Spieglein, Spieglein

Von Michael Kraske

debattiersalon | Hitler-Titelseiten von taz und Spiegel | Foto © Marcus Müller 2013Mit Ausgabe 5 kam der Spiegel Anfang des Jahres endgültig auf dem Niveau von Helmut Dietls Satire Schtonk! an: Brüllend komisch, im Gegensatz zum Film allerdings unfreiwillig. Der Titel „Hitlers Uhr“ hätte gut ins Schtonk-Drehbuch gepasst, wo die Film-Chefredaktion in kleiner Runde darüber brütet, ob das Kürzel „F.H.“ denn nun Führers Hand, Führers Hund oder Führerhauptquartier bedeutet. Hauptsache Führer, hatte sich auch die Chefredaktion des Spiegels angesichts des Auflagen-Sinkflugs bei der Titel-Wahl gedacht. Wenn nichts mehr geht – der Führer geht immer. Mit der abgebildeten Führeruhr, einem Geschenk für dessen Geliebte Eva Braun, schrappte der Spiegel haarscharf an dem von Christiane Hörbiger in Schtonk! süffisant thematisierten „Führerpopel“ vorbei. Der Nationalsozialismus als medialer Fetisch zur Auflagenrettung. So durchschaubar war der Spiegel zuletzt.

Nun hat weder der Führer, noch der kleine Führer aus Nordkorea den Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo retten können. Dem Titel „Kim Jong Bumm“, der die atomaren Drohungen des nordkoreanischen Diktators in Bild-Manier zu einer weiteren unfreiwilligen Lachnummer verwurstete, folgte der Rauswurf von Mascolo und seines in inniger Abneigung verbundenen Mit-Chefredakteurs Mathias Müller von Blumencron. Zuvor hatte die Branche den bevorstehenden Tritt in den Hintern der Chefredakteure genüsslich angekündigt und schon mal skurrile potentielle Nachfolger wie Miriam Meckel durchgekaut. Das öffentliche Palaver um die geschassten Doppelspitzen-Köpfe verkleistert den Blick auf den Zustand des Magazins: Die Probleme des einstigen Sturmgeschützes der Demokratie sind viel größer als missratene Titelbilder. Der Spiegel von heute hat nicht nur an Auflage verloren, sondern auch an Relevanz, Analyse und Debattenkultur.

Der Ton deutscher Debatten wird längst von anderen vorgegeben. Wenn der Spiegel zuletzt überhaupt ein großes Thema setzte, dann tat er das mit so wenig Haltung, dass er als orientierende Instanz ein Totalausfall war. Den kruden Biologismus und die Neo-Eugenik von Thilo Sarrazin druckte der Spiegel vorab nahezu unkommentiert ab und ließ sich dafür von dem Populisten als bloße Plattform missbrauchen. Die relevante Debatte über den rassistischen Kern von Sarrazins Menschenbild fand dann in FAZ, Zeit und sogar der Welt statt.

Spiegel-Chef Georg Mascolo saß dann bei einem seiner wenigen Polittalk-Auftritte stocksteif da und rechtfertigte den Abdruck emotions- und ausdruckslos wie unter Hypnose. Dem Spiegel fehlte nicht nur in der Sarrazin-Debatte eine pointiert-analytische Haltung, sondern auch einer, der sich leidenschaftlich in die Leit-Debatten des Landes einmischt. Hans-Ulrich Jörges vom stern mag manchem mit seiner selbstverliebten Rhetorik auf die Nerven gehen, aber seine präzisen und scharfen Analysen sind gefragt und allgegenwärtig, während Jauch und die anderen Politplauderer meist gar nicht erst auf die Idee kamen, einen weiteren roboterhaften Auftritt bei der Konkurrenz vom Spiegel zu buchen.

Der Spiegel ist eine große Maschine mit exzellenten Journalisten, aber er ist auch ein kreativitättötender Apparat, der Themen in der immer gleichen Weise durchnudelt. Bei Großereignissen gern in Form der rekonstruierten Reportage, wo der Leser dann erfährt, was Beate Zschäpe an Tag X um 5:28 Uhr gemacht oder gedacht hat. Diese anlassbezogenen Kraftanstrengungen von einem Dutzend Reportern sind löblich und spannend zu lesen wie ein Krimi, aber danach schiebt der Spiegel dann nur noch kleine Skandale und Akten-Schreddereien hinterher, anstatt etwa die volle Recherche-Wucht auf die weiter völlig ungeklärten Mega-Fragen zu werfen: Warum konnte der NSU unerkannt morden? Welche Rolle spielte der Verfassungsschutz? Warum darf der Verfassungsschutz einfach weiter machen? Wie kann es sein, dass der Bundestags-Untersuchungs-Ausschuss von Staatsbediensteten verhöhnt und vorgeführt wird?

