Christian Lindner, die FDP und der Südpol der Politik

Von Marcus Müller

Christian Lindner hat sicher nicht an den 14. Dezember 1911 gedacht, als er seinen Rücktritt vom FDP-Generalsekretärsposten ankündigte. An diesem Tag vor 100 Jahren erreichte der Norweger Roald Amundsen als erster Mensch den Südpol. Was das mit der nun gänzlich geschredderten Partei FDP zu tun hat? Biografen von Amundsen sowie seinem gescheiterten und erfrorenen Konkurrenten Robert F. Scott sagen, dass gerade der Durchhaltewillen diese fast übermenschliche Skimarsch-Leistung erst ermöglicht habe.

Nun, Durchhaltewillen ist in der Politik offenbar nicht mehr überall so arg weit verbreitet. Die Liste der Polit-Abtrünnigen verzeichnet in den vergangenen Jahren nicht nur völlig erratische Abtritte wie den von Horst Köhler als Bundespräsident und viel zu spät und skurril geratene, wie den knallchargenartigen Untergang eines psychologisch auffälligen Adelssprösslings. Sondern auch die von Politikern wie Friedrich Merz und Roland Koch. Die zwei Letzteren wollten dann offenbar doch nicht mehr so konsequent für ihre Sache stehen, wie sie das immer behauptet hatten, sondern lieber fett Geld verdienen.

Den Südpol der Politik hatte keiner von ihnen als Ziel, aber immerhin waren sie doch ein ordentliches Stück des durchaus manchmal eisglatten Weges gegangen. Christian Lindner kehrt nun schon kurz nach dem bundespolitischen Start um. Eigentlich ist es ihm nicht zu verdenken: Ist der Intellekt der FDP doch irgendwann in den späten 1970er-Jahren eingefroren worden, hat sie sich unter Guido Westerwelle doch ausschließlich den Programm-Proviant „niedriges, einfaches, gerechtes Steuersystem“ auf den Schlitten geladen. Und mit dem um Macht und um die Wette Strippen ziehenden Rainer Brüderle als nuschelndes Ur-Schlachtross und Fraktionschef sowie dem Noch-Parteivorsitzenden Philipp Rösler, darf man sich die FDP derzeit bestimmt als ein von Eisstürmen durchwehtes Gebilde vorstellen. Der noch unter Westerwelle und von seinen Gnaden installierte Lindner dürfte diesen Sturm von beiden Seiten abbekommen haben.

Doch der erst 32-jährige „Bambi“ Lindner ist auch selbst ordentlich ausgerutscht: Die unter ihm erarbeiteten Parteiprogramm-Entwürfe sind schlaffe Papierchen. Sein Versuch, die schrille Westerwelle-Show durch einen „mitfühlenden Liberalismus“ zu ergänzen – was immer das sein soll – oder die krasse Katastrophen-Entscheidung „Mövenpick-Steuer“ wieder zurechtzubiegen scheiterten kläglich.

Lindners letzte Generalsekretärsworte waren die Ankündigung, für den politischen Liberalismus, der nur die politische Heimat FDP habe, als einfacher Abgeordneter kämpfen zu wollen. Aber wie er sich das mit der Zukunft des Liberalismus genau vorstellt, das verriet er nicht.

Noch etwas fällt mit Lindners Abgang jedoch auf – und es wiegt schwerer als der Verlust einer Figur aus einer sich selbst überflüssig machenden Partei: Die Politiker im Alter um 30 und 40 scheitern gerade spektakulär. Sie sind unverschämt bis über die Schmerzgrenze, wie die Doktorspielenden Guttenberg und Silvana Koch-Mehrin, die FDP-Europaabgeordnete. Sie sind ahnungslos bis zum Fremdschämen wie Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. Sie sind offenbar ihrem Amt nicht gewachsen wie FDP-Chef Rösler und Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr.
Es ist das Prinzip der FDP, die das Unbehagen an diesen Politikern auslöst: Das Jeder-ist-sich-selbst-der-Nächste. Wenn auch das mit der FDP stirbt – wunderbar!

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Eine Antwort auf Christian Lindner, die FDP und der Südpol der Politik

  1. Sven sagt:

    Mal wieder so richtig auf die Zwölf. Bravo, wieder ein Stück, das den Debattiersalon schmückt.