Totalüberwachung: Wie eine träge Herde Kühe

Von Michael Kraske

Politblog debattiersalon | Totalüberwachung: Wie eine träge Herde Kühe - Kanzlerin Angela Merkel CDU TV Bildschirm | Foto © Marcus Müller 2013Als kürzlich ein zweites Prism, das Nato-Prism bekannt wurde, konnte man Regierungssprecher Steffen Seibert dabei zusehen, wie er sich auf der Bundespressekonferenz in seiner blasiert-gestelzten Überheblichkeitspose um Worte bemühte, die wenig erklären und die Version der ahnungslosen Bundesregierung weiter aufrecht erhalten. Seibert legte in seiner immer unerträglicher werdenden Regierungssprecher-Attitüde nahe, dass das zweite Prism mit dem NSA-Prism nichts zu tun habe. Experten wie Erich Schmidt-Eenboom halten es für ausgemachten Blödsinn, dass zwei unterschiedliche Spähprogramme denselben Namen tragen sollen. Demnach stellt sich die Bundesregierung weiter so ahnungslos und dumm, dass sie vom Hof gejagt gehört.

Auch Kanzlerin Angela Merkel blieb auf ihrer Pressekonferenz vor der Sommerpause bei ihrer immer unglaubwürdigeren Verteidigungslinie, einer Mischung aus Ahnungslosigkeit und der Weigerung, konkrete Antworten zu geben. Wenn sie tatsächlich nichts über den großen amerikanischen Lauschangriff wusste, ist sie eine glatte Fehlbesetzung. Wenn sie es hingegen wie alle Regierungen zuvor duldete und die Bevölkerung darüber falsch oder gar nicht informiert, macht sie sich einer unverfrorenen politischen Lüge schuldig. Die Aufklärung über die nun tröpfchenweise durchsickernde Zusammenarbeit etwa von BND und NSA gilt es der wachsweichen Merkel und ihrem glitschigen Regierungssprecher abzupressen. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl gibt es Fragen, die das Zeug zum Mega-Skandal und zur Demokratieerschütterung haben. Indes regt sich weder medial noch gesellschaftlich nennenswerter Protest. Die Situation erinnert an eine politische Apathie, die Herbert Grönemeyer vor Jahren besang: Wie eine träge Herde Kühe schaun wir kurz auf und grasen dann gemütlich weiter.“

Der Historiker Josef Foschepoth hat ausführlich dargelegt, dass sich die Bundesrepublik seit ihrem Bestehen dem allumfassenden Informationsanspruch der amerikanischen Geheimdienste gebeugt hat. Und dass sich daran de facto seit den 60er Jahren nichts geändert habe. Mit dem einen Unterschied, dass sich im digitalen Zeitalter die Informationsmenge vervielfacht hat. Dass ein Szenario allumfassender Überwachung offenbar Realität ist, in der sämtliche Mails, Suchanfragen und Chatprotokolle verdachtslos erhoben, gespeichert und ausgewertet werden. Die Zusammenarbeit der US-Dienste mit dem BND können nicht überraschen, aber die drängenden demokratiegefährdenden Aspekte werden bislang nur zahm und am Rande erörtert: Führen die Geheimdienste des Westens ein Eigenleben jenseits zum Beispiel der deutschen Gesetzgebung? Toleriert die Bundesregierung, dass die Rechte deutscher Bürger verletzt werden? Verletzt die Bundeskanzlerin tatsächlich, wie von Peer Steinbrück und anderen vorgeworfen, den Amtseid, indem sie es unterlässt, Schaden von deutschen Bürgern abzuhalten?

Immer neue Enthüllungen erschüttern Merkels Darstellung, von nichts gewusst zu haben. Der Spiegel behauptet, dass die deutschen Dienste eine NSA-Software namens XKeyscore nutzen. Sollte Kanzleramts-Chef Ronald Pofalla (der Unsichtbare) das tatsächlich nicht gewusst haben, wäre der BND vollends außer Kontrolle geraten. Wusste er davon und informierte etwa die Parlamentarische Kontrollkommisson des Bundestages nicht oder falsch, wäre das ein demokratischer Sündenfall. In beiden Fällen wäre das Verhalten der Regierung Merkel vollkommen inakzeptabel.

