Tanz der Kaimane

von Marion Kraske

Europa ist bedroht. Terrorwarnungen, Briefbomben, versuchte und im glücklichen Fall vereitelte oder fehlgeschlagene Anschläge auf Institutionen, auf Redaktionen, auf die Bevölkerung. Ein Kontinent in Aufruhr, keine Woche, in der sich die neue Herausforderung nicht irgendwo materialisiert. Fast ist sie zur Normalität aufgestiegen, die Gefahr durch den militanten Islam, selbst die in der deutschen Hauptstadt postierten Sonderkräfte mit Uniform samt Maschinengewehr. Gleichzeitig wachsen nicht nur die Vorbehalte gegen jene, die hinter den perfiden Mordplänen stecken, sondern auch gegen jene, die vermeintlich mit den Tätern unter einer Decke stecken, weil sie – das reicht als Kriterium inzwischen aus – einer als fremdartig empfundenen Religion angehören, der Religion der Täter. So wird aus zu verurteilenden Einzeltätern eine homogene Masse, eine verurteilte Gruppe. Ein Außenfeind. Europa zu Beginn des Jahres 2011 – das ist, nicht nur bedingt durch die Währungskrise, ein verunsichertes, ja fast paranoides Stückchen Erde. Wie das Kaninchen vor der Schlange. In Angst ergeben.

Derweil vollzieht sich im Innern der EU eine Gefährdung, die – warum nur? – kaum Beachtung zu finden scheint. Es ist eine innere Auszehrung mit implosivem Charakter, festzumachen an den unterschiedlichsten Protagonisten in ganz Europa: Da sind Provokateure wie der Niederländer Geert Wilders auf dem Vormarsch, dessen einziger politischer Programmpunkt darin besteht, gegen den Islam zu hetzen und die Muslime in ihrer Gesamtheit zu diffamieren. Ausreichend? Ausreichend! Der Mann mit der gimpelhaften Haarpracht diktiert das Politgeschehen im einstigen liberalen Vorzeigestaat neuerdings entscheidend mit.

In bester xenophober Tradition, die vor zwei Dekaden Jörg Haider im politischen Alltagsgeschäft Österreichs etabliert hat, steht Heinz-Christian Strache; der Blutshalunke trägt rechtsextremes Gedankengut im Alpenstaat von einem Wahlerfolg zum nächsten.

Und die übrigen Parteien? Assistieren auf unrühmliche Weise, indem sie die vorurteilsgeschwängerte Atmosphäre im Land ihrerseits befruchten und sich ihrer ureigensten Aufgabe verweigern: Politik zu machen. In Amt, weniger in Würden, stehen Politiker wie der Franzose Nicolas Sarkozy, der europäische Grundwerte tolldreist mit Füßen tritt und auf Geheiß unliebsame Roma-Familien aus seinem Reich deportieren lässt. Liberté, égalité, fraternité … wie war das noch gleich? Eh wurscht! An der Macht tummeln sich Volksvertreter wie der ewig zähnefletschende Silvio Berlusconi, inzwischen eher einer diabolischen und bis zur Unkenntnis gelifteten Fratze gleich denn einer integren Führungsfigur. „Il caimano“, der Kaiman, wie er sich selbst ironisch nennt, höhlt wie kein anderer in Europa mit einem Mix aus feixender Politclowneske und perpetuierter Gesetzesperforation das demokratische Gemeinwesen Italiens aus. Ein liebestoller Geck, der das staatliche Rechtssystem als ulkige Spielbühne betrachtet, um sich und sein Firmenimperium bestmöglich zu bereichern. In Budapest nutzt derweil der machtversessene Polit-Hasardeur Viktor Orbán seine Zweidrittelmehrheit im Parlament munter dazu, den jungen ungarischen Rechtsstaat abzuwickeln und in eine neue Ära der staatlichen Überwachung zu führen.

Orbans herrschaftsgeile Regierungstruppe bastelt an einer neuen, ihr genehmen Verfassung, entmachtet das oberste Gericht, unterjocht die freie Presse, ein allmächtiger Medienrat wird installiert. Unliebsame Berichte können ab sofort mit absurd hohen Geldstrafen geahndet, Journalisten gar gezwungen werden, ihre Quellen preiszugeben. Der Geist der Diktatur weht durch die Straßen an der Donau.

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