Ich, Weltretter!

Von Michael Kraske

Bald ist es ein Jahr her, dass der Welt in Fukushima der Glaube an die Beherrschbarkeit der Atomkraft um die Ohren flog. In Deutschland waren sich alle, bis zum verstocktesten Atom-Fetischisten einig, dass wir die kernspaltenden Zeitbomben abschalten müssen. Doch welchen Preis bin ich persönlich bereit, für die Energiewende zu zahlen? Bin ich bereit, mich vom Klimakiller zum Weltretter zu wandeln? Zehn Tage lang habe ich gegen den Klimatod angekämpft. Zehn Tage habe ich versucht, bewusst und nachhaltig und ökologisch verantwortlich zu leben. Habe ich das Zeug zum Klimaretter? Bin ich das kleine Sandkorn Hoffnung? Hier ist mein Geständnis.

Die Analyse offenbart eine ökologische Katastrophe im Miniaturformat. In meiner Wohnung brennen so viele Lämpchen wie in einer Raumschiff-Schaltzentrale. Ständig in Betrieb ist die Hifi-Anlage, das Laptop, der DVD-Festplattenrecorder läuft im stand-by-Modus. In meinem Kühlschrank liegt argentinisches Rindersteak, überhaupt mehr Fleisch als Gemüse. Ich fahre mit dem Auto zum Büro, obwohl es keine vier Kilometer entfernt liegt. Zum Supermarkt ist es gerade mal ein Kilometer, aber auch die Einkäufe mache ich mit dem Auto. Ich bin für den privaten CO2-Verbrauch eine Art China-Mann: maßlos und stromverschlingend. Das ist der Zustand zu Beginn des Experiments: In den nächsten zehn Tagen werde ich versuchen, mich in einen guten Weltmenschen zu verwandeln. Der Energie spart und damit CO2 und so zur Rettung der Erde beiträgt.

Ich verschaffe mir am Energiespar-Rechner im Internet Gewissheit: Durch meine jährlichen 22000 Autokilometer plus Flugkilometer bei gleichzeitiger Bahn-Abstinenz schleudere ich 4,804 Tonnen CO2 in die Luft. Der Durchschnittsdeutsche produziert, indem er sich fort bewegt, nur 1,8 Tonnen CO2. Dazu kommen meine 1,0261 Tonnen durch Strom und 2,7 Tonnen verheiztes CO2. Für die Ernährung werden bei Fleischessern noch einmal etwa 1,8 Tonnen fällig. Rechnet man noch die Nutzung öffentlicher Stromfresser sowie Kinos und Restaurants hinzu, liege ich deutlich über den 10 Kilo CO2, die der Durchschnittsdeutsche verursacht. Dass ich nicht wie ein Umweltengel lebe, war mir klar, aber die Diagnose Umweltsau ist doch eine Überraschung.

Ich muss nicht lange suchen, um auf mögliche Sünden zu stoßen. Strom, Fortbewegung, Ernährung: Alles muss anders werden. Ich recherchiere immer neue Energiesparpotentiale. Das Umweltbundesamt listet wie auf einem Fahndungsfoto die „ertappten Energieräuber“ im Haushalt auf. Die Hifi-Anlage vergeudet im Leerlauf 21 Watt pro Jahr. Zieht man den Stecker, lassen sich über 30 Euro im Jahr sparen. Die Lautsprecher ziehen sogar 57 Watt, vergeuden also Strom für über 80 Euro im Jahr. Jedes Watt im Dauerleerlauf kostet im Jahr rund 1,50 Euro. Meine Kontrollrunden durch die Wohnung gleichen der Suche nach einem Hausgeist. Ständig leuchtet irgendeine kleine Lampe. Vom Fernseher, von der Mini-Anlage in der Küche. Ich drücke ständig Knöpfe, irgendwann fange ich an, Stecker zu ziehen.

