Wanted: Milliarden für eine soziale Politik

Von Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes

Politikblog debattiersalon | Gastautor Ulrich Schneider | Foto: © Der Paritätische Gesamtverband Die Deutsche Steuer- und Haushaltspolitik steht unzweifelhaft vor einem Scheideweg. Auf der einen Seite eine Schuldenbremse, die zu strukturell ausgeglichenen Haushalten zwingt. Auf der anderen Seite drängender Reformbedarf von der Pflege bis zur Bildung, den kein Politiker ernsthaft bestreiten wollte. Die Herausforderungen sind groß. Wir brauchen eine Reform der Pflegeversicherung, die mehr ist als ein Placebo und für alle Menschen dauerhaft eine Pflege sicherstellt, die der Würde des Menschen entspricht.

Wir brauchen Hilfen für alle Langzeitarbeitslose, auch für die rund 400.000, von denen wir wissen, dass sie kaum noch auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelbar sind. Sie brauchen mehr als die Nürnberger Angebote von der Stange, sie brauchen soziale Hilfen und im Zweifel auch längerfristig öffentlich geförderte, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, weil ihnen kein anderer Weg zur Arbeit offensteht.

Wir brauchen bedarfsgerechte, stadtteilbezogene und familienorientierte Angebote der Jugendarbeit und des Bildungssystems für all jene Kinder, die besonders schlechte Chancen haben, und die jetzt mit monatlichen 10-Euro-Gutscheinen aus dem Hause von der Leyen abgespeist werden. Wir brauchen ein Teilhabegesetz für Menschen mit Behinderung, das endlich ernst macht mit einer Politik auf Augenhöhe und dem noch so fernen Leitziel des selbstverständlichen Miteinanders von Behinderten und Nicht-Behinderten. Keiner, der solchen für einen Sozialstaat selbstverständlichen Ansprüchen offen widersprechen wollte.

Doch wird es ernst, scheiden sich die Geister. Und ernst wird es beim Geld. Auf jährliche Mehrausgaben von rund 7 Milliarden werden allein die Kosten für eine tatsächliche Pflegereform geschätzt, auf weitere 5 Milliarden die Kosten für verschiedene Modelle der öffentlich geförderten Beschäftigung. Eine Erhöhung der Regelsätze in Hartz IV auf 420 Euro im Monat, so dass die Menschen wenigstens auf bescheidenstem Niveau ihre Grundbedarfe stillen und etwas teilhaben können an Kultur oder Sport, schlägt bei der jetzigen Anzahl von Hartz-IV-Beziehern ebenfalls mit rund 7 Milliarden mehr zu Buche.

Die notwendigen Ausgaben für eine inklusive Behindertenpolitik und eine Bildungspolitik, die tatsächlich alle mitzunehmen in der Lage ist, sind bisher nicht mal annähernd beziffert. Eines steht jedoch fest: Wer so tut, als seien all diese Herausforderungen zu stemmen, ohne dass irgendjemand hierzu etwas hergeben müsse, verschweigt die unangenehme Wahrheit. Wer sich gegen jegliche Form der UmFairTeilung sperrt, sollte auch so ehrlich sein und den Pflegebedürftigen, den behinderten Menschen, den Langzeitarbeitslosen oder den benachteiligten Kindern offen sagen, dass aus seiner Sicht für sie nichts drin ist, in seinem politischen Programm. Wer wissen will, wie ernst es Parteien mit der Sozial-, Bildungs- und Familienpolitik meinen, sollte deshalb in den Wahlprogrammen nicht unter diesen Kapiteln, sondern unter „Steuerpolitik“ nachschlagen und schauen, was er hier Verbindliches zu Einkommensteuer, Vermögensteuer oder Erbschaftssteuer findet.

Rund 400 Milliarden Euro Schwarzgeld sind nach Schätzungen der Deutschen Steuergewerkschaft weltweit aus Deutschland auf ausländischen Konten angelegt. Über 100 Milliarden gehen dem Fiskus damit alljährlich durch diesen Steuerbetrug verloren. Viel Geld, das viele Probleme lösen könnte. Durch den Fall Hoeneß hat die Steuerhinterziehung im großen Stil – wie schon beim Ex-Postler Zumwinkel – wieder einmal ein Gesicht bekommen. Und siehe da: Es sind gar nicht nur irgendwelche Dunkelmänner und zwielichtige Gestalten.