Beim Spiegel arbeitet die geballte und Nannen-Preis-gekrönte Kreativität. Da, wo die Edelfedern sich jedoch so richtig kreativ austoben dürfen, wird es bisweilen absurd. Unvergessen das mehrseitige Porträt von Alexander Osang über Busen-Sternchen Pamela Anderson, die an einer von einem „ Pforzheimer Bordellmillionär“ veranstalteten Rallye teilnahm. Langjährige Spiegel-Leser fragten sich: Warum werde ich damit belästigt? Warum sollte ich das lesen? Welche Relevanz hat das? Hatte natürlich gar keine Relevanz und die schöneren Busenbilder finden sich auch anderswo. Die Geschichte war natürlich brillant geschrieben, aber völlig überflüssig. Genau dieser schönschreiberische Selbstzweck mancher Geschichte stößt vielen treuen Spiegel-Lesern so übel auf, dass sie den Spiegel abbestellen oder sich mit Zeit und Süddeutscher trösten.

In die langen Reportagen des Spiegels haben sich schwer erträgliche Manierismen eingeschlichen. Besonders beliebt ist bei Spiegel-Autoren das Wörtchen „vielleicht“. Vielleicht ist XY in diesem Moment der wichtigste Bürgermeister des Landes. Vielleicht will er damit das ganze Land retten. Vielleicht? Ja, vielleicht auch nicht! Manche Fakten lassen sich nicht recherchieren. Dann ist es lobenswert, wenn der Autor seine Unkenntnis nicht überspielt und die Ahnungslosigkeit ehrlich benennt. Aber in vielen Fällen müsste der Autor seinen Gesprächspartner einfach fragen. Tut er aber nicht, weil das raunende „vielleicht“, das gern mit dem vermutenden „wahrscheinlich“ gepaart wird, einen tastenden, sensiblen Sound kreieren soll. Journalisten sind aber keine Soundtüftler. Die Liebe zum eigenen Stil, der narzisstisch besondere Blick auch für winzigste Details durchzieht auch die Politiker-Porträts im Spiegel. Leider bleibt auch nach vielen Café-Szenen mit Sahra Wagenknecht offen, wofür sie denn nun steht, ob ihre Wandlungen glaubwürdig sind und welche Politik von ihr zu erwarten ist.

Hätte man in den vergangenen Jahren nur den Spiegel gelesen, so hätte man auf den Gedanken kommen können, außer Deutschland gebe es nur noch die USA, Afghanistan, Pakistan und den Irak. Auslandsberichterstattung war vor allem Terror und Krieg, was genau sich etwa in Ungarn abspielt, tauchte nur randnotizenhaft auf. Die Eskapaden von Putin und Berlusconi warfen mal einen Alibi-Titel ab, bevor Italien und Russland wieder ausgeblendet und vergessen wurden.

Es gibt also weit mehr für den neuen Chefredakteur oder die neue Chefredakteurin (wer´s denn glaubt) zu tun, als unpeinliche Titelbilder auszuwählen. Der Spiegel ist vielen egal geworden, aber er wird ja gebraucht. Längst nicht mehr als Speerspitze demokratischer Öffentlichkeit, aber als Polit-Magazin, das keine Scheinskandale aufbläst, sondern aufdeckt, was falsch läuft im Land und darüber hinaus. Da gibt es zum Spiegel nach wie vor keine Alternative. Schon gar nicht die kleinteilige Belanglosigkeit, die sich Focus nennt. Für den Anfang würde es ja schon reichen, wenn der Führer mal eine Titel-Pause einlegen würde. Dessen selbsternannte Enkel, die sich Nationalsozialistischer Untergrund nannten, sind unter maßgeblicher Beteiligung staatlicher Stellen zu Terroristen heran gereift. Diese Geschichte ist noch nicht annähernd verstanden, geschweige denn auserzählt. Auch im Spiegel nicht. Nicht Führerpopel steigern die Auflage, sondern gute und wichtige Geschichten.

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