Bild dir deinen Spiegel: Morgen kommt der Nikolaus

Von Marion Kraske

Politik blog debattiersalon | Büchner und die Brandstifter - Werbung Aufsteller BILD Zeitung Spiegel Personalie Blome Büchner | Foto: Marcus Müller © 2013 Ein Witz? Eher Satire. Eine böse, hundsgemeine Finte von Der Postillon, jener Web-Zeitung, die im Netz gekonnt Aberwitzigkeiten auf die Schippe nimmt? Mein Blick wanderte nach oben, an den Rand der Internetseite, auf der ich mich befand: Nein, ich war bei Spiegel Online. Die Seite meldete sich in der vergangenen Woche in eigener Sache zu Wort. Nikolaus Blome wechselt zum Spiegel, stand da. Unglauben, ich klickte auf Google und gab Blome und Spiegel ein, es kam, was die deutsche Medienwelt und nicht zuletzt den Spiegel selber seither in Aufregung versetzt: BILD-Blome, dessen herausragende berufliche Leistung in der erfolgreichen Selbstinszenierung als seriöser Journalist in den diversen Quasselshows dieser Republik liegt, soll zum Spiegel wechseln, nicht nur als Leiter des Hauptstadtbüros, sondern als Vize der Chefredaktion.
What the fuck…… ?!

Es dauerte Tage, bis der Unglaube zunächst dem Erstaunen, das Erstaunen schließlich der Wut wich. Die Wut ist inzwischen verraucht. Nun macht sich Desillusion breit, Desillusion darüber, was eigentlich los ist mit dieser unserer Medienwelt. Denn der verkündete Transfer ist mehr also nur eine billige Personalie. Er ist ein Gradmesser dafür, wie desolat es um die vierte Gewalt hierzulande bestellt ist. Ja, mehr noch: Wie es um unsere Gesellschaft bestellt ist. Wenn ein Springer-Smartie wie Blome in die Chefetage des einstigen Flagschiffs des deutschen Journalismus wechseln kann, wenn das Unmögliche zur Möglichkeit gemacht werden soll, ist Alarm angesagt.

Denn auch wenn der designierte Spiegel-Chef Wolfgang Büchner „Silodenken“ (er meint wohl Lagerdenken) ablehnt, gab es traditionell – ich schreibe zunächst einmal bewusst in der Vergangenheit – diese klare und wohlbegründete Trennlinie zwischen Spiegel und Springer. Es gibt Kollegen, mich eingeschlossen, die wollten und würden niemals freiwillig für Springer arbeiten. Die Gründe? Altbekannt und doch: nach wie vor aktuell.

Der Spiegel hingegen war immer etwas Besonderes, ein Wegweiser der demokratischen Auseinandersetzung und Debatte. Ein Korrektiv, eine Institution, die sich kritisch mit Politik und ihren Irrwegen auseinandersetzte, die sicherlich auch mal Politik machte, gekonnt und mit Paukenschlag regelmäßig jedoch Politikern immer wieder auf die Finger klopfte, niemals aber nur eines verfolgte: Schmierige Parteipolitik.

Fast gerät man ins Sinnieren, wenn man an den Spiegel von einst denkt, daran, wie er mal war. Als Politologin und Publizistin bin ich mit ihm groß geworden, er hat mich begleitet, durch Studium und Volontariat, während meine Freundinnen zu Bauch-Beine-Po gingen, blätterte ich stundenlang im geliebten Heft, selbstvergessen, verschlang die hintergründigen Berichte, die unvergleichlichen Geschichten.

Das geliebte rot umrandete Magazin

Exzellent und unvergessen die Berichterstattung während der Balkankriege. Da recherchierten und schrieben Kollegen, die Ahnung hatten, die kompetent waren, auf ihrem speziellen Gebiet. Die Inlands- und Auslandsberichterstattung bot zu der Zeit einen mannigfaltigen Mehrwert, eine essenzielle Nahrung für den politisch interessierten, polyglotten Leser. Montag war – ja es stimmte! – Spiegel-Tag, Fans des rot umrandeten Magazins horteten ihre Lieblingsausgaben wie kleine Kostbarkeiten, packten sie in Kisten, bei Umzügen zogen sie mit ins neue Domizil. Damals wuchs der Wunsch in mir, dort, im Olymp des Journalismus, selber einmal anzuheuern. Ich stieg ein und auf, mehrere Jahre war ich dort, zuständig unter anderem für Österreich und Südosteuropa, dann stieg ich aus.

