Wenn Geschichte urplötzlich aktuell wird

Von Marcus Müller

Am 8. November wurde in Berlin ein Denkmal für den Hitler-Attentäter Georg Elser offiziell eingeweiht. Das hatte einen mäßigen öffentlichen Widerhall – jedenfalls gemessen an dem Pomp und manchmal fast schon Kitsch, der inzwischen um die Attentäter des 20. Juli veranstaltet wird. Erfreulicherweise wurde aber doch vielmals die Geschichte des Mannes erzählt, der am 8. November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller Hitler mit einer selbstgebauten Bombe töten wollte, was misslang, und acht Menschen das Leben kostete.
Die Attentäter vom 20. Juli 1944 um Claus Schenk Graf von Stauffenberg entdeckten ihre Moral bekanntlich erst Jahre nach dem schwäbischen Schreiner Elser. Elser wurde noch wenige Wochen vor Kriegsende auf Geheiß Hitlers im April 1945 im KZ Dachau erschossen.
Nicht völlig überraschend sickerte in die konservativen Zeitungskommentare zur Denkmaleinweihung ein Ton , der die Erinnerung an Elser zwar gutheißt, aber das „unheimliche“, angeblich aufgeblasene Gedenken als überflüssiges Gutmenschen-Gehabe abkanzelt. Versteckt wird es perfider Weise in der Frage, ob denn ausgerechnet in Berlin ein weiteres Denkmal entstehen müsse. Und nur mal am Rande: Das Wort Gutmensch ist unsäglich und zynisch. Was haben denn die, die es so gerne in ihren Artikeln verwenden, für ein Selbstbild? Halten sie sich für Bösmenschen? Soll man ihnen mal sagen, wo sie psychologische Hilfe bekommen?
Tatsächlich sind in den vergangenen Jahren mehrere Denkmäler für Georg Elser in verschiedenen Städten errichtet worden, auch in Berlin. Außerdem wurden viele Straßen nach ihm benannt. Was im Gegenzug umso mehr passiert, ist ein seit Jahren stattfindender Versuch der „Normalisierung“ der deutschen Geschichte; eines konservativen Rollbacks, der die Schrecken des Nationalsozialismus gerne ein bisschen kleiner und leiser dargestellt hätte, abgeschoben am besten in wissenschaftliche Elfenbeintürme, es vielleicht sogar zugunsten der guten Geschichts-Ereignisse gerne ganz vergessen würde. Tenor: Ach, jetzt reicht es aber doch.
Wie fatal und weit fortgeschritten diese Haltung längst ist, zeigt sich heute, nur gut eine Woche nach der Denkmal-Eröffnung. Jetzt haben plötzlich alle einen “Schock“: Weil eine Neonazi-Bande mehr als zehn Jahre untertauchen konnte und vielleicht sogar unter den Augen staatlicher Stellen mordete. War ja angeblich alles nicht so schlimm in der rechten Ecke, die Zahlen zum latenten Antisemitismus in Deutschland stehen ja ohnehin nur noch ganz klein in der Zeitung. Und viel wichtiger ist es natürlich, sich eine schwarz-gelbe Extremismusklausel auszudenken. Die Junge Union darf derweil staatlich gefördert zur angeblichen „Bekämpfung des Linksextremismus“ ins Berliner Nachtleben juckeln.
Im Umgang mit dem Rechtsextremismus zeigt sich gerade in der jetzigen Regierung eine Haltung, die sagt: Alles nicht so schlimm, ist ja mal gut, wir wollen uns unser schönes Dorf nicht schmutzig machen lassen. Diese Haltung ist eine Parallele der Geschichtsvergessenheit. Wie schwerwiegend die Ereignisse um die Zwickauer Zelle tatsächlich sind, zeigt aber die für ihre Verhältnisse geradezu lichtschnelle Reaktion von Kanzlerin Merkel. Ob die echte Bewegung zum NPD-Verbot dem tatsächlich folgt? So etwas jedenfalls tut Merkel überhaupt nur, wenn Gefahr, wenn ihr echter politischer Schaden droht. Wir können ja mal schauen, ob sich im nächsten Jahr im November zum Elser-Gedenken mehr als die “üblichen Verdächtigen” wie Dramatiker Rolf Hochhuth, der Initiator des Denkmals, und Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse an der Skulptur einfinden.

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