Es sind offensichtlich auch Prominente mit bis dahin vermeintlich bestem Leumund, Mitglieder jener Runden, die sich selbst gern als politische und wirtschaftliche Elite beschreiben. Die notwendige UmFairTeilung verlangt in dieser Gesellschaft eine Grundhaltung der Solidarität, der gemeinschaftlichen Verantwortung und des Anstands. Sie verlangt die Bereitschaft, etwas für dieses Gemeinwesen zu tun, und von einigen die Bereitschaft, im wahrsten Sinne des Wortes abzugeben, zu teilen. Die Reaktion der Politik auf Fälle von Steuerkriminalität – gerade von Prominenten aus ihren eigenen Elite-Reihen – hat erheblichen Einfluss auf die moralische Verfasstheit dieser Gesellschaft. Jetzt ist wirklich einmal klare Kante gefragt.

Ulrich Schneider ist seit 1999 Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Armut in Deutschland, Verantwortung des Sozialstaats und soziale Gerechtigkeit.

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2 Antworten auf Wanted: Milliarden für eine soziale Politik

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  2. Soziale Gerechtigkeit

    „Die bisher im Interesse des Kapitalzinses künstlich gehemmte und eingeschnürte Volkswirtschaft wird sich also infolge der Freigeldreform erst voll und ganz entfalten, nun erst ihren natürlichen ungehinderten Verlauf nehmen können und das ganze Volk zu ungeahntem Wohlstand, zu allgemeiner Kultur und Bildung emporheben. Es gibt dann zwar keine Kapitalisten und Rentiers, keine „Geldkönige“, aber auch kein „Proletariat“ mehr, sondern nur noch Arbeiter, gleichviel, ob sie mit der Hand oder mit dem Hirn arbeiten, denn wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen. Aber diese Arbeiter werden keine besitzlosen Proletarier mehr sein, die es als eine Gnade ansehen müssen, überhaupt arbeiten, Güter und Reichtümer erzeugen zu dürfen, sondern sie werden, infolge ihres verdoppelten und verdreifachten Arbeitsertrages und der dadurch ermöglichten großen Ersparnisse, selbst die Geschäftsanteile der Betriebe erwerben können, in denen sie arbeiten. So werden sie allmählich in den Besitz der Produktionsmittel gelangen und am eigenen Leibe erfahren, dass das Eigentum an den Produktionsmitteln nicht die Ursache des „Mehrwertes“ und der „Ausbeutung“ ist, wie die Sozialisten und ihr Lehrer, Karl Marx, behaupten.“

    Georg Blumenthal (aus „Die Befreiung von der Geld- und Zins-Herrschaft“, 1916)

    Die heutigen Sozialisten, die wenigstens schon eingesehen haben, dass eine Verstaatlichung der Produktionsmittel die Lage der arbeitenden Menschen nur noch hoffnungslos verschlimmern kann, glauben stattdessen an die Möglichkeit einer wie auch immer gearteten „Umfairteilung“, um die Zinsumverteilung, die sie nicht begreifen, irgendwie zu korrigieren oder zumindest abzumildern. Warum das unmöglich ist, sollte jetzt klar sein: Der „Mehrwert“ kann nicht besteuert werden, weil vorher das „liebe Geld“ streikt und die Warenproduktion unterbindet. Alle Steuern – auch „Reichensteuern“ – und Sozialabgaben werden immer von den Arbeitern bezahlt und niemals von den Kapitalisten, solange die Volkswirtschaft noch kapitalistisch ist, d. h. solange Zinsgeld verwendet wird. Tatsächlich ist eine „Umfairteilung“ das Gegenteil von „gerecht“, weil sie nur die echten Leistungsträger der Gesellschaft, also diejenigen, die aufgrund eigener Leistung ein hohes Arbeitseinkommen haben, überproportional bestraft, während die echten Parasiten, die „funktionslosen Investoren“, in einer Zinsgeld-Ökonomie nicht belangt werden können.

    Wohlstand für alle