Abends zähle ich acht verschiedene Lampen in vier Räumen, die gleichzeitig brennen. Ich betreibe multiple Verdunkelung, fühle mich dabei aber wie ein Höhlenmensch, jeder Gang zum Klo ist jetzt ein Marsch durch die Finsternis. Geiz ist gar nicht so geil. Ehrlich gesagt waren mir die stromsparenden Erbsenzähler bislang nicht sonderlich sympathisch. Das ökologische Welt-Gewissen breitet sich aus wie ein Virus. Selbst Promis zeigen Symptome wie das Öko-Schleimen: Jörg Pilawa sagt, dass er bewusst Gemüse aus der Region kauft. Dieter Bohlen gibt an, dass er Fahrradfahren sexy findet. Und sogar Rundenraser Ralf Schumacher behauptet, dass Cora und er „Energie sparen, wo immer es nur geht“.

Ich will mich in diese Schleimer-Liste eigentlich nicht einreihen. Während ich trotzdem Stecker ziehe und Knöpfe drücke, sind meine Schwiegereltern zu Besuch. Meine Schwiegermutter beäugt mich amüsiert. „Typisch deutsch“, sagt sie, „zu glauben, dass ein deutscher Pups im All gezählt wird.“ Hat sie nicht Recht? Gemessen am jährlichen weltweiten Ausstoß von 29,2 Milliarden Tonnen CO2 beträgt meine Privat-Emission 0,00000003538 Prozent – also etwa drei Zehnmilliardstel. Aber mit Zahlen lässt sich auch das Gegenteil zeigen: dass die reichen Nationen die Welt zugrunde richten. 80 Millionen Deutsche produzieren in etwa so viel CO2 wie 700 Millionen Afrikaner.

Ich gehe also in den Elektroladen. Mit Energiespar-Leuchten lassen sich 80 Prozent Energie sparen. Aber es ist erst mal ein teurer Spaß, ein besserer Weltbürger zu werden. Eine 60-Watt-Sparleuchte kostet 5,99 Euro. Ich kaufe erst mal vier, zu Hause setze ich die ersten beiden Leuchten im Flur ein. Ein paar Tage später lese ich, dass die Sparleuchten nur dann sparen, wenn das Licht lange brennt wie bei einer Leselampe. Also klettere ich wieder, drehe die Leuchten wieder raus und schraube sie in die Leselampe im Wohnzimmer. Ich verkneife mir eines meiner heiligen Vollbäder, weil dafür 150 Liter Wasser erhitzt werden müssen. Dafür kann ich zehn Minuten lang duschen. Den Badewannen-Boykott werde ich nicht lange durchhalten, da bin ich sicher.

Bei den Fahrten ins Büro stoße ich auf den Kern meines Problems: Bequemlichkeit. Offiziell fahre ich mit dem Auto ins Büro, weil ich Laptop und Aktentasche transportieren muss. Ein Versuch entlarvt die billige Ausrede, in zwei Minuten ist alles im Rucksack verstaut. Ich gehe in den Keller und werde daran erinnert, warum ich seit Oktober nicht mehr mit dem Rad gefahren bin: ein Platten. Es gibt Jungs, die sich nur dann als Mann fühlen, wenn sie einen Schrauber in der verschmierten Hand halten. Zu denen gehöre ich nicht. Ich kämpfe mit dem Schlauch und dem Mantel und den Schrauben. Stumme Flüche später ist mein Fahrrad einsatzbereit.

Auf der Fahrt zum Büro macht es zum ersten Mal Spaß, ein besserer Mensch zu werden. Ich brauche kaum länger als mit dem Auto. Die Freude hält nur einen Tag. Wie um mich zu prüfen, schickt der Himmel Schnee. Ich lasse das Fahrrad am Morgen im Keller, stampfe durch den Matsch, der sich einen Weg in meine Schuhe sucht. Es ist kalt, nass, eklig. Und die einfache Fahrt mit der Straßenbahn kostet 2,10 Euro. Aber ich bleibe standhaft. Pro Kilometer, den ich nicht mit dem Auto zurück lege, vermeide ich mehr als 180 Gramm CO2. Nach ein par Tagen habe ich auf einer imaginären Sparliste schon ein paar Kilo zusammen. Ich darf nur nicht länger darüber nachdenken, dass mittlerweile etwa eine Milliarde PKWs auf der Erde herum fahren.

