Was ist schon Moral oder: Die Berlusconisierung schreitet voran

Von Marion Kraske

Jüngst im journalistischen Seminar einer deutschen Hochschule: Man diskutiert über die Affäre Wulff, über reichlich spendable Freunde und zugeschanzte Kredite für grotten-hässlichen Klinkerbau, über dreiste Bereicherung und hochnotpeinliches Upgrading bei einer Billig-Fluglinie. Die angehenden Journalisten finden das freilich alles halb so schlimm: Auch ein Politiker müsse doch noch Freunde haben dürfen. Die Debatte über den Bundespräsidenten sei schon sehr, sehr deutsch, befinden sie in der Runde. Schließlich meldet sich eine Studentin zu Wort und sagt: Sie wisse gar nicht, wo denn eigentlich das Problem sei. Es sei doch völlig normal, dass man Freunde bevorzuge, gerade auch im geschäftlichen Bereich, und so sei es doch kaum verwunderlich, dass eine solche Praxis auch unter Politikern Normalität sei.
Innehalten.
Ist sie das bereits? Die Kapitulation der Wähler – in diesem Falle der akademischen, noch dazu künftigen journalistischen Elite – vor den Unabänderlichkeiten einer wertelosen Gesellschaft? Die innere Emigration in einen resignierenden Ruhezustand, in dem zweifelhafte Entwicklungen zwar schemenhaft wahrgenommen, aber nicht mehr mit kritischer Distanz bis zu Ende gedacht werden?
Denn worum geht es bei der Diskussion um den Glamour-liebenden Bundespräsidenten? Um eine Neiddebatte, wie viele Kritiker, auch einige der Studenten, neuerlich ins Feld führen? Um Staub, wie es der Bundespräsident selber anfänglich – gänzlich frei von Selbstzweifeln – ausdrückte? Am Ende gar um den ausgeprägten Selbstbeschäftigungstrieb einer sich langweilenden Medienmasse?
Wohl kaum. Zunächst einmal geht es um ganz Banales: Um die saubere Trennung von Amt und Geschäft. Um die Grenze zwischen Privatem und Politik. Um Klarheit. Um all das, was im Reiche Berlusconis nahezu vollständig atomisiert wurde. Um Dinge also, die man einfach nicht macht, um die Verquickung geschäftlicher und privater Interessen, das Aufpumpen des Legalen bis an seine äußerste Grenze, bis zu jenem entscheidenden Punkt, an dem das Handeln nicht mehr als lupenrein bezeichnet werden kann.
Und ja – es geht um Moral.

Aber was ist das schon in einem Politbetrieb, in dem es längst nicht mehr um die Sache geht, um die Ausgestaltung von Gesellschaft, um die Findung gestalterischer Lösungen für gesellschaftspolitische Fragen, sondern immer mehr um schnöde Parteipolitik, in dessen Geleit der Machterhalt als entkoppelter Primärzwang daher kommt, dem alles andere brachial untergeordnet wird.
In Österreich heißt Wulffs Vorgehen euphemistisch Freunderlwirtschaft, es ist ein Hobby der alpenländischen Polit- und Wirtschaftselite.
Strafrechtlich nicht in allen Fällen relevant, dennoch höchst anrüchig. Dabei sind nicht die Freunde per se das Problem, die gezielt betriebene Freunderlwirtschaft zum Wohle einer eingeschworenen Clique aber ist es sehr wohl. Auch Bundespräsident Wulff mauschelte mit gut betuchten Amigos in einer unschönen Grauzone. Doch das kleine, unscheinbare Wörtchen verschleiert, was sich dahinter verbirgt: Filz, intransparente Netzwerke zwischen Politik und Wirtschaft. Und der gärende Verdacht, dass es nicht einseitig bei den (angeblich gar nicht existenten) Geschäften blieb, sondern womöglich Gegenleistungen oder Gefälligkeiten gab. Warum sonst nahm der damalige niedersächsische Ministerpräsident seinen langjährigen Freund, den Industriellen Geerkens, gleich auf mehrere Geschäftseisen mit? Warum sponsorte der rührige Moneyman Carsten Maschmeyer ein Buch von Wulff mit dem betörend aktuellen Titel „Besser die Wahrheit“? Ausgerechnet Maschmeyer – ein umtänzelter Darling der Politiker: Dass der von ihm gegründete AWD mit Kunden, auch mit Kleinanlegern, alles andere als freundschaftlich umging – es spielt sowohl bei Wulff als auch bei Gerhard Schröder, einem anderen prominenten Freund aus der Hannoveraner Gang, offenbar keine Rolle.
Moneten zählen eben mehr als moralische Integrität.

