Von Alparslan Marx, dem „Integrator“
Ich weiß, es ist ein mutiges Statement in Zeiten weltweiten Fußballfiebers. Aber: Ich mag Fußball nicht. Noch weniger, wenn angebliche und sogenannte Nationalteams gegeneinander antreten. Denn bei den internationalen Meisterschaften werden Menschen zwangsweise an ihre nationale Identität erinnert. Jeder sucht dann verzweifelt nach seiner nationalen, ethnischen Zugehörigkeit und schließt sich Gleichgesinnten an. Man fiebert gemeinsam mit den Nationalteams, schwenkt die Nationalfahnen, singt die Nationalhymnen und schweißt somit alles zusammen. Unter einem Nationalbewusstsein. Damit aber schließt man andere aus.
Es wäre eventuell noch in Ordnung, wenn in einem Land die Menschen die gleiche Nationalität hätten und das Nationalteam auch tatsächlich aus Spielern bestünde, die allesamt aus dieser Nation stammen. Aber in Deutschland leben Menschen aus fast allen Ländern dieser Erde und das macht die Situation entschieden komplizierter.
Spätestens seit dem Sommermärchen im Jahr 2006 ist es ja in Deutschland kein Tabu mehr, sich mit den nationalen Symbolen zu identifizieren. Nach dem Befreiungsschlag hängen überall deutsche Fahnen und man schmückt sich hemmungslos mit den Deutschlandfarben. Viele sind sehr froh darüber. Es scheint einen Wettbewerb zu geben, wer die größte Fahne an seinem Haus wehen lässt. Teilweise sind die Fahnen so groß oder so zahlreich montiert, dass man Mühe hat, das Haus dahinter zu sehen.
Es ist eine Art Explosion, nach langer Unterdrückung des Nationalbewusstseins, für das man sich bis dahin eher geschämt hatte. Als wolle man die verpasste Zeit aufholen, bricht sich die Identifizierung mit den Nationalsymbolen nun umso heftiger Bahn.
Und die Migranten ? Machen nichts anderes. Sie holen ebenfalls ihre Nationalsymbole aus den Schubladen und tragen diese stolz vor sich her. Was folgt ist klar: In der WM-Zeit verbündet man sich mit ethnisch Gleichgesinnten, mit denen man feiert, trauert und zusammenwächst. Gleichzeitig entfernen sich diese ethnisch geprägten Gruppen von einander und je nach Spielausgang sind sie wieder bereit, sich zu verfeinden. So zum Beispiel konnte man nach dem Spiel zwischen Deutschland und Algerien die Zeitungs-Schlagzeile lesen „Schickt sie in die Wüste, Jungs!“ Hallo? Was soll das? Schließlich gilt diese Häme allen Algeriern, auch jenen die, die in Deutschland leben.
Die Verleger dieser Zeitung werden sagen, dass das Ganze doch nur ein Spiel ist. Ein Spiel mit Worten. Ich würde sagen, es ist ein Spiel mit dem Feuer. Solange Fremdenfeindlichkeit in Deutschland nach wie vor eine große Gefahr darstellt und Menschen von Rechtsradikalen angegriffen und getötet werden, ist es leichtsinnig, das Nationalbewusstsein auf schneller, weiter, höher zu trimmen.
Das deutsche Nationalbewusstsein jedenfalls ist inzwischen so sehr angewachsen, dass die Spieler bis auf wenige Ausnahmen lauthals allesamt die Nationalhymne singen, was in den 90´ern undenkbar gewesen wäre. Heute wird aber von der Öffentlichkeit erwartet, dass man zum Zeichen der Zugehörigkeit die Nationalhymne mitsingt. Um sichtbar zu machen, wer dazu gehört und wer nicht.
Es ist ein weiterer Faktor, warum sich die Integration, oder wie ich sagen würde, das Zusammenwachsen von Ausländern und Deutschen schwierig darstellt. Die Integration, sie ist nach wie vor eine heikle Sache. Hier ein paar Beobachtungen, die erklären sollen, warum das so ist:
Ein Türke macht keinen Fehler. Und wenn dann doch mal etwas schief geht:„Da kann isch nichts dafür man. Ich schwöre.“ Wenn zum Beispiel die türkische Fußballmannschaft spielt und mit 3:0 zurückliegt, wird das im türkischen Fernsehen so kommentiert. „Eyh. wir führen! 22:2. Bei den Fouls. Naja, bei den Toren: es geht so! Aber isch schwöre unsere Jungs spielen total tapfer – aber Gegner sind total gemein. Die lassen unser Jungs nicht einmal schießen. Und Schiedsrichter ist gekauft. Bestimmt ein Zypriot mit griechischer Mutter“. Gleich kriegen alle eins auf die Fresse.
In Deutschland dagegen hört sich das so an: „Meine Damen und Herren. was macht die deutsche National-Elf denn da? Das ist nur peinlich. Mit so einer Spielweise gehört diese Mannschaft sicher nicht zur Welt-Elite. Es steht 1:0 für Deutschland aber völlig unverdient. Wenn sie jetzt auch noch gewinnen, haben sie aber einen riesigen Dusel gehabt! Oh je! Oh nein, oh nein, oh nein! Jetzt ist es passiert. Das darf doch nicht wahr sein. Es steht 2:0 für Deutschland. Aber nicht, weil die deutsche Mannschaft gut spielt. Dem ging ein klarer Stellungsfehler der gegnerischen Mannschaft voraus. Das Spiel ist aus. Und mit so einer erbärmlichen Leistung sind wir jetzt auch noch im Halbfinale. Der Trainer ist wirklich nicht mehr tragbar.