Kalkulierte Angst vor dem Terror

Das gefährlichste Argument, mit dem alle Kritiker des Staats-Schnüffelns mundtot gemacht werden sollen, ist der Hinweis auf Terroranschläge, die angeblich durch erschnüffelte Informationen verhindert werden konnten. Ein Zeit-Online-Kolumnist erklärte gar das Recht auf Sicherheit zum Menschenrecht. Das ist unreflektierter Blödsinn. Menschenrechte sind individuelle Freiheitsrechte, das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf körperliche Unversehrtheit. Ein Menschenrecht auf Sicherheit gibt es ebenso wenig wie absolute Sicherheit. Der Staat hat die Aufgabe, größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten, allerdings nur im Rahmen bestehender Gesetze und ohne dass Grundrechte missachtet werden. Mitunter liegt hier auch eine Interessenkollision vor, die im absoluten Ausnahmefall die Sicherheit über individuelle Rechte setzen kann. Doch mit dem Hinweis auf Terrorgefahr dürfen nicht per se Menschen- und Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt werden. Wollte man totale Sicherheit, müsste man Ausgangssperren und Fahrverbote erlassen. Das Internet müsste nicht nur auf Terror-Anschläge, sondern auch auf andere geplante Straftaten systematisch abgesucht werden. Nicht mal die Befürworter der Schnüffel-Praxis fordern aber, verdachtlos nach künftigen Mördern im Internet zu fahnden.

Beschämend ist, wie wenig meinungsbildende Journalisten hierzulande es schert, wenn Bürger wie Straftäter behandelt und ausspioniert werden. Bild-Kommentator Bela Anda schoss den Vogel mit der dreisten Bemerkung ab, der NSA-Prism-Komplex sei zwar ein journalistischer Scoop (weil von Bild berichtet), ansonsten aber nur eine Normalität, weil notwendig, weil ansonsten Terror. Eins geht aber nur. Einen journalistischen Scoop kann man nur mit der Berichterstattung über Skandale landen, nicht mit der Darstellung von nicht aufregungswürdigen Normalitäten. Da müsste sich also nicht nur die Bildzeitung mal entscheiden. Entweder ist die Massenüberwachung ein Skandal. Oder eine Nichtigkeit. Dann könnte sie sich aber auch die Großbuchstaben sparen und wie üblich auflagenfördernd bei irgendwelchen X-Promis einsetzen.

Die ganze Welt unter Generalverdacht

Bei all dem Klein-Klein über Edward Snowden und sein Asyl, Prism 1 und 2 sowie all den treudoofen Versicherungen der Bundesregierung, erst aus der Zeitung von all dem erfahren zu haben, bleibt der große Aufschrei aus. Keine occupy-ähnliche Bewegung ist in Sicht, die unsere wegglibbernde Bundesregierung festzunageln versucht. Darauf, dass sie ihre Bürger zu schützen hat. Darauf, dass Geheimdienste nicht abseits, sondern nur im Rahmen der Gesetze agieren dürfen. Darauf, dass die geschürte Angst vor dem Terror weder den kühlen Verstand noch das demokratische Prinzip ausschalten dürfen.

Der ehemalige, hochrangige NSA-Mitarbeiter William Binney, der als technischer Leiter für 6000 Mitarbeiter verantwortlich war, hat in einem Interview ein starkes Plädoyer gegen die Totalüberwachung formuliert: „Was wir brauchen, sind zielorientierte Programme, die im Einklang mit unserer Verfassung stehen., besonders dem 4. Zusatzartikel, der die Privatsphäre schützt. Nur Terroristen, ihre Kontaktpersonen und deren Umfeld sollten in das Raster fallen, alle anderen müssen als unschuldig gelten. Wir können nicht die ganze Welt, einschließlich unserer eigenen Bevölkerung, unter Generalverdacht stellen.“ Er hat damit einen demokratischen Standard formuliert, der uneingeschränkt auch für Deutschland gelten muss. Wie das technisch oder juristisch einzulösen ist, ist zweitrangig. Entscheidend ist, dass unsere Regierung unsere Grundrechte schützt und nicht heimlich verrät.

