Alice im Schwurbelland

Von Marion Kraske

Da war sie wieder: Im Kreise der Liebsten saß sie da wie selbstverständlich, wie sie immer da sitzt, in den nicht enden wollenden IllnerMaischbergerJauchLanz-Familienrunden, wie Kai aus der Kiste wird sie dann präsentiert, wie der immergleiche Gag bei kunterbunten Kindergeburtstagen. Von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Sendung zu Sendung, immer wieder aufs Neue herum- und weitergereicht. Und täglich grüßt das Murmeltier: Alice Schwarzer.

Wenn sich andere Leute zu Hause auf ihren Sofas lümmeln und die Fernsehprogramme verfolgen, nimmt Alice Schwarzer regelmäßig in den Talkkränzchen dieser Republik Platz. Gefühlt vergeht keine Woche, in der sie NICHT mit ihren zusammen gekniffenen Augen in die Kamera blickt und das breite Grinsen auf die hauchdünnen Lippen spielt, etwas ironisch sieht das aus, etwas selbstgefällig auch. So schaut jemand in die Welt, der meint, ihm hafte die Bedeutungsschwere einer übergeordneten Instanz an.

Hach, diese Instanzen! Man findet sie, sobald verstorben, in Stein gemeißelt auf Grünflächen, in Parks. Sie bleiben dort stehen, auf Jahrzehnte. Ähnlich ausdauernd bleibt Alice Schwarzer schon zu Lebzeiten einfach sitzen, so beharrlich belagert sie seit jeher die Fernsehstudios dieser Republik, nur die Protagonisten um sie herum wechseln sich ab. Wenigstens das.

Ein unausweichliches-stets-und-immer-allzeit-bereites Maskottchen deutscher Talkformate hat sich so über die Jahre ausgebildet. Dauerpräsenz und Dauertalk. Mal ganz blöd gefragt: Hat irgendjemand eine Ahnung, warum eigentlich?

In die Tage gekommene Ausdeuterin der okkupierten Frauenwelt

Dass sie Emma herausbringt, dass sie für die Frauenrechte eingetreten ist, für die Emanzipation in verkrusteten Zeiten, und vorgibt, es noch immer zu tun – alles schön und altbekannt. Und höchst verdienstvoll, keine Frage. Warum aber darf die Frau mit grauer Fönfrisur im Zeitalter von Facebook und Feuchtgebieten, von Nerdbrillen und Nietenboots als Obererklärerin nach wie vor forsch und ungefiltert die von ihr okkupierte Frauenwelt ausdeuten?

Oder den Islamismus (und den Islam gleich mit)? Oder die Politik in all ihren Facetten? Oder die Freiheit? Oder das Hier und Jetzt im Generellen? Oder zuletzt eben auch die Kanzlerin und den Steinbrück? Warum zum Teufel besitzt Alice Schwarzer dieses Lebens-Abo, auch in jenen Sendern mit vermeintlichem Bildungsauftrag, warum die Lizenz zur Immer- und- Überall-Beschallung?

Schuld an dieser unerträglichen Endlosschleife Alice sind die Redaktionen: Es hagelt Einladungen ganz so als gäbe es in den Karteikarten der Sender keine anderen weiblichen Köpfe, und wenn, wie jüngst bei Jauch mit der Autorin Andrea Hanna Hünniger zur Abwechslung und großen Verwunderung einmal unverbrauchte Gesichter auftreten dürfen, werden sie einzig als schmückendes Beiwerk in die vertraute Runde gepflanzt, aber kaum mit Beachtung geschweige denn mit Fragen bedacht, den Rest erledigen dann wieder die üblichen Verdächtigen.

Die immer gleichen Gäste in den Talksendungen: Belanglose Schwurbelkultur

Ganz ähnlich wie bei den allabendlichen Filmproduktionen, bei denen immer und immer wieder die immer gleichen Akteure auftreten, als bestehe die Republik lediglich aus einer Handvoll Schauspielern, schwatzen so neben der immer gleichen Alice Schwarzer die immer gleichen Mitstreiter – der vom Übervater Helmut Kohl schwer getroffene Sohn bis hin zum irrlichternden Historiker Arnulf Baring. Mit diesen öden Besetzungen verkommen die zahlreichen Talksendungen nach und nach zum Inbegriff für eine belanglose Schwurbelkultur. Um Inhalte geht es dabei schon lange nicht mehr.

Wie es tatsächlich um die Urteilskraft der Gäste bestellt ist, ist den Sendern augenscheinlich gänzlich wurscht. Warum etwa ein Paul Breitner – ernsthaft – beim Thema Politik reüssieren soll? Warum Baring noch immer die Geschichte beleuchten darf, wo es dutzende Kollegen, ausgezeichnete Wissenschaftler, gäbe, die diese Aufgabe für das Publikum entschieden erhellender umsetzen könnten? Und warum nur eben immer wieder Alice?

Dass sie mit dem von ihr lange angefeindeten Kampfblatt BILD kuschelte, dass sie
für das Springerblatt selbstgefällige Kolumnen schrieb, dass sie den unter Verwaltigungsverdacht geratenen Wettermann Kachelmann auch ohne Medizinexpertise einen „ziemlich gestörten Menschen“ mit Therapiebedarf erklärte, dass sie die Causa Kachelmann auch nach Prozessende verfolgte wie eine Inquisationsbeauftragte, dass sie das Wort Unschuldsvermutung zum „Unwort des Jahres“ küren wollte, dass sie trotz Kachelmanns Freispruch weiter an der These seiner Schuld festhält und diese vor sich herträgt wie eine Monstranz in der Messe, dass sie Frauen mit Schleier ähnlich harsch diffamiert wie hetzende Rechtsausleger – all das hat der grassierenden Ikonographie der Alice Schwarzer hässlichste Kratzer verpasst.

Und dennoch scheint all dieser Fehltritte zum Trotz ihre Anwesenheit im deutschen Fernsehen aus Sicht der Programmverantwortlichen unverzichtbar. Auf diese Weise ist Alice Schwarzer im Geschäft der öffentlichen Meinungsschleuderei das exakte Gegenteil zu Angela Merkel im Bereich der Politik: Beide Damen dampfplaudern ohne Ende und werden dafür geliebt: Während Schwarzer zu allem immer eine Meinung vertritt, wenn auch mitunter höchst zweifelhafte, sagt Angela Merkel regelmäßig und staatstragend mit viel Worten: Nichts. Wie war das noch gleich? Ein Land bekommt immer genau die HeldInnen, die es verdient.

Siehe zu diesem Thema auch den Beitrag der Autorin „Das Angela-Alice-Dilemma“ in der Anthologie: Herrschaftszeiten, DuMont-Verlag 2009

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