultat des nicht eben einfachen Lebenswegs eines schwarzen Spitzenpolitikers in den USA, dankte der politische Gegner nicht mit Kooperation sondern mit fast schon beispielloser Obstruktion. Gesetzesvorhaben der Regierung wurden im Kongress verwässert, bis zu Unkenntlichkeit entstellt oder mit dem Mittel des „Filibuster“, dem nur durch eine qualifizierte Mehrheit zu beendenden endlosen Debattenrecht, ganz verhindert.
Den Rubikon politischer Zugeständnisse hat der angeblich so mächtige Mann im Weißen Haus nach Ansicht vieler seiner treuesten Anhänger überschritten, als er wegen des dramatischen Haushaltsdefizits einen harten Lohnstopp für Staatsdiener verhängte und gleichzeitig einen republikanischen Herzenstraum erfüllte, eine weitere Steuersenkung für die Vermögenden.
Statt, wie versprochen, den dramatischen wirtschaftlichen Abstieg der amerikanischen Mittelklasse zu stoppen, tat die Regierung das genaue Gegenteil – und zwar ohne irgendeine politische Gegenleistung der Republikaner dafür einzufordern.
Das Online-Magazin „Slate“ bilanzierte: „Die Schere zwischen Arm und Reich ist in den USA mittlerweile größer als in traditionellen Bananenrepubliken wie Nicaragua oder Venezuela. Auf 1 Prozent der Bevölkerung Amerikas entfallen heute 24 Prozent des Gesamteinkommens; Großverdiener tragen 531-mal so viel nach Hause wie ein durchschnittlicher Arbeiter (1980 waren es noch 41-mal so viel). Sie kommen mehrheitlich von der Wallstreet. Von 1980 bis ins Jahr 2005 sind mehr als vier Fünftel des gesamten Einkommenswachstums in ihre Taschen geflossen. Doch haben sie eine Steuerrate, die ein Drittel unter der von 1970 liegt.”
Angesichts einer so desolaten wirtschaftlichen Perspektive für die Masse der Amerikaner zerschlug sich die Hoffnung der Administration, die Wähler würden den Republikanern bei den Halbzeitwahlen 2010 eine Lektion für ihre Blockadepolitik erteilen. Mit einem Erdrutschsieg gewannen die Konservativen eine satte Mehrheit im Repräsentantenhaus und jagten den Demokraten auch noch wichtige Sitze im Senat ab. Damit sinken Obamas Chancen gegen Null, in der zweiten Hälfte seiner ersten Amtszeit noch einige, geschweige denn kontroverse Wahlversprechen einlösen zu können.
Die Bereitschaft des Präsidenten, dem politischen Gegner immer wieder bis an die Grenze der Selbstverleugnung entgegen zu kommen, lässt ihn mittlerweile in den Augen vieler seiner Anhänger als Mann ohne Überzeugungen dastehen. Der Hoffnungsträger von 2008 verbreitet Enttäuschung und nicht mehr die Aussicht auf Wandel.
Das liegt auch daran, dass den Wählern sehr schnell klar geworden ist, dass der Mann, der Washington zu ändern versprach, von einem übermächtigen politischen System selbst verändert wurde.
Auf 1,3 Milliarden Dollar werden die Kosten des letzten Wahlkampfs um den Einzug ins Weiße Haus geschätzt, Tendenz – weiter steil steigend. Wahlkampf und die Vorbereitung darauf ist deswegen ein Dauerzustand der amerikanischen Politik, der die Erledigung selbst der wichtigsten politischen Aufgaben viel zu oft erheblich behindert. Das Spendensammeln ist zu einer zentralen Funktion des politischen Systems der USA geworden.
Für schöne Augen rücken die angebettelten Großspender ihre Millionen indes nicht raus. Über den Lobby-Filz, auch Korruption genannt, im politischen System der USA schrieb bereits 1993 William Greider, damals Politikchef beim Intellektuellen-Blatt „Rolling Stone“, sein enthüllendes Buch „Who will tell the People“. Akribisch sezierte er den Einfluss von mächtigen Lobby-Gruppen auf den politischen Prozess der Weltmacht.
Washingtons Power-Mile, die M-Street zwischen der Key-Bridge und dem Stadtzentrum ist gespickt mit den Büros einflussmächtiger Anwaltskanzleien, deren einzige Aufgabe darin besteht, politische Entscheidungen im Sinne ihrer Klientel zu steuern. Dazu fließt Geld, dafür gibt es teure Gaben und schließlich auch noch „Schreibhilfe“ bei Gesetzen und Verordnungen: Die Lobbyisten hatten es nämlich schon damals bis ins Herz der amerikanischen Volksvertretung geschafft, wo sie ungeniert Paragraphen, Vorschriften und Verordnungen abstimmungsreif formulierten, und immer so, dass ihre Interessengruppen möglichst großen Nutzen daraus zogen.
Obama kannte dieses System, war jahrelang als Senator Teil von ihm. Er hätte wissen müssen, dass die mächtigen Lobbyverbände des Gesundheitswesens schwerstes Geschütz auffahren würden, um seine Gesundheitsreform zu versenken. Er hat es nicht gewagt, sich mit diesen für jede Wahlkampfkasse wichtigen Gruppen anzulegen. Und an der Wallstreet, deren zerstörerische Macht er einzuschränken versprach, ist der Präsident längst wieder als Spendensammler unterwegs.
Obama nun aber vorzuhalten, er habe das Mandat nicht genutzt, dass die Wähler 2008 so machtvoll erteilt hätten, wäre verfehlt. Wie machtvoll ist ein Mandat denn, dem mehr als die Hälfte der amerikanischen Wahlberechtigten ihre Zustimmung verweigert hat? Wie gewaltig ist die Legitimation eines Präsidenten, den nicht einmal 25 Prozent der Abstimmungsberechtigten in sein Amt gehievt haben?
