Dumm gelaufen, Herr Präsident

Von Marcus Müller

Christian Wulff ist ein schäbiger Bundespräsident, ein listiger Polit-Fuchs und nach seinem Interview am Mittwoch endgültig durch. Nach dem, in ach so präsidialer Gnade ausschließlich ARD und ZDF gewährten Gespräch bleibt einem schon staunend der Mund offen stehen. Wenn dieses Staatsoberhaupt etwa ernsthaft sagt: „Es gibt auch Menschenrechte, selbst für Bundespräsidenten.“ Er sagt das zu den Recherchen der BILD-Zeitung über den ersten Bericht zu seinem Privatkredit und als Rechtfertigung seines Anrufs beim Chefredakteur dieses Blattes. Es ging dabei, nur noch mal zu Erinnerung, um die Recherche von Fakten, die Wulff nach der Veröffentlichung selbst größtenteils eingestanden hat, häppchenweise, als es nicht mehr anders ging. Die Menschenrechte, seine, die seiner Frau, seiner reichen Freunde und der Nachbarn in seinem Dorf, sie wurden dabei so was von gar nicht verletzt, dass man darauf die Artikel 1 bis 19 des Grundgesetzes wetten könnte. Diese Aussage von Wulff ist schäbig. Der Mann ist Jurist, weiß er, was er da redet? Ist es ihm egal?
Bestimmt ist es nicht schön, wenn einem ein Schmierenblatt auf den Fersen ist, aber vorher hat Wulff das offenbar nicht sonderlich gestört, wenn er und seine Frau gut dabei wegkamen. Die Andeutung, bei diesen Recherchen seien seine Menschenrechte verletzt worden, macht Wulff ganz neu politisch angreifbar: Was sollen dazu mit Einsatz ihres Lebens um Freiheit kämpfende Menschen in Afrika, in arabischen Ländern oder die Nordkoreaner sagen? Dieser Vergleich ist so unglaublich weit daneben, dass man Wulff kaum mehr abnehmen mag, er könne auch nur ansatzweise mit der Macht der Worte umgehen. So sehr vergreift er sich an ihnen.
Bei Wulffs mehrmaligen Hinweisen, sein Mailbox-Ausraster sei doch vielleicht menschlich zu verstehen, auch er mache Fehler und er erkläre ja auch im Ausland, wie schmerzhaft die Pressefreiheit sein könne, wird es noch auf eine weitere Art perfide. Wulff will Mitleid von den Zuschauern. So schnell habe er, „ohne Karenzzeit“, in das neue Amt wechseln müssen – das sagt einer, der in der Schüler Union seine Politik-Karriere begonnen hat und deutlich länger als 30 Jahre in dem Geschäft ist.
Wulff setzt weiterhin offenbar darauf, dass sich beim nicht so sehr an Politik Interessierten bald ein gewisses Unverständnis für diese Affäre einsetzt: Worum ging es noch mal? Wulff macht das – man muss sagen: durchaus geschickt – mit der Man-wird-doch-noch-Methode: „Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo sich jemand von Freunden kein Geld mehr leihen kann.“ So heißt das bei Wulff – aber darum geht es doch gar nicht! Es geht um die Umstände, Konditionen und das, was Wulff dazu so gesagt hat. Zur Erinnerung, in Kurzform: Erst lässt Wulff in einer juristisch spitzfindigen Art den Kredit unerwähnt, dann stammt er von der Ehefrau eines Unternehmers, dann war auch deren Gatte daran beteiligt, just der, der offenbar auch mit Wulff auf Auslandsreise ging. Kurze Verschnaufpause. Dann ist an dem Darlehen nichts Unrechtes, aber Wulff bemüht sich nach Recherchen von Journalisten, den Kredit umzuwandeln – warum, wenn alles okay ist? -, er bekommt Super-duper-Konditionen, macht danach einen normalen Kredit daraus, als darüber auch wieder von der Journaille rumgenölt wird.
Bevor er den letzten Schritt überhaupt getan hat, verkündet er das Ganze schon mal öffentlich und erweckt den Eindruck, alles sei alles schon in trockenen Tüchern. In Erklärungen der Anwälte Wulffs ist es offensichtlich nötig, den zeitlichen Ablauf, Ursache und Wirkung und die Deutung des Ganzen noch mal zu klären. Da fühlt sich doch jemand ertappt, warum auch immer, denn „Unrechtes“ habe er ja nicht getan, sagt Wulff, aber schlüssig erklären kann und will er das auch nicht.
Denn was sagt jetzt Wulff dazu? „Es sind ganz normale, übliche Konditionen.“ Die Süddeutsche Zeitung hat beim Anruf in der BW-Bank ein bisschen was anderes gehört. Und die abgesprochenen, fixierten Konditionen, die dann doch erst später richtig unterschrieben wurden? Ein „mündlicher Vertragsschluss“ reiche, es gelte „Handschlagqualität in diesem Bereich“, sagt der Präsident. Und hier nun hat er aber so was von gar keine Ahnung, dass es jedem graust, der in diesem Land versucht, einen Kredit zu bekommen.
