Schäbige Sprechblasen-Kultur

Von Marion Kraske

Drei Jahre sind eine lange Zeit, da werden Kinder gezeugt und geboren, da werden Häuser gebaut, Regierungen ab- und neugewählt, Revolutionen auf den Weg gebracht. Für unsere lieben Politiker aber ist diese Zeitspanne ein Witz, ein Nichts und ihr Handeln ist entsprechend ein Witz – sprich nicht existent.

Das mag im ein oder anderen Fall nicht allzu schwer ins Gewicht fallen, im Hinblick auf die Missbrauchsfälle in katholischen Schulen, in der reformpädagogischen Odenwaldschule oder in Kinderheimen, die 2010 bekannt wurden, ist das Versäumnis der politischen Klasse unerträglich. Monatelang ist für die Opfer nichts voran gegangen, der Entschädigungsfonds wurde nicht eingerichtet, Bund und Länder schieben sich wie kleinliche I-Dötze den Schwarzen Peter zu. Das Opferschutzgesetz wurde ebenfalls nicht auf den Weg gebracht. Es versackt seit 20 Monaten im Rechtsausschuss des Bundestages.

Diese Versäumnisse und Verzögerungen sind, mit Verlaub, ein Skandal. Nicht einer dieser künstlich herbei geredeten, medial hochgehypten. Es ist ein echter, tief gehender Skandal. Mit dem neuen Gesetz ließe sich regeln, dass Missbrauchsfälle erst nach 30 Jahren verjähren. Damit ließe sich verhindern, dass die Täter wie bislang, allzu leicht davon kommen. Statt diesen Umstand im Eilverfahren anzugehen, nehmen die lieben Regierungsvertreter in Kauf, dass Missbrauch weiter verjährt, die Vergewaltiger, die Grapscher, die Gewaltanwender können sich ins Fäustchen lachen.

Politik soll gestalten, Lösungen liefern, Misstände abschaffen – oder – im minimalsten Fall – Misstände verhindern. Der Fall der Missbrauchsopfer zeigt, dass Politik oder wollen wir sagen: diese Regierung dazu in drängenden Bereichen nicht in der Lage ist – vielleicht auch nicht willens. Man weiß nicht, was schlimmer wäre. Da sitzen dann wie dieser Tage die Ministerinnen Schröder und Leutheusser-Schnarrenberger vor der Presse und verkünden salbungsvoll das große Nichts. Statt Lösungen zu präsentieren, werden die üblichen Sprechblasen abgesondert, man sei „zuversichtlich“, dass das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird, es gebe „positive Signale“, es bedürfe einer verantwortlichen Politik. Blablabla.

Für die Opfer ist diese Hinhaltetaktik ein Schlag ins Gesicht. Viele können sich die für sie so wichtigen Therapien nicht leisten. Ihr Leiden hält an, Traumata werden nicht aufgearbeitet. Die Politik lässt sie mit ihrem Schicksal allein. Das ist Menschen verachtend. Eine Politik, die so agiert, gehört abgewählt.

Und es ist nicht das einzige Mal, dass die Verantwortlichen sich ihrer Verantwortung entziehen, sich Politik als reiner Selbstzweck präsentiert. Statt der nicht zu leugnenden Armut hierzulande unerbittlich und parteiübergreifend den Kampf anzusagen, werden statt dessen besonders heikle Passagen aus dem entsprechenden Bericht entfernt, wird getunt und frisiert, bis die Außendarstellung der Politik (in dem Falle der FDP) genügt. „Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt.“ Selbst banalste Wahrheiten wie diese werden gekillt, weil sie nicht ins rosarote Selbstbildchen einer Partei passen, die sich lieber in PR-taktischen Spielchen ergeht denn Probleme angeht. Die eigentliche Problemlösung gerät auf diese Weise aus dem Blick, es geht vielmehr um den schönen Schein. Es regiert das Prinzip Potemkin statt Politik.

Verantwortung abschieben wo eigentlich Problemlösung angesagt wäre – es zieht sich wie ein roter Faden durch die Regierungszeit von Angela Merkel. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Adoptionsrecht von homosexuellen Paaren, das diese Woche gefällt wurde, dokumentiert nachdrücklich, wie beschämend sich das Kabinett (vermeintlich das erfolgreichste seit der Wiedervereinigung) vor wesentlichen gesellschaftlichen Weichenstellungen drückt, immer wieder Verantwortung aus dem Weg geht. Wieder einmal mussten die Höchstrichter ran, um gesellschaftliche Ungleichheiten abzubauen – eigentlich Aufgabe der Regierenden. Aus Angst, man könnte die zurückgebliebene Wählerklientel verprellen, die immer noch am Idealbild einer archetypischen Familie (Männlein, Weiblein, Kinderlein) festhält, werden die exsitierenden gesellschaftliche Realitäten ausgeblendet, bis ja bis eben ein anderer entscheidet. Hauptsache man selbst hat sich nicht die Hände schmutzig gemacht. Dann kann man bei Bedarf den Finger gen Karlsruhe richten und sagen: Wir wurden gezwungen. Regierungspolitik wird auf diese Weise zum Zaudertum stilisiert. Ihre eigentliche Aufgabe ad absurdum geführt.

Und das Adoptionsurteil ist keineswegs die Ausnahme – in etlichen Fragen haben die Karlsruher Position bezogen, wo Politik versagte und sich hinter Unvermögen oder Sprechblasen versteckte. Dieses Zurückweichen vor gestalterischer Kraft, dieses Hin- und Herlavieren in wichtigen Fragen ist zum Markenzueichen einer Politikerriege geworden, der es nur noch um Repräsentation zu gehen scheint denn um Gestaltung.

Wie aber soll man solche Politikvertreter noch ernst nehmen, die sich vor ihrer eigentlichen Aufgabe drücken? Die grassierende Politikverdrossenheit im Land hat eben auch damit zu tun: Viele Menschen, selbst in der Mitte der Gesellschaft, haben das Vertrauen in die politische Klasse verloren, die mitunter weit weg scheint von den tatsächlichen Problemen und Lebensrealitäten der Menschen. Die nicht mehr dort anpackt, wo dem Bürger der Schuh drückt.

Wo eigentlich den Worten auch Taten (oder zumindest klare Positionierung) folgen sollten, bleibt es immer öfter bei der leeren Worthülse, der immer gleichen Phrase. Dadurch wird Politik sukzessive seiner Ernsthaftigkeit, seiner Wahrhaftigkeit beraubt. Eine Besorgnis erregende Entwicklung.

Bestes Beispiel: Das kleine Wörtchen „volles Vertrauen“, das die Kanzlerin ihren unter Verdacht stehenden Parteikollegen immer wieder aussprach. Erst dem Oberplagiator zu Guttenberg, dann dem rabattgeifernden Staatsoberhaupt Wulff, schließlich der flüchtigen Doktorandin Schavan. Alle drei besaßen dieses demonstrativ vorgetragene Vertrauen der Kanzlerin, alle drei nahmen wenig später – wohl nicht ganz freiwillig – ihren Hut.
Das Vertrauen in die Politik schwindet wie die Delinquenten selbst. Was übrig bleibt ist heiße Luft.

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