Verfassungsschutz: Die Sabotage geht weiter!

Von Michael Kraske

Die ersten Wochen des NSU-Prozesses mit ihren prozessualen Scharmützeln und trippelschrittigen Vernehmungen haben gezeigt, wie zäh und langwierig allein die strafrechtliche Aufarbeitung der Nazi-Mordserie sein wird. Da wäre es umso wichtiger, dass die bisher folgenlos gebliebenen Defekte im Staatsapparat, die Versäumnisse, Fehler, Schlampereien und bewussten Manipulationen etwa in den Verfassungsschutzämtern rigoros aufgeklärt und durch Reformen und radikale Umbauten abgestellt werden. Anderthalb Jahre nach Auffliegen des NSU-Terrors müsste die demokratische Zivilgesellschaft erwarten dürfen, dass die beteiligten Behörden alles, aber auch wirklich alles unternommen haben, um die Vorgänge rund um das mordende Nazi-Netzwerk restlos aufzuklären. Dass sie sich bedingungslos den Parlamenten und deren Ausschüssen fügen und ihr demokratieschädigendes Eigenleben abgestellt haben. Wer´s glaubt, wird treudoof selig.

Denn nicht so beim Sächsischen Verfassungsschutz. Da haben sie jetzt wieder mal hochbrisante NSU-Akten gefunden. Im Archiv. Einfach so. Durch Zufall. Der Aktenfund lässt nur zwei mögliche Schlüsse zu: Entweder haben Verfassungsschützer brisantes Material bewusst zur Seite geschafft, um zu verschleiern, was wirklich geschah oder die Behörde und ihre Mitarbeiter sind in einer Weise desorganisiert und stümperhaft unprofessionell, dass das Amt sofort geschlossen werden muss. Beide Interpretationen sind unerträglich, aber denkbar.

Bauernopfer statt Minister-Rücktritt

Ganz sicher reicht es nicht aus, den stellvertretenden Chef Olaf Vahrenhold ins Staatsarchiv abzuschieben, wo er fortan andere, nunmehr noch angestaubtere Akten hin und her bewegen kann. Es würde nicht mal ausreichen, wenn der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU), was längst überfällig ist, zurücktreten würde, wofür derzeit aber nichts spricht. Der ans Tageslicht gestolperte Aktenfund zeigt drastisch auf, wie es um die Aufarbeitung des NSU-Komplexes in Sachsen bestellt ist. In den Medien war das nur eine Randnotiz. Die beschäftigen sich derzeit mit Snowden, Internetspitzelei und dem Wetter. Dass das demokratische System weiter von denen sabotiert wird, die gut dafür bezahlt werden, es zu schützen, wird schulterzuckend zur Kenntnis genommen, bevor man zur Tagesordnung übergeht. Wenn überhaupt.

Vahrenhold selbst hatte bei öffentlichen Auftritten, etwa bei einer Podiumsdiskussion mit dem SPD-Innenexperten Dieter Wiefelspütz versichert, dass die eigenen Fehler einer Behörde erkannt seien und abgestellt würden. Im Nachhinein wirken diese phrasenhaften Beruhigungsformeln hohl und geradezu zynisch. Was jetzt gefunden wurde, hat Bezug zum militanten Netzwerk „Blood and Honour“, zum „NSU“ und zum „Ku-Klux-Klan“.

Der derzeitige Verfassungsschutz-Chef Gordian Meyer-Plath, der zuvor vor allem als ehemaliger V-Mann-Führer des hochkriminellen Zuträgers „Piato“ in Brandenburg aufgefallen war, teilte jetzt mit, dass die Akten auch Informationen zu der desaströsen Operation „Terzett“ enthielten, bei der von Mai bis August 2000 eine Chemnitzer Wohnung observiert wurde, um Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe aufzuspüren. Derzeit kursieren Versionen, wonach etwa während solcher Observationen Kameras von Verfassungsschutz und LKA liefen, ohne dass Beamte vor Ort gewesen seien. Solche haarsträubenden Merkwürdigkeiten kann man glauben oder auch nicht. Der sächsische Verfassungsschutz wäre verpflichtet gewesen, den Untersuchungsausschüssen alles zur Verfügung zu stellen, um das Scheitern dieser Operationen zu erklären und Konsequenzen zu ziehen.

Offene Fragen in Sachsen

Meyer-Plath gibt nun zu, die Absprachen der Ermittler aus Thüringen und Sachsen seien weitaus professioneller gewesen als bislang bekannt. Was heißt das genau? Und warum wurden die Verdächtigen trotzdem nicht gefasst? Die neue Ungeheuerlichkeit droht genauso folgenlos zu bleiben wie die Aktenvernichtungen zuvor. Dabei schuldet die sächsische Regierung der deutschen Öffentlichkeit nach wie vor die Antworten auf drängende Fragen: Wenn doch die richtigen Unterstützer, etwa aus dem Blood and Honour-Netzwerk, observiert wurden – warum konnte das Trio dennoch nicht gefasst werden? Welche Rolle hat die lobbehudelte Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko Rex) gespielt? Hat man das Trio wirklich wie behauptet aus den Augen verloren, obwohl die drei ihre Zentrale nie aus dem Großraum Chemnitz/Zwickau verlagert hatten? Was wusste die V-Mann-durchsetzte Szene von den Taten des NSU und was davon hat den Verfassungsschutz erreicht?

Statt Konsequenzen bekommt der staunende Betrachter die dreiste Ankündigung von Meyer-Plath um die Ohren gehauen, er könne nicht ausschließen, dass weiteres Material gefunden werde. Beim zufälligen Stöbern? Beim Drüberstolpern? Die Mitteilung Meyer-Plaths, im Landesamt für Verfassungsschutz werde derzeit ein elektronisches Vorgangsbearbeitungssystem installiert, klingt nach einer derben Verarsche aus der heute show. Im Jahr 2013 muss der sächsische Verfassungsschutz ein Computerprogramm installieren, damit er weiß, was bei ihm eigentlich so vorgeht. Das ist unfassbar. Das ist bodenlos. Das ist der traurige Zustand eines Verfassungsorgans. In einem Land, das sich selbst immer wieder auf die Schultern klopft für seine angeblichen Erfolge in Sachen Wirtschaft und Schule.

Zur gleichen Zeit geht das Strafverfahren gegen den Jugend-Pfarrer und Anti-Nazi-Aktivisten Lothar König vor dem Dresdner Amtsgericht unbeirrbar von bröselnden Belastungsmomenten und kirchlichen Solidaritätsadressen seinen Gang. Akribische, fragwürdig begründete Härte auf der einen, stümperhafte Nachlässigkeit im Angesicht der widerlichsten Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik auf der anderen Seite. Das spricht für sich. Es ist an der Zeit, Vertrauen und Geld von denen abzuziehen, deren Beitrag im Moment darin besteht, den demokratischen Souverän, nämlich das Volk, zu verhöhnen.

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