Von Siegesmund von Ilsemann
Nun geifern sie wieder, die Stammtisch-Strategen in den Kneipen, auf Parkbänken und in Redaktionsstuben landauf und landab, sehen US-Präsident Barack Obama mutterseelenallein aufs syrische Schlachtfeld ziehen, weil das untreue Albion der Vormacht die Nibelungentreue verweigert. Leitartikler sorgen sich um den Zusammenhalt der “westlichen Wertegemeinschaft” und übersehen dabei geflissentlich, dass ein Kind dieser Wertegemeinschaft die Uno ist, die ins Leben zu rufen vor allem dem Westen unter dem Eindruck der schrecklichen Gräuel des 2. Weltkriegs gelang.
Ein Zweck dieser Weltorganisation: Von reinen Verteidigungskriegen abgesehen, sollte nur ihr Sicherheitsrat weltweit über Militäreinsätze entscheiden dürfen. Schon das Bedrohen eines anderen Staates mit einem militärischen Angriff ist danach ein Völkerrechtsbruch, mehr noch der Griff zu den Waffen, dem der Sicherheitsrat seine Zustimmung verweigert.
Dass die fünf Vetomächte, wie jetzt Russland, jede Entscheidung des Sicherheitsrats blockieren können, ist kein Konstruktionsfehler. Diese Struktur sollte auch verhindern, dass in der Weltorganisation allzu voreilig über Krieg und Frieden entschieden wird. Damit soll sichergestellt werden, dass Militär wirklich zum allerletzten Mittel der Politik wird.
Allein schon aus diesem Grund ist das Zögern in nahezu allen Staaten außer den USA zu begrüßen, sich in ein weiteres militärisches Abenteuer, diesmal in Syrien, zu stürzen. Besonders skandalös ist, dass Friedensnobelpreisträger Obama und sein britischer Vasall David Cameron sogar erwogen haben, militärisch zuzuschlagen, ehe noch die Ergebnisse der Uno-Inspekteure vorliegen, die in und um Damaskus nach Beweisen für den Einsatz von Chemiewaffen gesucht haben.
Doppelt schwer wiegt der Umstand, dass sich diese beiden lupenreinen Demokraten offenbar einen Dreck scheren um die mehrheitliche Ablehnung, die ihre Bevölkerungen, wie die der meisten anderen Nationen dieser Welt, diesem völkerrechtswidrigen Waffengang schenken. Wenigstens das britische Unterhaus hat diesen nassforschen Plänen nun eine vorläufige Absage erteilt. Und auch in Washington mehren sich endlich warnende Stimmen.
Der vermeintliche “Friedenspräsident”
Dass der einst als mächtigster Herrscher der Welt in Weiße Haus gejubelte “Friedenspräsident” nun in des Kaisers neuen Kleidern dazustehen scheint, ist Folge seiner eigenen verfehlten Politik, nicht die Schuld “treuloser” Verbündeter. Obama selbst hat sich zum Spielball des innersyrischen Konflikts gemacht, als er den Einsatz von Chemiewaffen zur “roten Linie” erklärte, deren Überschreiten ein militärisches Eingreifen der Supermacht gleichsam automatisch auslösen würde.
Er hat Vabanque gespielt mit dieser Drohung und damit den syrischen Bürgerkriegsparteien die Möglichkeit eröffnet, die USA und ihre “Koalition der Willigen”, sollte es die denn geben, jederzeit in die Wirren eines undurchschaubaren mörderischen Bruderkriegs hineinzuziehen, wann immer es einer der beiden Seiten opportun erscheint. Jetzt droht er als Prahlhans entlarvt zu werden – oder als weiterer Kriegspräsident, der seiner Nation den Frieden versprochen hatte.
Dass die Revolutionären Garden von Diktator Baschar al-Assad über Unmengen von Giftwaffen verfügen, war bekannt. Doch spätestens als Regierungstruppen in Scharen zu Assads Gegnern überliefen wuchs die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Freie Syrische Armee oder – schlimmer noch – die Dschihadisten der al-Kaida Zugang zu Kampfstoffen erhalten würden, die überall im Land in militärischen Depots lagern.
Bis heute herrscht Unklarheit, wer denn wirklich hinter dem Grauen erregenden C-Waffen-Einsatz steckt, bei dem kürzlich Hunderte Syrer ums Leben kamen und noch viele mehr verletzt und verstümmelt wurden. Nicht einmal die weltweiten Lauschaktionen der beiden Protagonisten an Potomac und Themse erbrachten bislang glasklare Beweise zur Entlarvung der Täter.
Säbelrasseln trotz unklarer Lage
Jetzt wird spekuliert, dass Assads “grausamer Bruder” (Spiegel Online), dem die Revolutionären Garden gehorchen, hinter dem heimtückischen Angriff steckt. Doch angeblich mitgeschnittene Telefonate sollen auch Hinweise darauf enthalten, es könne sich um eine “aus dem Ruder gelaufene” Militäraktion gehandelt haben, die in dieser Größe gar nicht geplant war. Auch ein unauthorisierter Einsatzbefehl der Militärführung wird nicht ausgeschlossen. Nach den Lügen, mit denen der Kriegsverbrecher George W. Bush 2001 der Welt seinen Irak-Krieg aufgezwungen hat, werden es die USA nun doppelt schwer haben, mit angeblichen Beweisen für Missetaten von wem auch immer zu überzeugen.
Obwohl also die Lage alles andere als klar ist, haben Obama und Cameron lautstark mit ihren Säbeln gerasselt – und so ihre Handlungszwänge noch unnötig verstärkt. Ihr Verhalten, eher machohafte Drohgebärde als vernunftgesteuertes Handeln*, scheint umso törichter, als nicht einmal sie bislang sagen konnten, was ihr Einsatz von Bomben und Raketen eigentlich bewirken soll.
Den Krieg in Syrien wollen (und können) sie damit nicht entscheiden. Assad, der schon jetzt mit allen Mitteln ums Überleben zu kämpfen scheint, wird sich selbst von einem Blutbad, dass Amerikas Cruise Missiles anrichten könnten, kaum davon abhalten lassen, seine Gegner weiter abzuschlachten. Im Gegenteil.
Und welches Signal wollen die Interventionisten den Assad-Gegnern mit einem militärischen Eingreifen senden? Wen wollen sie unterstützen in diesem undurchschaubaren Konglomerat von Dschihadisten, Terroristen, Freiheitskämpfern und abtrünnigen Gefolgsleuten des Diktators? Wenn ein Militäreinsatz von außen irgendein Ziel verfolgt in diesem Gemetzel, dann sollten die Verantwortlichen das ihren Bevölkerungen gefälligst erklären – in der Hoffnung, dass sie so wenigstens öffentliche Unterstützung für ihren Kreuzzug generieren.
Sollte Obama jedoch ohne Rücksicht auf alle Bedenken den Waffengang wagen, dann wird es Zeit, dass er selbst die peinliche Fehlentscheidung des Osloer Nobel-Komitees korrigiert: Er sollte seinen auf nichts als enttäuschten Hoffnungen beruhenden Friedensnobelpreis zurückgeben.
* In der ersten Version des Textes stand eine nicht angemessene Formulierung, die wir zurücknehmen und für die wir uns entschuldigen.
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Die Gegenbeweise sind schon da: http://rt.com/news/chemical-aleppo-findings-russia-417/ Aber wie will man einen notorischen Lügner überzeugen? Die Spur zum US-Geheimdienst ist auch schon da: http://www.voltairenet.org/article180079.html. Zu bewundern die Dreistigkeit dieser Halunken.