Von Michael Kraske
Der Empfänger von Hartz IV ist ein gläserner Mensch. Ausgeleuchtet, analysiert und vermessen durch Armutsberichte und Reportagen von Bild, Spiegel und RTL. Wie die leben, die ganz unten sind, davon gibt es Bilder, statistische Zahlen und Vorstellungen. Über das Leben am anderen Ende der Gesellschaft, in Villen und Schlössern, existieren dagegen weder Statistiken noch Reportagen, sieht man mal von den Inszenierungen des Reality-Fernsehens ab. Christian Rickens hat als Redakteur des Manager-Magazins Zugang zu den Millionären des Landes. Mit seinem Buch „Ganz oben“ gewährt er Einblicke in die abgeschottete Parallelwelt derer, die sonst darauf bedacht sind, unter sich zu bleiben.
Rickens Entdeckungsreise zu den Reichen folgt der „Typologie des Erfolgs“, einer in Teilen unveröffentlichten Studie, die Vermögende in sechs Gruppen einteilt: vom etablierten über den konservativen bis zum statusorientierten Reichen. Allen gemein ist die Sorge, so der Autor, dass andere vom eigenen Reichtum profitieren wollen. Das sei der Grund, warum die Reichen lieber unter sich bleiben, in Clubs und exklusiven Zirkeln, was mit dem Elite-Internat für den Nachwuchs beginnt. Über alle Unterschiede hinweg verbinde die Geld-Elite zudem ein Habitus, der sich aus Unternehmergeist, Optimismus und der Kenntnis ungeschriebener Codes zusammen setze. Dieser werde von den anderen Reichen erkannt und sei die Eintrittskarte für Machtpositionen. Top-Manager in einem großen Unternehmen werde nicht der Beste, schon gar kein Aufsteiger aus der Mittelschicht, sondern jemand aus der Oberschicht, der durch sein Auftreten die richtige Herkunft nachweist.
Rickens beginnt seine Reise mit einem Besuch bei Jürgen Hunke. Als Schüler kam er jeden Morgen mit dem Bus an dessen Villa vorbei und bestaunte mit seinen Freunden dessen Ferrari. Hunke war ein Exot, der nicht in die kleinbürgerliche Welt von Großenheidorn passte und bald nach Hamburg weiter zog, wo er eine Weile Präsident vom HSV war. Der Autor trifft den Bilderbuch-Reichen seiner Kindheit, lässt sich von dessen gescheiterter CDU-Karriere erzählen und dass Geld auch viele Probleme mit sich bringe. Hunke verrät ihm, dass er auch mit viel weniger Geld auskommen könne. Der Autor lernt, dass Reiche oft ganz anders sich schauen als die von außen.
So zeichnet der Autor ein Sittengemälde des Geldes. In Vorpommern trifft er einen Gutsbesitzer, der ökologische Landwirtschaft mit seiner Leidenschaft für die Jagd verbindet. Ein klassischer Konservativer, der bewahren will, auch seinen am Landadel orientierten Lebensstil. Ganz anders der Neureiche in Brandenburg, der mit Car-Ports zum RTL-gefeierten Shootingstar aufstieg und stolz seinen Whirlpool und die Versace-Fliesen vorzeigt. Der zur Schau gestellte Protz erweist sich jedoch als Luftnummer, der Gefeierte geht pleite und taucht ab. Auch für Rickens ist er nicht mehr zu sprechen. Der Autor belegt mit einem drastischen Fall den miesen Ruf der „statusorientierten Vermögenden“.
All diese Begegnungen leben vom Reiz der Schlüsselloch-Perspektive. Die Details unterhalten, wenn etwa ein Multi-Millionär zu seiner Regatta nur Boote mit einer Länge von mehr als 24 Metern zulässt, um die schnöden Zahnärzte und Rechtsanwälte mit ihren mickrigen Sportbooten auszuschließen. Gleichwohl kommt Rickens den Reichen nicht wirklich nahe, der Leser erfährt wenig über wahre Antriebe oder Konflikte. Es bleibt bei Impressionen, die allerdings Einblicke gewähren, die dem Normalverdiener sonst verwehrt sind.
„Ganz oben“ zeigt, dass es „den“ Reichen nicht gibt. Es zeigt auch, dass die Gesellschaft ein Interesse daran haben sollte, Wirken und Funktion der Geld-Elite zu kennen und kritisch zu hinterfragen. So kritisiert Rickens, dass viele von Millionären gegründete Stiftungen vor allem den eigennützigen Zweck haben, auf Galas Netzwerke zu spinnen. Und doch kommt er zu einem versöhnlichen Urteil über Deutschlands Millionäre. Im Vergleich zu Russland oder Südamerika, wo das ganz große Geld auch unlegitimierte Macht und Sonderrechte erkauft, sind wir mit unseren Reichen noch gut bedient.
Christan Rickens, Ganz oben, Kiepenheuer & Witsch, 212 Seiten, 18,95 Euro