Am schlimmsten sind die Einkäufe. Ich schleppe drei schwere Tüten und ein Paket mit Wasser-Flaschen. Nach ein paar Hundert Metern fühlt sich das doppelt so schwer an wie meine beiden Kurzhanteln. Ich überlege, künftig auf Mineral-Wasser zu verzichten. Also probiere ich ein Glas Leitungswasser. Das muss nicht transportiert werden und kommt auch nicht aus Plastik-Flaschen. Aber es schmeckt säuerlich, und Kohlensäure hat es auch nicht. Also bleibe ich beim Mineralwasser. Das kommt aus der Region und hat ein „sehr gut“ von Ökotest.

Überhaupt merke ich schon nach ein paar Tagen, dass es nur darum gehen kann, ein besserer Mensch zu werden, kein guter. Ich erwische mich ständig bei irgendwas. Wenn ich zu Fuß mit schweren Einkäufen ins Haus stolpere, benutze ich den Aufzug. Wenn ich zu Fuß aus der Kneipe nach Hause gehe anstatt mit dem Taxi zu fahren, hole ich mir noch schnell einen Döner. Erst kurz vor den letzten Bissen erinnere ich mich daran, dass Fleisch eine CO2-Sünde ist, weil dafür viel Energie und Dünger verwendet wird. Soja muss nach Deutschland importiert werden. Um ein Kilo Rindfleisch zu bekommen, werden etwa 6,5 Kilo CO2 produziert.

Überhaupt das Essen. Alle Ratgeber sagen: Lebensmittel aus der Region kaufen, wenig Fleisch essen! Ich mache allerdings nicht mal vor griechischem Spargel Halt. Experten rechnen, dass der Kohlendioxid-Ausstoß für ein Kilo Spargel außerhalb der Saison zehn Mal so hoch ist, nämlich 15 Kilo statt 1,5 Kilo in der Spargelzeit. Spargel-Stangen zur falschen Zeit sind also wahre CO2-Rakteten. Ich beschließe meinen ersten Besuch in einem Bio-Laden. Mein Plan: Energiearmes Essen aus der Region kaufen. Der Laden liegt in einem Hinterhof, an der Hauswand ranken Blätter, im Innern läuft Drum and Bass. Gutes Gewissen und Lifestyle gibt es hier gratis. Die Lebensmittel nicht. Ich kaufe Bio-Kartoffel, Bio-Eier, eine Flasche Bio-Milch, Kohlrabi und zwei kleine Stücke Ziegen-Käse, die französisch aussehen, aber aus der Nähe von Leipzig kommen. Ich fühle mich gut, so lange, bis ich an der Kasse stehe. Die Kleinigkeiten kosten 17,32 Euro. Dafür würde ich bei Aldi das Doppelte kriegen. Zu Hause lacht mich mein Schwiegervater, der passionierte Hobby-Gärtner, aus, weil für Kohlrabi gerade keine Saison ist, die Köpfe also aus dem Gewächshaus kommen, wo sie mit viel Energie hochgepäppelt wurden.

CO2 sparen ist ein Fass ohne Boden. Hinter jedem gut gemeinten Versuch lauert eine neue Umweltfalle. Der Käse ist fast aufgegessen, als ich heraus finde: Pro Kilo Käse werden acht Kilo CO2-Äquivalente ausgestoßen. Schuld sind die furzenden Kühe. Abends bleibe ich bei einer Fernseh-Sendung hängen, wo ein bizarrer Wettstreit präsentiert wird. Kuh gegen BMW. Wer ist umweltschädlicher? Am Ende wird gesagt, dass die Kuh die Umwelt mehr belastet als der 5er BMW. Also mache ich mich wieder auf die Suche. Stoße auf neue Zahlen. Eine Milchkuh sondert über Magen und Darm pro Tag 235 Liter Methangas ab, das in seiner schädigenden Wirkung 23 Mal so stark ist wie CO2. Sind also die furzenden Kühe am Klimawandel Schuld? Soll ich lieber auf Milch und Käse verzichten als auf das Auto?

Das Umweltbundesamt beziffert den Anteil der Rinder am deutschen CO2-Ausstoß auf unter zwei Prozent. Also: Mensch doch schlimmer als Kuh. Aber so wie mit den Kühen geht es mir oft in den zehn Tagen. Gutgemeinte Alternativen entpuppen sich als heimliche Klimakiller. Beim Essen ist meine Grenze erreicht: Ich werde nicht auf Milch und Käse verzichten, nur sinnlose Weltreisen wie den Spargel aus Griechenland streiche ich.

