Hurra, sterben für die Bankenrettung

Von Siegesmund von Ilsemann

Endlich eine gute Nachricht aus unserem geschundenen Gesundheitswesen. Das jahrelange Herumdoktern an Deutschlands einst so vorbildlichem System der gesetzlichen Krankenversicherungen zeigt erste Erfolge. Es wurde ja auch Zeit, dass die Praxisgebühr, der Ausschluss vieler Medikamente und Therapien aus den Kassenleistungen sowie die 5-Euro-Zuzahlung auf alle anderen Pillen, Tropfen und Pülverchen, die unsere hochbezahlte Ärzteschaft zu Gesundung ihrer Patienten für unabdingbar hält, messbare Wirkung zeigen.
Zwar leistet bislang noch nicht die gesamte Bevölkerung ihren Beitrag zur Genesung eines wichtigen Teilbereichs unseres Sozialstaats. Aber die Geringverdiener unter den Deutschen geben vorbildlich die richtige Richtung vor: Sie sterben deutlich früher als noch vor zehn Jahren.

Eine parlamentarische Anfrage der Partei „Die Linke“ rang der Bundesregierung jetzt pünktlich zum weihnachtlichen Fest der Liebe die bislang geheim gehaltene Erfolgsmeldung ab: Während die Geringverdiener 2001 durchschnittlich noch bis zu einem Alter von 77,5 Jahren das überlastete Sozialsystem ausnutzten, scheiden sie zehn Jahre später schon mit 75,5 Lenzen aus dem Leben und damit aus dem unproduktiven Zirkel der „spätrömischen Dekadenz“, so einst der FDP-Bestatter Guido Westerwelle.
Im Osten, wo die Lebenserwartung – vermutlich Dank des durch sozialistische Misswirtschaft erzwungenen jahrzehntelangen Däumchendrehens – zum Jahrtausendbeginn sogar noch fast ein halbes Jahr über der im Westen lag, wird diese gute Nachricht noch getoppt: Hier haben die Geringverdiener ihr Durchschnittsalter während der vergangenen Dekade gar um fast 4 Jahre reduziert.
Rechnet man dann noch die zwei Jahre dazu, um die christlich geführte Bundesregierungen mittlerweile das Rentenalter in Richtung Lebensende verschoben haben, ergeben sich daraus ganz enorme Einsparungen für den Sozialstaat.
Der einzige Wermutstropfen:
Es sind mit den Geringverdienern leider überwiegend nur die Bezieher von Mini- oder Mini-Mini-Renten, die statt 12,5 Jahre (im Osten 12,9 Jahre) im Jahr 2001 heute nur noch durchschnittlich 8,5 Jahre (im Osten sogar nur 7,1 Jahre) der Rentenkasse zur Last fallen. Und diese finanzielle Entlastung schlägt natürlich auch in alle anderen Bereiche sozialer Leistungen durch: Auch die Zeitspanne, während der diese Menschen die Krankenkassen strapazieren, ihre Rente durch öffentliche Zusatzleistungen auf ein überlebensfähiges Minimum aufstocken oder sonstige Vergünstigungen für Senioren beanspruchen, schrumpft um bis zu vier Jahre.
Bei den Besserverdienern dagegen hält der Trend einer stetig wachsenden Lebenserwartung an, den verbesserte Lebensbedingungen und medizinischer Fortschritt bislang der ganzen Bevölkerung bescherten. Gut nur, dass – unserer schwarz-gelben Koalition sei Dank – diese Gruppe stetig schrumpft während die der Geringverdiener rapide anschwillt. Ein gar nicht hoch genug einzuschätzendes Sparpotential, das unsere Regierung da aufgetan hat.

Anders als mit bitterer Ironie lässt sich eine zynische Politik nicht kommentieren, die systematisch soziale Ungleichheit fördert und es sogar hinnimmt, dass ausgerechnet jene, denen unsere Gesellschaft sowie so schon Schritt für Schritt die grundgesetzlich gebotene Teilhabe an den Segnungen unseres öffentlichen Lebens entzieht, nun auch noch dafür, dass es ihnen dreckig geht, bezahlen müssen mit dem bisschen Kapital, über das sie – unpfändbar – verfügen sollten: ihren Lebensjahren.
Wo ist der Aufschrei, wo bleibt der Aufstand darüber, dass vor unseren Augen mitten in unserer Gesellschaft eine Kaste von Unberührbaren geschaffen wird, der es in blankem Zynismus sogar ans Leben geht, weil angeblich das Geld fehlt, um diesen Menschen ein Überleben in Anstand und von durchschnittlicher Dauer zu gewähren?
Ach ja, wir leiden unter einer „Staatsschuldenkrise“. Kein Wunder, dass für die Menschen das Geld knapp wird.
Aber diese so genannte Schuldenkrise, die von Politikern, Wissenschaftsweisen, von den ominösen Leistungsträgern der Wirtschaft und vor allem auch den Medien, den Apologeten des uns beherrschenden Finanz- und Wirtschaftssystems, stets gerne und überwiegend unseren angeblich ausufernden Sozialleistungen angelastet wird, ist keine Folge explosionsartig gestiegener Renten, gigantischer Hartz-4-Zahlungen oder vervielfachten Zuschüssen für die gesetzlichen Krankenkassen.
Die Krise, die Menschen das Geld zum Überleben kostet, ist eine Bankenkrise, die allein der Zockerei der Geldinstitute auf den schlecht oder gar nicht kontrollierten internationalen Finanzmärkten geschuldet ist. So lange dort nicht für Ordnung gesorgt und das Primat der Politik wieder hergestellt wird über die Diktatur der Finanzwirtschaft, so lange wird uns weiter das Geld ausgehen für überlebenswichtige Aufgaben der Gesamtgesellschaft.
Dann heißt es weiter: Sterben für die Bankenrettung.

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