Wenn man die deutsche Fußballnationalmannschaft heute betrachtet, fällt sofort auf, dass die Spieler anders aussehen als bei der Aufstellung in den neunziger Jahren. Damals gab es nur deutsche Nachnamen – und polnische! Alles deutschstämmige Deutsche. Heute spiegelt die deutsche Nationalmannschaft mit Özil, Boateng und Co. die veränderte Bevölkerungsstruktur wider und macht gleichzeitig, für ein internationales Publikum ein Problem in der deutschen Gesellschaft sichtbar. Während des Spiels sind sie eine Mannschaft, spielen gut oder schlecht miteinander wie eh und je. Aber vor dem Spiel ist die Mannschaft gespalten. Während Manuell Neuer lauthals und
mit Inbrunst die deutsche Nationalhymne mitsingt, schweigt Lukas Podolski ganz demonstrativ. Mario Gomez hingegen bewegt die Lippen so minimal, dass man nicht erkennen kann, ob er etwas runterschluckt, gurgelt oder doch etwas singen möchte.
Er kann sich einfach nicht entscheiden, was er tun soll. Wenn man genau darauf achtet, kann man erkennen, dass es kein Zufall ist, wer singt und wer lieber schweigt. Die Verweigerung hat ein Gesicht bekommen: Die Deutschen mit bekanntem Migrationshintergrund singen, je nach ihrem Migrationsgrad, die Nationalhymne entweder gar nicht oder nur sehr dezent mit kleinen Zuckungen. Die Deutschen mit unbekanntem Migrationshintergrund – auch Biodeutsche genannt – singen mit Freude, zuweilen mit Enthusiasmus.
Manche Politiker fordern jetzt, dass man die Spieler zum Singen verpflichten soll. Damit möchten sie das Problem unsichtbar machen. Das ist, als würde man sein oftmals zurückhaltendes Kind mit einem Fallschirm aus dem Flugzeug werfen und dann meinen, man habe ein tapferes Kind. Andere wiederum wollen das Singen jedem selbst überlassen und entscheiden sich, das Problem eher zu ignorieren. Es ist allerdings kein Zufall, dass ausgerechnet nur die Migrantenkinder sich schwer
tun, die Nationalhymne zu singen.
Und es wäre naiv zu glauben, dass sie nur deshalb nicht mitsingen, weil sie meinen, ihre Stimme wäre nicht gut genug. Sie können nicht singen, weil sie tief im Inneren einen Widerstand spüren, den sie nicht artikulieren wollen oder können. Sogar die deutschstämmigen Fußballer hatten bis vor ein paar Jahren Probleme das Deutschlandlied zu singen. Es ist ja nicht irgendein Lied, sondern die deutsche Nationalhymne und sie symbolisiert…? Etwas! Aber was? Dasselbe gilt für die Deutschlandfahne. Man kann alles hinein interpretieren oder sie nur als ein Stück Stoff sehen. Und das ist das eigentliche Problem: Stehen Hymne und Fahne für den Fußball? Oder zeigen sie Patriotismus, Nationalismus oder sogar rechtes Gedankengut auf? Es ist nicht eindeutig, was man damit auslöst, wenn man sich dazu bekennt. Persönlich denke ich, wenn ich Nationalhymnen höre oder Nationalflaggen sehe, zunächst an das Militär, militärische Zeremonien oder hochoffizielle politische Angelegenheiten. Erst ganz zum Schluss denke ich an den Sport.
Es handelt sich hier um einen veralteten Brauch, der dringend angepasst werden müsste. Genauso wie die Idee der Nationalmannschaften, die längst überholt ist. Wenn Mesut Özil als ein in Deutschland aufgewachsener türkischstämmiger Migrant, der in Spanien und England lebt und arbeitet zur deutschen Nationalmannschaft zählt, ist es ohnehin merkwürdig genug, dass man von einer Nationalmannschaft spricht. Er gehört sicherlich gerne der deutschen Nationalmannschaft an – aber fühlt er sich auch der deutschen Nation zugehörig? Daran muss man ansetzen. Hier liegt etwas im Argen.
Um das Problem beim Fußball zu lösen, braucht man eigentlich nur ein neues, eigenes Fußballlied und eine eigene Fußball-Fahne einzuführen. Dann bekennen sich alle Fußballspieler in Deutschland ohne Berührungsängste zum deutschen Fußball ohne dass man sie dazu zwingen muss. Damit würde man auch eine Vorreiterrolle in der Welt übernehmen: Sport sollte nicht mit Nationalgefühlen vermischt werden. Auf diese Weise könnten die Migranten sich endlich mit der deutschen Fußballnationalmannschaft identifizieren. Eben mit der Mannschaft und nicht gleich mit der ganzen Nation. Denn um ihnen das Gefühl zu geben, der deutschen Gesellschaft anzugehören, muss man einiges mehr tun.
Vor der WM sagte mir ein Freund „Na, IHR seid ja nicht dabei – oder ?“ Mein Problem ist augenscheinlich, dass ich aus der Türkei komme. Und er hat Recht. Ich bin lieber nicht dabei, wenn die Menschen sich entsprechend Ihrer Nationalitäten aufteilen, ob mit oder ohne Ball.
Der Integrator” Alparslan Babaoglu-Marx ist Kabarettist. Er tourt seit 2009 mit seinem Soloprogramm “Alles wird gut” durch Deutschland. Kürtzlich erschien sein Buch “Lernt erst mal Deutsch, dann sehen wir weiter”(Auszüge im Text sind kursiv) über die Tücken der Integration.