Waschlappen-Journalismus

Von Michael Kraske

Regelmäßig packt mich im Zeitschriften-Laden dieser Wonne-Hass. Dann kann ich es nicht lassen und blättere doch wieder in den knallbunt eingeschlagenen Magazinen mit den Ganznatürlichbloßnichtzusexy-Großstadtgören und den Vollbart liebt Angeschlamptmädchen-Paaren auf den Covern. Besondere Abscheu produzieren die Titelgeschichten von Neon und Nido. Die heißen: Guter Job oder große Liebe? Und auch: Wie geht streng sein? Die beiden Magazine sind die Fortsetzung der WG-Küche mit publizistischen Mitteln. Buchstaben und Bilder gewordene Teemischungen. Journalistischer Eskapismus. Weil man zu großen Fragen und gesellschaftlichen Prozessen nix zu sagen hat, aber trotzdem unheimlich pfiffig ist, macht man halt das, was man abends beim Rotwein und Cook with friends auch macht: Man analysiert sich selbst, ist total reflektiert, was Job, Freunde, Partner und Eltern angeht. Die Welt von Neon und Nido ist die Seifenoper der niemals erwachsen werdenden Großstadtmenschen, die sich genüsslich um sich selbst drehen und jeden Befindlichkeitspups zur Sinnfrage aufblasen.

Neon und Nido sind erfolgreiche Magazin-Innovationen. Ehrlicherweise sind sie mit Ausnahme von einem Hundemagazin (dogs) und einem Fleischfetischisten-Titel namens beef (Eigenwerbung: „Das Magazin für Männer mit Geschmack“) beinahe auch die einzigen Formate, die Verlage in den vergangenen Jahren erfolgreich ausbaldowerten. Während Neon auf das Lebensgefühl der 20- bis 30-Jährigen zielt, nimmt sich Nido die jungen Familien vor, Typen, die sich wundern, dass sie nun schon bald 40 sind und sich noch gar nicht anders fühlen als mit 30. Beide Magazine kehren die ursprüngliche Idee von Journalismus um: Sie wollen weniger abbilden, was in der Gesellschaft um sie herum passiert als vielmehr, was mit einem selbst passiert. Die beiden Magazine sind eine Mischung aus Ratgeber und Befindlichkeits-Prosa, allerdings im Gestus des überlegenen Großstadt-Bohemiens vorgetragen, der in Geschmacksfragen über das zur eigenen Persönlichkeit passende Sofa genauso scharfsichtig und stilsicher argumentiert wie in der Analyse der eigenen Geschwister-Konstellation.

Das Pfund, mit dem die Redakteure wuchern, ist nicht Recherche, sondern Erfahrung, die ganz nah an den Erfahrungen der anderen Großstadtverwirrten dran ist. Der Leser wiederum holt sich mit Neon nicht die Welt in die WG, sondern vergewissert sich, dass man die Welt so abhandeln kann wie die eigene WG. Und mit Nido vergewissern sich unsichere Eltern, dass die anderen auch nicht so genau wissen, wie Eltern sein geht. In der community kann man sich dann mit anderen austauschen, wie viel Offenheit eine Beziehung verträgt oder ob es ok ist, Freunde zu treffen, auch wenn die Kinder sich langweilen.

Natürlich gibt es auch die gut geschriebenen Alibi-Reportagen über den Afghanistan-Krieg oder den Jenaer Stadtpfarrer Lothar König, der durch seinen Kampf gegen Neonazis zum sächsischen Staatsfeind avancierte. Aber davon bitte nur kleine Portionen, denn mehr als an den Zuständen ist man an sich selbst interessiert. Die Titelgeschichten widmen sich stets den ganz großen Lebensfragen: Willst du Kinder? Wie viel Geld brauchst du? Wie viel Nähe braucht die Liebe? Dazu lächeln sympathisch verpeilte Paare auf Betten oder rücken sich beinahe schmusend auf die Pelle. Die Ästhetik pendelt zwischen Prenzlauer Berg, Eppendorf und Schanzenviertel. Der Overkill an Mützenträgern, Zehntagebärten und Mädchenfrauen weckt beim zufälligen Betrachter den Wunsch nach einer spießigen, geschmacklosen Kleinstadt ohne Zugverbindung nach Berlin.

Neon und Nido sind die Zentralorgane für den Rückzug ins Private. Eine Parallelgesellschaft, in der gesellschaftliche Teilhabe mit der Zusammenstellung der wöchentlichen Bio-Kiste endet. Die ästhetisierte Zielgruppe lebt in der Großstadt, hat etliche Praktika durchlaufen und hadert mit halbguten Jobs und Beziehungen. Auch wenn sie älter werden und Kinder kriegen, halten sie trotzig an ihrem Lebensstil fest. Nun ist nichts verwerflich daran zu thematisieren, wie man trotz Kindern das Glück der Zweisamkeit gestaltet, aber der Zielgruppen-Fetischismus schließt zugleich die Lebenswirklichkeit all derer aus, die nicht in das stilvolle Raster der Altbaubewohner passen. So erschaffen Neon und Nido eine ganz eigene Welt mit den Sorgen und Sehnsüchten der Nichtmehrganzjungen plus einem Schuss sozialkritischer Exotik. Alles andere taugt bestenfalls zur Randnotiz.

Der Blick durchs Schlüsselloch ist eine charmante Perspektive. Jeder guckt gern durch. Aber spannend wird es erst, wenn hinter dem Schlüsselloch nicht die immer gleichen Klone wohnen. Narzissmus zählt, obwohl unter Journalisten weit verbreitet, nicht zu den journalistischen Tugenden. Mit der Neugier ist es genau anders herum. Die ist ganz zu unrecht nicht mehr ganz so beliebt und hätte mal ein neues Magazin verdient.

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