Das ist der Polit-Fuchs Wulff, er vertraut auf den Weg alles Politischen in der Mediengesellschaft: das achselzuckende Vergessen. Er schönt die Affäre und ihre etwas komplizierten Details. Transparenz ist das nicht, wie er behauptet. Wahrheit schon gar nicht. Das ruiniert die politische Kultur. Es ist die übliche, alltägliche Politiker-Verteidigungsstrategie. Mit der kam zwar schon so mancher durch, aber für einen Bundespräsidenten geziemt es sich eben nicht. Das scheint Wulff aber immer noch nicht zu verstehen – mehr als 30 Jahre in der „normalen“ Politik färben wohl doch sehr tief ab. Interessant ist allerdings, dass Wulff sich eine Taktik beim seinem aus dem Amt geflohenen Vorgänger abschaut. Dieser Horst Köhler hat es vermocht, den Eindruck zu erwecken, er gehöre nicht zum Polit-Establishment. Das war erfolgreich, aber falsch. Wulff will es ihm nachtun, indem er auf die „große Unterstützung“ der Bürger verweist – was im Subtext ja wohl nur heißen kann: Die sehen das völlig anders als die bösen Journalisten, und ich, Wulff, bin doch einer von euch, mit Freuden, die einen Süßwarenladen auf Norderney haben.
Tatsächlich sagt er doch an einer Stelle er habe sich als Opfer der Berichterstattung gesehen. Das große Opfer des Urlaubs beim AWD-Gründer Carsten Maschmeyer auf Mallorca erwähnt er lieber gar nicht. Hat ihm ja auch sein erstes Skandälchen im Berliner Amt eingebracht. Und natürlich ist es ein bisschen unschön, dass ihm ausgerechnet dieser Maschmeyer einst im Wahlkampf geholfen hat, aber davon wusste Wulff ja angeblich nie etwas.
Dieses Interview lässt sich an fast jeder Stelle anfassen und es bleiben mehr Fragen, als Wulff Antworten zu geben vortäuscht. Allerdings stellt er sich seine Fallen auch selber: Über den Mailbox-Anruf beim BILD-Chef gibt es nun zwei Varianten: Wulff sagt, er habe nur um Aufschub für den Artikel gebeten. In den bereits kolportierten Inhalten ist von der Drohung mit strafrechtlichen Konsequenzen die Rede. Das erscheint wie der genau kalkulierte Angriff eines Polit-Profis auf die Pressefreiheit. Eines Politikers, der ansonsten sehr genau weiß, wann ein Journalist seine Menschenwürde angreift. Schon widerspricht auch BILD-Hauptstadtbüro-Leiter Nikolaus Blome: Ziel des Anrufes sei gewesen, die Berichterstattung zu unterbinden. Dumm gelaufen für Wulff. Aber wie kommt er bitte auf die Idee, sich so eine Falle selbst zu stellen und dann nicht mal einen Millimeter an ihr vorbeizutappen, sondern haargenau hinein? Dieser Mann soll der erste Notar der Republik sein, Orientierung geben, Zusammenhalt schaffen?
Wulff äußert sich auch zu der anderen bekannten Presse-Intervention. Der Welt am Sonntag-Chefredakteur beschreibt sie als eisiges und sehr heftiges Gespräch. Beim Bundespräsidenten wird es zu einem Treffen, über das sich der Redakteur gefreut habe. Vermutlich ist es schön für Wulff, dass es davon keinen beweisenden Mitschnitt gibt.
Christian Wulff hat sich mit diesem Interview auf eine Mitleidstour begeben, deren Kern ist: Ich habe keine Gesetze gebrochen, bin ja noch neu hier, ist alles normal, sollen sich die (Journalisten-)Leute mal nicht so haben. Er erweist er sich damit als Typ Politiker, dem Politik und Moral eigentlich egal sind, wie Guttenberg, weil sie nur als Vehikel für die Karriere dienen. Dafür spricht auch seine Selbst-Beweihräucherung: Bis zur Kredit- und Mailbox-Affäre wäre das Urteil über sein Präsidenten-Wirken gut ausgefallen, meint er. Und wir bräuchten jetzt die Kraft, „uns wieder um Politik zu kümmern“, sagt er. Wieder? Wann hat er denn bitteschön vor den Affären über den rechten Terror im Land oder die Euro-Krise die so nötige Rede dazu gehalten?
Es kommt ja ohnehin erschwerend hinzu, dass der Bundespräsident die angemessene Sprache überhaupt nicht findet. Ob er das Amt beschädigt habe, wird er zum Schluss gefragt. Das Amt sei schwieriger geworden, sagt Wulff. „Und durch diese Art von Umgang mit den Dingen hat man dem Amt sicher nicht gedient.“ Dieser Satz ist überhaupt nicht zu verstehen. Von welcher Art „Dingen“ redet er? Wer ist „man“: Er? Die Medien? Das Publikum kann ja fast froh sein, dass einem diese Radebrecherei zu anderen Anlässen erspart geblieben ist.
Trocken, deutlich und kurios kann es mit diesem Politiker übrigens auch zugehen. Die Überschrift auf der Internetseite des Staatsoberhauptes vom 4. Januar, in der das TV-Gespräch angekündigt wird, lautet: „Bundespräsident gibt heute Abend ein Fernseh-Interview“. Dem war und ist – ausnahmsweise – nichts hinzuzufügen.

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