Von Michael Kraske
Die Kälte frisst sich sofort durch Jacken und Hosen, als wir unseren Rundgang beginnen. Nebenan fließt idyllisch das Flüsschen Zschopau. Vor dem großen, grauen Komplex der alten Baumwollspinnerei in Sachsenburg, einem kleinen Ort bei Chemnitz, haben sich etwa 30 Leute versammelt, um mit uns die Spuren eines frühen NS-Konzentrationslagers zu suchen und anschließend bei einer Lesung darüber ins Gespräch zu kommen, wie es anfängt und was zu tun ist, damit es sich nicht wiederholt.
Am Anfang war es nur eine Idee gewesen. Nachdem ich für Spiegel Online über „Das vergessene KZ“ Sachsenburg und das Engagement der jungen Lehrerin Anna Schüller berichtet hatte, die sich hier gegen große Widerstände für eine Gedenkstätte einsetzt, bekam ich eine Mail von Julian Aicher. Er stellte sich als Neffe von Sophie und Hans Scholl vor und fragte, ob er irgendwie helfen könne. Ich war gerührt. Spontan dachte ich an eine gemeinsame Lesung im ehemaligen Konzentrationslager, das heutzutage zum Teil bewohnt ist. In einem Fenster verbreitet ein Schwippbogen vorweihnachtliche Heimeligkeit. Manchmal kommen Hochzeitspaare her, um Fotos vor der imposanten Industrie-Architekturkulisse zu machen. Fußball-Freunde vom heimischen Sportverein gehen über das Areal zum benachbarten Sportplatz, auf dem ab 1933 Häftlinge gequält wurden. Diese Geschichte entdeckt hier nur, wer um sie weiß. Die Spuren werden überwuchert, überwohnt, verfallen. Sachsenburg ist ein merkwürdiger Ort. …[ mehr ]