Während in Österreich die Freunderlwirtschaft gerne als systemimmanentes Kavaliersdelikt, ja gar als potenter Akt noch potenterer Protagonisten verharmlost wird, ist hierzulande das öffentliche Gespür für Unvereinbarkeiten zwischen Politik und Wirtschaft noch einigermaßen stark ausgeprägt. Das beweist nicht zuletzt die Diskussion der letzten Tage.
Schließlich ist es in erster Linie ein demokratischer Akt zu hinterfragen, warum der oberste Mann im Staate einst einen Privat-Kredit erhielt, der zu signifikant günstigeren Konditionen vergeben wurde als einer für Otto-Normal-Verbraucher. Fest steht: Eine Sonderbehandlung, bei der ein Politiker Zehntausende Euro spart, ist anrüchig. Sonderbehandlungen bergen eine Gefahr: Sie untergraben die Demokratie, sie zersetzen das Gebot, wonach alle gleich sind, ungeachtet ihrer Stellung und Position.
Und so bleiben auch nach der von Wulff so salbungsvoll vorgetragenen Entschuldigung und dem Rauswurf seines bis dato treu ergebenen Presseadjutanten maßgebliche Fragen unbeantwortet. Warum etwa steht ein Mann wie Wulff auf fortgesetzte Sonderbehandlungen? Warum auf kostbare und kostenlose Urlaubsmomente bei gut betuchten Freunderln? Und: Kann ein solcher Mann mit solchen Neigungen Vorbild, ja gar moralische Instanz sein, wie es das Staatsoberhaupt nun mal sein sollte? Zumal Wulff in ähnlichen Fällen früher gerne selber mit dem moralischen Zeigefiger gewunken hat.

Dass die Regierungsparteien vor Weihnachten mit brachialer Gewalt versuchten, die öffentliche Debatte im Keim zu ersticken – mit Verweis auf den Schutz des höchsten Staatsamts – war peinlich. Dennoch war die Panik verständlich: Ein neuerlicher Verlust eines Präsidenten käme für das schwarz-gelbe Regierungslager einer Katastrophe gleich. Dennoch verdreht die Argumentation die Täter-Opfer-Perspektive in unzulässiger Art und Weise: War es doch Wulff, der dem öffentlichen Amt durch sein Verhalten Schaden zufügte, nicht jene, die sich an der Aufklärung abmühen. Indem Wulff hinhielt, negierte (oder gar log?), haarspaltete (wer, wenn nicht Geerkens selber hat den Kredit vergeben, wo doch die Ehefrau seit Jahren gar nicht arbeitet?) legte er ein mehr als unrühmliches Verhalten an den Tag. Man könnte es auch einen erbärmlichen Akt nennen.
Diese Taktiererei wirft ein bezeichnendes Licht auf jenen Mann, der nicht zuallererst aufgrund seiner Leistungen und seiner staatsmännischen Statur ins Amt gehievt wurde, sondern aufgrund machttaktischer Erwägungen einer machtjonglierenden Kanzlerin, die mit diesem Schachzug einen potenziellen Konkurrenten aus dem Wege räumen wollte.

Gerade die Union, die sich gerne als Hüterin bürgerlicher Werte präsentiert, beweist mit Wulff einmal mehr, dass die von ihr propagierten bürgerlichen Tugenden in Wahrheit keinen großen Wert mehr besitzen, dass es um Redlichkeit, Glaubwürdigkeit und Verantwortungsbewusstsein im Kreise der Konservativen nicht eben zum besten steht – vor allem Moral scheint für die selbst ernannten Tugendwächter derzeit keine ernstzunehmende Kategorie zu sein. Beispiele gefällig? Erst jüngst trat wegen des Verdachts dubioser Immobiliengeschäfte der Berliner Senator für Justiz und Verbraucherschutz Michael Braun zurück, Roland Koch machte nach seinem Hals-über-Kopf-Rückzug aus dem Amt des hessischen Ministerpräsidenten flugs rüber, in den Vorstand ausgerechnet jenes Baukonzerns, der während seiner Amtszeit stark von öffentlichen Aufträgen profitiert hatte. Helmut Kohl, der Pate schwarzer Konten, stellt noch heute sein Ehrenwort über einen allgemein gültigen Wertekodex. Von zu Guttenberg, dem nach Aufmerksamkeit heischenden Felix Krull gar nicht erst zu sprechen. Schließlich auch die Kanzlerin selbst: War es doch Angela Merkel, die am überführten Plagiator Guttenberg noch festhielt, als das brachiale Ausmaß seiner peinlichen Täuschung für alle im Netz schon lange sichtbar war. Sehr zurecht hat der Philosoph Jürgen Habermas dies als „Berlusconisierung der politischen Kultur des Landes“ bezeichnet.
Dieser Ausverkauf der guten Sitten war der eigentliche Sündenfall im zurückliegenden Jahr, dieser Akt war es, der nicht nur dem Ansehen der Politik, sondern der Demokratie nachhaltigen Schaden zufügte. Die Enteierung ethisch-moralischer Grundsätze, der Verkauf hehrer Prinzipien für den schnöden Machterhalt. Merkel sei Dank sind wir auf diesem Pfad schon sehr weit gekommen. Einigen wachen Geistern hierzulande sei Dank gilt dies noch lange nicht als Mainstream.

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