Das Thema ist so groß und wurde bislang in seiner Brisanz dermaßen verkannt, dass es entscheidenden Einfluss auf die Bundestagswahl nehmen kann. Merkel hat ein Problem. Selbst wenn sie sich nur genau so verhält wie alle Bundesregierungen vor ihr, ist der Abhörskandal ihr Skandal. Weil sie dafür gewählt worden ist, Schaden vom deutschen Volk abzuhalten. Die SPD kann nicht richtig angreifen, weil ihre Kanzler ebenfalls Erfüllungsgehilfen der Amerikaner waren. Die SPD könnte aber Asche auf ihr Haupt kippen und Konsequenzen für die Zukunft fordern. Der Skandal ist wie gemacht für die Piraten, aber die sind derzeit ein selbstzerfleischter Haufen in der nicht enden wollenden Selbstfindungsphase. Es wird sich zeigen, wer das Thema ehrlich, realistisch und mit konkreten Lösungen in den Wahlkampf bringt. Wer das klug macht, hat gute Chancen, damit zu gewinnen.

So bleibt derzeit nur die Feststellung einer bedrohlichen Asymmetrie: Das monströse Ausmaß von Totalüberwachung wird von einer demokratischen Apathie begleitet. Die hat auch mit fehlender Spürbarkeit zu tun. Jeder würde sich über eine verwanzte Wohnung aufregen. Geraubte Mails tun erst mal nicht weh.

Empört euch!

Und dann hört man auch von Hochgebildeten immer wieder jenes Argument, das einen zum perfekten Untertanen einer Diktatur macht, jedoch eines mündigen Staatsbürgers unwürdig ist: Ich hab ja nichts zu verbergen. Man muss nicht mit Nazis und dem NSU-Komplex argumentieren, um solch naive Staatsgläubigkeit zu erschüttern. Doch die kollektive Mischung aus Fremdeln mit der modernen Technik und gefährlichem Glauben an das Grundgute sämtlicher staatlich legitimierter Aktionen zementiert derzeit einen inakzeptablen Status Quo.

Natürlich werden die Amerikaner nichts ändern. Das haben die Verantwortlichen klar gemacht, auch wenn immer mehr Senatoren aufbegehren. Obama hat wenigstens den Mumm, sich zum Abhören und Ausleuchten zu bekennen. Wenn Merkel und Seibert und Pofalla und Hans-Peter Friedrich mit ihrem Kurs, die eigene Bevölkerung an der Nase herum zu führen durchkommen, ist das learning by doing der schlimmsten Art. Geheimdienste agieren immer auch in einer Grauzone. Aber die Aufgabe der Demokraten ist, diese zu kontrollieren und an die Leine zu legen. Geheimdienste haben zu tun, was wir ihnen auftragen, nicht, was sie für richtig erachten und schon gar nicht all das, was sie können. Deutsche Bundesregierungen haben zwar Bündnisverpflichtungen. Aber die wichtigste Verpflichtung ist die gegenüber dem eigenen Wahlvolk. Das darf man weder belügen noch täuschen, noch darf eine Bundeskanzlerin die Welt der Geheimdienste wie einen Bereich behandeln, der keinen was angeht. Diesmal darf Merkel mit ihrer hartnäckig antrainierten Allzweckwaffe, dem haltungslosen Aussitzen, nicht durchkommen. Empört euch!

Dieser Beitrag wurde unter Alle Artikel, Politik: Deutschland, Politik: Welt, STREIT-BAR abgelegt und mit , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort auf Totalüberwachung: Wie eine träge Herde Kühe

  1. Friedrich sagt:

    Dazu passt auch folgender tolle Artikel:

    Seid keine Merkelbürger!!

    http://www.zeit.de/kultur/2013-07/buerger-freiheit-merkel-nsa-abhoerprogramme?commentstart=265#comments