Die amerikanische Nation ist zerrissen. Mehr als die Hälfte der US-Bürger fühlt sich längst ausgeschlossen aus einem politischen System, in dem finanzstarke Interessengruppen regelmäßig ihre Absichten durchdrücken. Eine Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent würde in Deutschland alle Alarmglocken schrillen lassen. In den USA ist es nicht einmal Anlass, über die Legitimation einer Demokratie nachzudenken, mit der Washington auch noch in aller Welt hausieren geht.
Zerrissen ist das politische Amerika aber auch in zwei nahezu gleich starke politische Lager, von denen das eine, die Republikaner, das andere, die Demokraten, mit einem Hass verfolgt, der für uns Europäer fast ohne Beispiel ist.
Von „Amerikas Hassbürgern, den Waffennarren und Tea-Party-Demagogen“ berichtete der langjährige USA-Reporter Klaus Brinkbäumer im Spiegel; von Menschen, „die Obama zuerst mit Hitler vergleichen und Minuten später mit Stalin“; Fanatikern, „die kaum mehr denken können vor lauter Hass“; Hetzern wie dem „Fernsehmoderator Glenn Beck, der sagte, Obama sei getrieben von der Sorge ums Gemeinwohl, was ’exakt jenes Denken war, das zu den Konzentrationslagern in Deutschland’ führte. Beck hat Millionen Jünger und tritt zusammen mit dem Shooting-Star der Republikaner, Sarah Palin, auf, die Obamas zweiten Vornamen, Hussein, bedrohlich-genüsslich ausspricht; vor zwei Jahren war das ein Tabu, dort lag damals die republikanische Schamgrenze.“
Schamgrenzen kennt diese Partei heute offenbar nicht mehr.
Aber nicht nur Obamas Gegner im Wahlvolk tragen Mitschuld an seinem Scheitern. Auch seine Anhänger haben einen Erfolg praktisch unmöglich gemacht. Als würde der wieder erschienene Messias ihnen in Bälde die Bürde des täglichen Lebens von den Schultern nehmen, haben sie ihren Hoffnungsträger in den Himmel gehoben, in eine Höhe, aus der er nur noch stürzen konnte.
Die Erwartung, ein einzelner Mann könne all das erfüllen, was millionenfach von ihm erwartet wurde, ist nicht nur infantil. Sie ist zutiefst undemokratisch, misst sie dem Gesalbten doch geradezu absolutistische Machtfülle zu. Genau die aber kommt – idealtypisch – in der Demokratie nicht dem Mächtigen sondern der Mehrheit zu. Und die besaß Obama weder in der US-Bevölkerung, noch unter den Wahlberechtigten, und unter den Wählern nicht viel länger als am Wahlabend selbst.
„Die USA sind von Europa sehr viel weiter entfernt, als viele Europäer denken, die USA sind anders, ganz und gar“, urteilt Brinkbäumer. „Millionen Amerikaner wollen die Reduzierung der Regierungsmacht, weil das eben uramerikanisches Denken ist, aber es sind dieselben Amerikaner, die wollen, dass der Präsident sie aus der Krise führe. Sie wollen Bahnhöfe, Schulen und saubere Energie, aber sie wollen keine Steuern zahlen. Sie sind Nachkommen von Einwanderern, sie wissen es und sind gegen Einwanderung. Die USA sind ein träges Land geworden in fetten Jahrzehnten, mehr als das durch Kriege geprägte Europa an Einzigartigkeit und Unverletzbarkeit gewöhnt. Sie sind darum geradezu paranoid angesichts asiatischer Stärke oder eines schwarzen Präsidenten. Diese USA wissen, dass sie den Wandel brauchen, aber sie fürchten den Wandel. Ein solcher Zustand lässt sich schizophren nennen, zu Hysterie führt er gewiss.“
Der mächtigste Mann der Welt ist in Wahrheit weit weniger mächtig als es scheint. Sicher, er kann Terroristen rund um den Globus mit Satelliten und ferngesteuerten Drohnen jagen, kann internationales Recht missachten und Kriege führen, er könnte sogar mit all den amerikanischen Atomwaffen noch immer die Welt in Schutt und Asche legen. Aber Kriege beenden, eine Krankenversicherung für alle Amerikaner schaffen, eine Begrenzung der Boni für spekulationssüchtige Banker durchsetzen, dass kann er nicht in einem politischen System, dessen gut schmierende Partikularinteressen nur allzu oft Oberhand gewinnen über das Gemeinwohl.
Und das große Versagen der Medien liegt darin, dass sie sich allzu oft in Spiegelfechtereien erschöpfen, Illusionen nähren und die Nation mit Hasstiraden spalten. Heute, im Sommer 2011, überschlagen sich die Journalisten bereits wieder mit Meldungen und Berichten über die möglichen Kandidaten fürs nächste Rennen ums Weiße Haus, statt zu analysieren, warum und woran der mit so viel Vorschusslorbeeren bis hin zum Friedensnobelpreis geehrte derzeitige Amtsinhaber so kläglich gescheitert ist.
Es gibt keine Analysen mehr in den US-Medien, kaum Nachrichten, nur Polemik in Fernsehspot-Länge und endloses Geschrei. Populismus, auch das zeigt das Beispiel von Barack Obama, kann vielleicht Wahlen gewinnen. Er birgt jedoch stets den Keim des Untergangs, weil er kaum je den Notwendigkeiten konkreter Politik standhält.
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