Mit der Zeit veränderte sich die Bedeutung des Spiegels: Den Wert für unsere Demokratie, für den kritischen Diskurs besitzt das Blatt heute in der Form nicht mehr. Viele, die ihn jahrelang gelesen haben, lesen ihn heute nicht mehr, oder die Lektüre gibt ihnen nichts mehr. Der Spiegel hat zum Leidwesen vieler eine inhaltliche Entkernung hinter sich: Wo früher harte News, Hintergrund und Analyse selbstverständlich waren, entspringt heute Belangloses, gar Irrelevantes. Die Schnittchen in Berlin, der gelbe Sari in Pakistan, die Hausmitteilungen mit Militärs und Politikern gaukeln Nähe zu Politik und Parteien vor, die zwar nett und charming daher kommt, deren ureigenste Bedeutung sich allerdings nicht erschließt.

Zu Guttenberg und Sarrazin: Den Kern nicht erkannt

Denn was ist schon Nähe, wenn die eigentliche Relevanz fehlt, wenn die politische Fallhöhe nicht erreicht wird? Was soll Nähe, wenn vor allem die kritische Distanz zu den Objekten der Berichterstattung gefragt wäre? Plagiator Karl-Theodor zu Guttenberg samt Ehefrau wurde gehypt und umgarnt – ganz im Stil des Boulevards. Da durften dann – oh Graus – angekitscht die „fabelhaften Guttenbergs“ vom Spiegel-Titelbild lächeln. Nicht erkannt: Die Show, die Luftnummer hinter dem glattgegelten, glamourösen Auftritt, die etwa die Anthologie „Beruf als Inszenierung“ (erschienen im Suhrkamp-Verlag) brillant entlarvt.

Eben diese Auseinandersetzung mit einem Politiker, dem mehr am äußeren Scheinbild denn am Sein gelegen war – sie wurde nicht geliefert. Der enteierte, entpolitisierte Spiegel eiferte eifrigst den schlüpfrigen Springerblättern nach, die den Blaublüter auch dann noch stoisch ins Kanzleramt hieven wollten, als das jämmerliche Ausmaß seiner Täuschung, Doktorarbeit genannt, längst belegt war.

Seite an Seite mit dem Boulevard

Die Causa Sarrazin schließlich machte endgültig klar, dass die alten Zeiten vorbei waren, der Spiegel nicht mehr der Spiegel war. Seite an Seite mit der Bild wurde da ein Abdruck der geistigen Ergüsse eines geifernden Ex-Bundesbankers präsentiert, ohne tiefer gehende Analyse, ohne die Erkennung und Benennung dessen, warum dessen Thesen nicht nur falsch und schief, sondern vor allem Demokratie gefährdend sind, warum die Deutschland-schafft-sich-ab-Tirade durch und durch rassistisch ist. Warum Thilo Sarrazin alles andere war, nur kein „Volksheld“, wie der Spiegel titelte.

Die Humboldt-Universität war es schließlich, die das dummdreiste Werk zerpflückte und dem Ungeist (endlich) Geist gegenüber stellte. Der Titel dieses grandiosen und notwendigen Werkes: „Sarrazins Thesen auf dem Prüfstand. Ein empirischer Gegenentwurf“. Ein Zehntel der Rechercheleistung zur Demaskierung eines rechtsextreme Inhalte speienden Demagogen hätte auch dem Spiegel gut zu Gesicht gestanden.

