Kroatien: Willkommen, ihr Euroskeptiker!

Von Marion Kraske

Und, freuen Sie sich auf Europa? Wann immer man Kroaten in jüngster Zeit nach einer möglichen Zukunft ihres Landes innerhalb der EU fragte, erntete man brüske Ablehnung. Ob beim Bäcker, im Cafe oder im Gespräch mit der Nachbarin, die mit größter Akribie und einer gewagten selbstgebastelten Konstruktion in der heimischen Garage ihren glasklaren und äußerst schmackhafen Sliwowitz zusammenbraute – immer schlug einem der gleiche Tenor entgegen: EU? Nein danke! Ohne stehe Kroatien doch viel besser da.

Zwar fühlen sich die meisten Kroaten seit jeher als Europäer – eine Reminiszenz an die langjährige k.u.k.-Herrschaft – und keinesfalls wollen sie mit den übrigen Staaten Ex-Jugoslawiens, diesem chaotischen Fleckchen Erde namens Balkan in einen Topf geschmissen werden. Die Unabhängigkeit, die das Land in einem vier Jahre andauernden Krieg verteidigen musste, gilt vielen jedoch als höchstes Gut. Sie aufzugeben – nicht eben ein Grund zum Feiern.
Kein Wunder also, dass nur 44 Prozent der Kroaten am vergangenen Wochenende den Weg an die Urnen fanden. Beim landesweiten Referendum votierten dann aber doch zwei Drittel für den Beitritt zur Europäischen Union, der am 1. Juli 2013 vollzogen werden soll. Immerhin – es waren mehr als gedacht.

Und doch: Euphorie sieht anders aus. Noch sind im Adrialand die Vorbehalte gegenüber der Gemeinschaft groß. Es werde einen Ausverkauf der heimischen Küstenlandschaft geben, unken die einen. Die Schönheit des Landes – sie ist seit jeher Teil des nationalen Sendungsbewusstseins. Andere warnen vor einem Diktat aus Brüssel. Die Landwirte fürchten angesichts billiger EU-Produkte um ihre Konkurrenzfähigkeit.
Und fast alle, Familien und Rentner vorneweg, haben Angst vor rasanten Preisanstiegen, klagen sie doch heute schon über die teuren Lebensmittel, die – zugegeben – oftmals kaum günstiger sind als in deutschen Supermärkten.

Die Angst vor steigenden Preisen ist nicht unbegründet: Auch Nachbar Slowenien durchlitt nach dem EU-Beitritt eine massive Teuerungswelle. Dass Slowenien im Kreise der neuen EU-Mitglieder heute glänzend da steht, blenden viele Kroatien nur allzu gerne aus. Dabei ist Slowenien, die einzige ehemalige Republik des zerfallenen jugoslawischen Vielvölker-Staates, die es bislang in die EU geschafft hat, ein Musterbeispiel für gelungene Transformation. Wer heute durch das kleine bergige Land reist, erkennt keinen Unterschied mehr zum Nachbarland Österreich: Überall werden neue, schicke Häuschen gebaut, kleine und mittlere Betriebe siedeln sich an, der Wohlstand wächst. So sehen europäische Erfolgsstorys aus.

Und auch in Kroatien selber gibt es die ersten Erfolge zu vermelden: So hat der Druck aus Brüssel den Korruptionssumpf an der Adria augetrocknet, die bis dahin einseitig und parteiisch agierende kroatische Justiz auf Vordermann gebracht und europäischen Standards angenähert. Ganz allmählich kann man von einem funktionierenden Staat sprechen. Aus eigenem Antrieb heraus hätte Kroatien die endemische Korruption wohl kaum bekämpfen können. Die EU bewies Ausdauer: Mit Zagreb verhandelte Brüssel so lange wie mit keinem anderen Land zuvor. Man hat aus den verfrühten Beitritten der Bakschisch-Länder Rumänien und Bulgarien gelernt, in denen noch immer Millionen aus Brüsseler Töpfen in dunklen Kanälen versickern.

Dennoch ist Kroatien längst nicht zur Gänze in der neuen Zeit angekommen. Als im vergangenen Frühjahr der ehemalige General der Kroatischen Armee, Ante Gotovina, wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom Jugoslawientribunal in Den Haag zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, protestierten aufgebrachte Kroaten lautstark gegen das ungerechte Urteil des als illegitim erachteten Gerichts. Selbst die Regierung und die Katholische Kirche schlossen sich dem nationalistischen Aufschrei an. Die Operation Oluja (Sturm), die Gotovina im Sommer 1995 befehligte und bei der tausende Serben getötet und vertrieben wurden, sei ein notwendiger Akt gegen die serbische Aggression gewesen. Gotovina selbst verehren sie inbrünstig als Nationalheiligen – Kriegsverbrechen hin oder her.

Dass selbst der Ex-Militär mit den markanten Gesichtszügen aus seiner Zelle heraus seinen Landsleuten nahelegte, beim Referendum pro Beitritt zu stimmen, ist ein weiterer Beleg dafür, dass das Land im Umbruch ist. Ganz allmählich beginnen die Feindeslinien zu verschwimmen. Und so ist das positive Votum in erster Linie auch ein wichtiges Signal in die Region, die, gebeutelt von nationalistischem Denken, die blutigen Erbfolgekriege längst nicht aufgearbeitet hat. Serbien befindet sich auf Isolationskurs und weigert sich trotzig, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen. Bosnien-Herzegowina ist de facto ein nach ethnischen Grenzen geteiltes Konstrukt und weit davon entfernt, als Staat eigenständig zu funktionieren. Noch immer dominieren hier unüberbrückbare Nationalismen: Der serbische Teil des Landes, die Republika Srpska, torpediert den Gesamtstaat, wo er nur kann. Die internationale Gemeinschaft ist mit ihren Bemühungen, das Land der Bosnjaken, Kroaten und Serben zu einen, vorerst gescheitert.

In Kroatien konnte das unselige Erbe der Vergangenheit überwunden werden, weil ausgerechnet die Konservativen, lange Zeit Motor des nationalistischen Ungeistes, den Weg nach Europa ebneten: Es war die HDZ des früheren Präsidenten Franjo Tudjman, die den flüchtigen Gotovina vor einigen Jahren auf Teneriffa aufspüren ließ und an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag auslieferte. Ein mutiger Akt – wer sich gegen Gotovina und damit gegen die meinungsbildende Mehrheit stellte, musste lange Zeit fürchten, von einem wütenden Mob hinweg gefegt zu werden. Diese Zeiten sind vorbei. Kroatien kann nun als Mitglied Europas ein demokratisch gefestigter Staat werden. Auch die übrigen Staaten Ex-Jugoslawiens sollten dem Beispiel Sloweniens und Kroatiens folgen und ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Befriedung der Region leisten. Eines ist sicher: Nur unter dem gemeinsamen Schirm Europas werden die nationalen Gräben ein für alle Mal zugeschüttet werden können.

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2 Antworten auf Kroatien: Willkommen, ihr Euroskeptiker!

  1. Damian sagt:

    Hey, schöner Beitrag, der RSS Hyperlink funzt lieedr net, aber ansonsten top Homepage!