Doch CO2-Sparen ist kompliziert. Nachdem ich das Argentinische Rindersteak schon aussortiert hatte, stoße ich auf eine moralische Hintertür: Pro Kilo Rindersteak werden über sechs Kilo Kohlendioxid frei gesetzt. Wenn das Fleisch jedoch mit dem Schiff transportiert wird, fallen dadurch nicht einmal 400 Gramm CO2 an, kaum mehr als beim LKW-Transport durch Deutschland. Wenn ich also der Fleischlust auf Rind nicht widerstehen kann, macht es dann keinen großen Unterschied, ob ich deutsches oder argentinisches Rind esse? Doch, macht es. Die UN-Ernährungsorganisation FAO rechnet, dass allein durch Rodung 2,4 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr anfallen. Vor allem in Südamerika wird auf diese Weise Urwald für Weideland vernichtet. Jeder verspeiste Hamburger soll danach mehr als 5 Quadratmeter Regenwald kosten. Also doch lieber deutsches Rind.

So geht das zehn Tage lang. Immer neue Erkenntnisse. Immer neue Irrtümer und Zahlenspiele. Kuh gegen Auto gegen Glühbirne. Beim Essen zeigt sich, dass ich zum Weltretter nicht tauge. Ich achte jetzt darauf, Bier oder Wurst aus der Region zu kaufen, um lange Transporte zu vermeiden. Also gibt es Ur-Krostitzer statt Warsteiner. Aber ich verzichte nicht auf Fleisch, Wurst oder Käse. Zu Hause blinkt es nicht mehr so oft, weil ich den heimlichen Strom-Fressern häufiger als früher den Saft abdrehe. Überheizt habe ich die Wohnung ohnehin nie, mein Gästeklo haben Freunde „Sibirien“ getauft. Dafür habe ich den Bad-Entzug nicht durchgehalten und mich mit dem neuen Spiegel eine Stunde lang in die volle Wanne gelegt, ohne einen Anflug von schlechtem Gewissen.

Auch beim Autofahren bin ich kein Abstinenzler geworden. Zu einer Moderation in Dresden hatte ich mir die Zugverbindung schon rausgesucht. Am Ende wird es dann doch so knapp, dass ich das Auto nehmen muss. Ich schaffe es gerade noch, Bierkisten und Klamotten aus dem Kofferraum zu räumen, damit ich kein unnötiges Gewicht spazieren fahre. Auf der Autobahn bemühe ich mich, 140 KM/h und 4000 Umdrehungen pro Minute nicht zu überschreiten, das spart hin und zurück zwei Liter Sprit. Durch die Fahrradfahrten zum Büro, in die Stadt und zum Einkaufen habe ich nach zehn Tagen etwa 80 Autokilometer eingespart, das sind mehr als 14 Kilo Kohlendioxid. Aber wie bei einem Junkie gibt es Rückfälle. Der Droge Bequemlichkeit verfalle ich immer wieder.

Ich bin alles in allem also genau so halbherzig und inkonsequent wie die ganze Welt. Innerlich vereinbare ich mit mir eine Art persönliches Kyoto-Protokoll. Weniger Auto, vor allem in der Stadt, weniger Strom und mehr Lebensmittel aus der Region. Dafür ab und zu ein Rindersteak und keine Bahnfahrten, bei denen ich drei Mal umsteigen muss. Als Azubi in Sachen Weltretter bin ich keine Energiesparleuchte. 15 Prozent weniger CO2 in den Disziplinen Verkehr, Heizen, Strom und Ernährung – darauf läuft meine Energiewende hinaus. Das sind 1,3 Tonnen weniger Kohlendioxid pro Jahr. Bis 2020 will die EU 20 Prozent CO2 einsparen. Zu wenig, um die Welt zu retten. Meine persönliche Formel, die sich aus zehn Versuchstagen ableiten lässt, bringt auf den Punkt, warum wir uns besser auf heiße Zeiten einrichten sollten: Ein bisschen Klimaschutz ist prima, so lange es nicht weh tut. Die Klimawende kommt politisch und durch technische Innovation oder sie kommt gar nicht.

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