Das alles sind Belege für die zunehmende Entpolitisierung der einstigen publizistischen Speerspitze, die auf das Konto einer in weiten Teilen apolitisch denkenden Führungsriege geht. Saßen da früher alte, unbequeme Haudegen mit Rückgrat, weitgereiste und weltgewandte Geister, denen Amerika ebenso vertraut war wie Albanien oder Afghanistan, tummeln sich (im Übrigen auch in anderen Redaktionen) heute glatte und angepasste Hauskarrieristen, die die Welt wahlweise aus dem Elfenbeinturm oder vom Deck der Segelyacht beurteilen, die zwar streetsmart und Talkshow-kompatibel sind, denen politische Prozesse allerdings egal und politisches Denken augenscheinlich fremd sind.

Damit befindet sich der Spiegel in allerbester Gesellschaft: Wer am Wochenende den ARD-Talk bei Günther Jauch sah, musste mit erleben, wie sich da ein hochbezahlter Moderator (einer der bestdotierten der ARD) peinlichst abmühte, dem anwesenden CDU-Politiker (Thomas de Maiziere) eine ganze Sendung lang nur ja keine einzige kritische Frage zu stellen. Erbärmlich? Erbärmlich!

Entkernung der vierten Gewalt

Auf diese Weise erlebt die deutsche Öffentlichkeit eine weit um sich greifende Entkernung der vierten Gewalt. Umso bedeutender die Aufgabe eines künftigen Spiegel-Chefs, dem einstmals mächtigen Medium wieder eine Haltung, eine machtvolle Stimme zu verleihen. Eine Stimme, die an gute Zeiten anknüpft, als man noch hinschaute, aufdeckte, einordnete, intellektuell auseinander nahm und nicht nur schmeichelte und schwurbelte. Nur mit diesem Rückgewinn an Relevanz ließe sich der rapide Auflagenrückgang aufhalten – das Konkurrenzblatt Zeit macht mit intelligenter und themensetzender Berichterstattung erfolgreich vor, wie es geht, auch in Zeiten fortschreitender Zeitungskrise.

Wolfgang Büchner, der nicht eben für eine eigene politisch-journalistische Arbeit steht, wollte sich als Stellvertreter einen politischen Kopf von außen einkaufen – ausgerechnet von Springer. Die Revolte der wackeren Mitarbeiter KG und Ressortleiter zeugt davon, dass dies auch in weiten Teilen der Redaktion als Frevel angesehen wird. Die Frage eines Spiegel-Autors, ob sich damit auch die Blattlinie ändere, wollte Büchner vergangene Woche nach Vorstellung seiner Personalie nicht verstehen. Die interessante Frage ist: Hat der Noch-dpa-Mann die Frage womöglich tatsächlich nicht verstanden? Weil politische Kategorien in gewissen (auch medialen) Kreisen heute womöglich gar keine Rolle mehr spielen?

Denn trotz aller Aufweichungen der Marke Spiegel existiert natürlich (noch immer) ein Unterschied zwischen der Spiegel-Kultur und der BILD-Kultur. Der Spiegel hat dies selbst jüngst formuliert, indem er der BILD, forsch und pointiert wie jeher, bescheinigte, sie übernehme „immer wieder die Rolle einer rechtspopulistischen Partei“. Treffliches Fazit der Abrechnung mit der Springerpostille: Das Blatt fungiere als „Brandstifter“.

Eben diesen Graben will Büchner endgültig zuschütten. Harakiri mit allen Mitteln. Fragt sich am Ende: Für wen? Für Büchner, der der Boulevardisierung des Journalismus durch eine unmögliche Personalentscheidung die Krone aufsetzen will? Oder am Ende für den Spiegel selbst? Ein nach rechts rutschender, populistisch angefeuerter, von einem BILD-Steuermann gelenkter Spiegel, der der Masse und dem Mob nach dem Mund redet, der mal gegen Minderheiten, mal gegen angebliche Sozialschmarotzer, mal gegen die vermeintlich faulen, griechischen Lauschepper hetzt – das ist tatsächlich eine neue Schreckensvision für alte Spiegel-Fans. Und eine Zumutung für unsere Demokratie.

This entry was posted in Alle Artikel, Medien, Politik: Deutschland, STREIT-BAR and tagged , , , , , , , , , . Bookmark the permalink.