Ungarn: Orban oder die Frage, wie schnell man eine Demokratie abbauen kann

Von Marion Kraske

Viktor Orban hat am Wochenende triumphiert. Bei der Parlamentswahl in Ungarn hat seine Partei, die nationalkonservative Fidesz, 44 Prozent der Stimmen erhalten, zusammen mit den Christdemokraten sichert sich der Konservative damit neuerlich eine Zweidrittelmehrheit. Wahlroutine in einem EU-Mitgliedsland? Wohl kaum. Das Ergebnis kann sich als Sargnagel für die ungarische Demokratie erweisen.

Denn schon seine bisherige Machtfülle hat Orban dazu genutzt, das Land umzupflügen, wie es in Europa bislang wohl kein Regierungschef betrieben hat. Kompromisslos. Rücksichtslos. Kaltschnäuzig. Wider den europäischen Geist.

Unter den Augen der EU hat er seit 2010 nicht weniger als 850 Gesetze erlassen. Allesamt Änderungen, die nur eines zum Ziel hatten: Die demokratischen Errungenschaften der Nachwendezeit zurückzudrehen. Orban hat eine neue Ära eingeleitet und statuiert nun ein Exempel: Was ist möglich in dieser Wertegemeinschaft namens EU? Wie weit kann man gehen? Wie leicht kann man das aushebeln, was eigentlich Grundlage für den Beitritt in die EU war? Demokratische Grundwerte, ein unabhängiges Justizsystem. Eine freie Presse.

Orban macht vor, wie leicht es ist, all das zu perforieren, wenn ein Regierungschef nur die entsprechende Mehrheit im Parlament besitzt und skrupellos genug ist, diese auch zu nutzen. Mit weniger Bürgerrechten, mit einer attackierten Medienlandschaft, mit einer beeinträchtigten Justiz, mit einer Notenbank am Gängelband. Mit diesen Weichenstellungen baute Orban seine Machtstellung sukzessive aus. Und die Demokratie nach und nach ab.

Allmachtsphantasien und Freund-Feind-Atmosphäre

Nicht zuletzt schuf er mit seiner Allmachts-Propaganda eine Atmosphäre, die das Land in gut (für uns, für eine nationalistische Politik, für Fidesz) und böse einteilt. In Freund und Feind. Zu Letzteren gehören all jene, die es wagen, den Orbanschen Kurs, vor allem sein nationalistisch angehauchtes Kraftgeprotze und den dazugehörigen Mummenschanz zu kritisieren, die vor allem Bürgerrechte (also Rechte für alle, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit) und eine freie Presse einklagen. Zu ihnen gehören auch die zahlreichen Kulturschaffenden des Landes, die Intellektuellen.

Ihnen, sofern dem anderen politischen Lager zugeordnet, hat Orban den Kampf angesagt. Die wahren Motive von Mittel-Kürzungen etwa in der Theaterszene lassen sich daran ablesen, dass es sich in der Regel um regierungsferne Institutionen handelt. Kritiker sprechen schon lange von einem Kulturkampf, den Orban betreibt. Sein Ziel ist es, das Land nach und nach auf Linie zu bringen, und das in allen Bereichen.

Wiedererstarktes Groß-Ungarn

Im Mittelpunkt der Orbanschen Politik steht die Umdeutung der ungarischen Geschichte. Es geht um den Vertrag von Trianon 1920, infolge dessen Ungarn zwei Drittel seines Territoriums verlor. In seinen Reden beschwört Orban ein wiedererstarktes Großungarn – die Zeit des ungarischen Nazismus samt seiner Judenverfolgung blendet die Orbansche Regierung dagegen seit Jahren konsequent aus. Während linksliberale Kultureinrichtungen Kürzungen hinnehmen müssen, verehrt das konservative Lager stattdessen Autoren wie Albert Wass, einen glühenden Nationalisten mit völkischer Gesinnung. Überall im Land setzt man ihm neue Denkmäler. So wird der Antisemitismus, den Wass in seinen Werken versprühte, neuerlich durchs Land geweht.

Diese kruden Weichenstellungen in Politik und Gesellschaft haben weit reichende Folgen: So konnte als einzige Kraft beim Urnengang am Sonntag die neonazistische Partei Jobbik zulegen, die immerhin auf 20 Prozent der Stimmen kam. Jeder Fünfte Wähler entschied sich somit für eine stramm rechtsextreme Partei, die keine Frage zu den radikalsten in ganz Europa gehört.

Ein Parteivertreter der Jobbik forderte 2012, eine Liste sämtlicher Juden im Parlament zu erstellen, erklärte nach anschließender öffentlicher Kritik dann jedoch, dass er falsch verstanden worden sei. Mit diesen und ähnlichen Provokationen macht die Jobbik kontinuierlich Stimmung gegen Minderheiten, Juden und Linke. Und sie kooperierte mit einer neonazistischen Garde, die vor allem in der Provinz, wo Roma leben, für Angst und Schrecken sorgte. Das gute Abschneiden der Jobbik beweist: Der demokratische Wertekanon scheint in Ungarn durch die Orbansche Politik bereits zu erodieren.

Vorgeführte EU

Und die EU? Wird von Orbans unbedingtem Machtkalkül seit Anbeginn vorgeführt. Fest steht: In diesem desolaten Zustand würde Ungarn derzeit wohl kaum in die EU aufgenommen werden. Die Gängelung von Presse und Justiz, der Umbau der Verfassung, die menschenverachtende Haltung gegenüber den Roma – all das wären Ausschlusskriterien für das Land, das einstmals als Musterschüler unter den EU-Beitritts-Aspiranten Osteuropas galt.

Gegenüber einem Mitglied indes, das die demokratischen Errungenschaften sukzessive auflöst, erweisen sich die bisherigen Maßnahmen aus Brüssel als zahnlos. Mehrere Vertragsverletzungsverfahren leitete Brüssel bislang gegen Budapest ein, immer wieder ging es um Verstöße gegen geltendes EU-Recht, mit denen Orban die Grenzen des Machbaren austestete. Mit ihren Maßnahmen hat die Gemeinschaft es jedoch nicht geschafft, den Machtpolitiker mit seiner nationalistischen Mission einzufangen und wieder auf den europäischen Geist zurück zu besinnen.

Seine bisherige Politik, so kündigte Orban nach der Wahl am Wochenende voller Kampfesgeist an, wolle er fortsetzen. Das lässt nichts Gutes erahnen für die nun kommende Legislatur. Sollte er weiter massiv und wiederholt EU-Recht mit Füßen treten, müsste Brüssel auch zum Schutz des eigenen Werterahmens gegenüber Budapest eine härtere Gangart einlegen. Auch ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags, das zu einem Verlust der Stimmrechte Ungarns in der EU führen könnte, müsste bei neuen Übertretungen endlich ernsthaft in Erwägung gezogen und dann auch durchgezogen werden. Die Europäische Volkspartei muss zudem dringend aufhören, Orban – als Vertreter des konservativen Lagers – fortgesetzt Rückendeckung zu geben. Parteistrategische Überlegungen sind angesichts einer Politik, die darauf angelegt ist, einen rückwärtsgewandten Autoritarismus in einem EU-Land zu implementieren, ein lächerlich schlechtes Motiv.

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