Die rückwärtsgewandte Republik

Von Marion Kraske

Wieder einmal hallt es durch die Republik: Modernisierung, Aufbruch. Bewegung! Es soll endlich zu gleichem erklärt werden, was längst gleich ist: Homosexuelle Paare, Männer, die Männer lieben, Frauen, die Frauen lieben. Sie leben zusammen, ziehen Kinder groß, werden zusammen alt, zahlen Steuern. Und sind rechtlich dennoch eine Null, ein Nichts. Weil der Staat ihnen nach wie vor die volle, die uneingeschränkte Anerkennung vorenthält. Ja in gewisser Weise noch immer leugnet, dass es sie als vollwertige Menschen gibt. Wohlgemerkt: Wir schreiben das Jahr 2013.

Eine Reihe Prominenter macht jetzt Druck, wendet sich mit einem offenen Brief an den Bundestag. Die Literaturgrößen Günter Grass und Martin Walser gehören ebenso zu den Unterzeichnern wie Schlagersänger Patrick Lindner, der Schlagzeuger Bela B. von den Ärzten oder die Verlegerin Angelika Taschen. Sie alle fordern eine “vollständige Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare”.

Und wieder einmal hat man das Gefühl, dass die Gesellschaft entschieden weiter ist als jene, die diese Gesellschaft kraft ihres Amtes vertreten. Denn außer Sonntagsreden und nicht enden wollenden Debatten hat sich an der grundsätzlichen Haltung des Staates gegenüber Homosexuellen in den vergangenen Jahren nur wenig geändert. Die Verweigerungshaltung, gesellschaftlichen Realitäten mit allen rechtlichen Konsequenzen Rechnung zu tragen, ist nach wie vor ein Faktum. Die Republik verharrt in blinder, ideologisch motivierter Verdrängungstaktik.

Parteiinterner Streit als Ausdruck fortschrittlichen Denkens

Der Umgang der Politik mit dem Thema ist nach wie vor von überbordender Verlogenheit geprägt: Einerseits diskutiert man und räumt durchaus Handlungsbedarf ein – dann etwa, wenn, wie jüngst Finanzminister Schäuble – ein Konservativer! – die Möglichkeit des Familiensplittings auch für homosexuelle Paare ins Feld führt. Wow!!

Andererseits wird vor allem in den Reihen der Union auf geradezu groteske Weise über das Thema gestritten, als gäbe es ernsthafte Alternativen für eine volle Anerkennung schwuler und lesbischer Lebensformen. Parteiinterner Streit zum Thema gilt da schon als Ausdruck fortschrittlichen Denkens. Jedoch erscheint das Zögern und Zaudern, endlich einmal auch Taten folgen zu lassen und längst überfällige Einsichten in Gesetze zu gießen so absurd, als würde da über die Vorteile von Regen und Sonne diskutiert oder über die Nachteile von Ebbe und Flut. Statt POLITIK ernst zu nehmen und Gesellschaft (neu) zu gestalten, lässt man lieber dem Verfassungsgericht den Vortritt. Das hatte erst vor wenigen Wochen die Rechte von Homosexuellen bei Adoptionen gestärkt.

Fest steht: Drei Viertel der Deutschen wünschen sich für die Homo-Ehe rechtliche Erleichterungen. Wann begreifen die C-Parteien also, dass die Zeit gekommen ist, Deutschland zu einem aufgeklärten, modernen Gemeinwesen zu machen, in dem alle Bürger – ungeachtet ihrer Herkunft, aber auch ihrer sexuellen Orientierung – die gleichen Rechte besitzen? Statt dessen agieren da noch immer Politikvertreter, die anderen Menschen ihre muffige Weltsicht, die verkleisterte Puppenstubenromantik der 50er Jahre aufdrängen wollen. Die sich an vermeintlich moralischen Parametern festklammern, die für die Mehrheit der Deutschen längst überholt und daher schlicht irrelevant sind.

CSU infam: Von stillen Mehrheiten und schrillen Minderheiten

Wie bigott die Haltung der Union in gesellschaftlichen Fragen zuweilen ist, beweist vor allem die Haltung der CSU. Die Christsozialen werden nicht müde, die Vorzüge der „klassischen“ Ehe und Familie zu lobpreisen. Dass ihnen ausgerechnet einer vorsitzt, der sich gerne auch mal außerhalb der ehelichen Kissen tummelte – vergessen. Den moralischen Zeigefinger heben die Christsozialen dennoch gern, egal wie verkommen die Sitten innerhalb der eigenen Reihen auch sein mögen (erinnert sei an die dutzendfache Anstellung von Familienangehörigen auf Staatskosten). Zur Homo-Ehe erklärte Generalsekretär Dobrindt jüngst: „Die Union als Volkspartei hat die Aufgabe, der stillen Mehrheit eine Stimme zu geben gegen eine schrille Minderheit.“ Der Ausspruch – eine Anmaßung. Die Denke, die dahinter steckt – infam.

Dass sich ausgerechnet die Christsozialen zur Sittenwächterin und Hüterin einer vermeintlichen Mehrheitsmeinung aufspielen ist mehr als grotesk. Das Problem der CDU jedoch ist, dass sie diesem parteipolitischen Wurmfortsatz mit Großmachtdenken und Moralkeulengeheule in gesellschaftlich relevanten Fragen allzu sehr nachgibt. Schon das unterirdische Betreuungsgeld, mit dem Frauen de facto wieder an den Herd zurückbeordert werden, ging auf das Konto der Truppe aus Bayern. Eine kleine Drohung, die Koalition zu crashen – und schon knickte die Kanzlerin ein. Nun geht es also zurück in die Vergangenheit – mit Milliarden, die eigentlich dringlichst für den Ausbau von Kita-Plätzen benötigt würden. Ein schrilles Gesetz, angeschoben von der schrillen Splittertruppe CSU befördert Deutschland in die Liga der familien- und frauenpolitischen Entwicklungsländer.

Überhaupt die Frage der Gleichberechtigung: Auch hier lässt die Koalition Vernunft und Ratio außen vor. Während andere Länder wie Norwegen oder Frankreich bereits sehr erfolgreich die Frauenquote praktizieren und damit lang zementierte Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern abbauen, hinkt Deutschland auch hier hinterher. Ob beim Kinderkriegen, bei der Gleichstellung, bei der Rentengerechtigkeit – überall landet Deutschland nach einer

This entry was posted in Alle Artikel, Politik: Deutschland, STREIT-BAR and tagged , , , , , , , , , , , , . Bookmark the permalink.