Rote Folklore

Von Michael Kraske

Staaten taumeln und der Glaube an den heilsbringenden Kapitalismus bröselt. Ein Parteitag der Linken mit dem allerersten Grundsatzprogramm im Köcher müsste also zum Triumphzug für die antikapitalistische Partei werden. Von wegen. Die Linke kann derzeit nicht mal sich selbst mitreißen, geschweige denn ein Wahlvolk oder ein ganzes Land. Vom Parteitag in Erfurt bleiben als Schlagworte Bankenverstaatlichung und Drogenfreigabe hängen, beides Alleinstellungsmerkmale, die nicht mal Gregor Gysi zum großen Wurf rhetorisieren kann. Die Partei ist schon froh, wenn sich ihre Mitglieder mal für einen Moment nicht gegenseitig zerfleischen. Derweil organisieren sich die Bürger auf der Straße ihren eigenen Antikapitalismus.
Die Linke ist eine multiple Persönlichkeit. DDR-Nostalgiker ringen mit altlinken Betonköpfen und frustrierten Gewerkschaftern respektive Sozialdemokraten. Kreuzbrave Koalitionäre mit Kommunisten. Im Osten ist das Personal oft pragmatisch, die Wählerklientel stockkonservativ, aber in der Provinz bieten die Linken alternativen Jugendlichen da eine Alternative, wo CDU und SPD nicht existent, Neonazis aber allgegenwärtig sind. Die CDU schmeißt die Linke bisweilen mit der NPD in den gleichen Extremisten-Topf. Da sollen dann vom Punk bis zu Oskar Lafontaine alle Linken in einem Abwasch als Antidemokraten entsorgt werden soll, was nicht nur den Menschenhass der NPD verharmlost, sondern auch amüsiert, betrachtet man die Biographien ostdeutscher CDU-Politiker, die denen alter SED-Genossen zum Verwechseln ähneln. Die rote Socke taugt also nur zur Belustigung schwarzer Bierzelte.
Aber man muss kein politischer Denunziant sein, um die Performance der Linken wechselweise als peinlich bis beschämend zu empfinden. Was treibt das stümpernde Spitzen-Duo Lötzsch und Ernst dazu, dem „lieben Genossen“ Fidel Castro ein Glückwunschschreiben zum 85. Geburtstag zu schicken? Die „historischen Leistungen“ des Diktators zu feiern? Ist es perverse Politliebe? Sehnsucht nach dem Sprach- und Denkduktus der DDR? Oder einfach der Totalverlust jeglicher Werteorientierung? Die Linke ist heillos gefangen in einer Vergangenheit, die sie nicht vergehen lässt. Die Genossen eiern herum, wenn es um Mauerbau und Mauertote geht. Die DDR ist für Spitzenlinke immer noch kein Unrechtsstaat. Aber was denn bitte sonst? Sperrt ein Rechtsstaat die ein, die raus wollen? Die Linken schwurbeln komplizierteste Antworten zu einfachsten Sachverhalten. Die DDR-Nostalgie bedeutet nicht, dass sie den Arbeiter- und Bauernstaat wiederauferstehen lassen wollen. Aber sie sind so sehr damit beschäftigt, den nächsten Rosa-Luxemburg-Gedenkmarsch zu organisieren, so sehr in ihrer roten Folklore verheddert, dass neue Antworten in neuen Zeiten auf der Strecke bleiben.
Das liegt auch am Personal. Gesine Lötzsch fällt vor allem durch Peinlichkeiten auf, wenn sie über die „Wege zum Kommunismus“ fabuliert, als wolle die irgendein Nichtlinker mit ihr entlang spazieren. Klaus Ernst hat wenigstens unfreiwilligen Unterhaltungswert, wenn er sich in den Polit-Talkshows den Kopf rot zetert, als leide er an einer sichtbaren Variante von Bluthochdruck.
Wirklich versagt aber haben die beiden Überväter der Partei: Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Gysi hätte die Partei vom DDR-Mief befreien können. Er hätte sich hinstellen und offensichtliche Wahrheiten aussprechen können: Die DDR war eine Diktatur, an ihrer Grenze wurde gemordet, die Stasi war ein perfider Sauhaufen, der Trabi eine hässliche Dreckschleuder. Die DDR war nicht nur ethisch, sondern auch ästhetisch eine Zumutung. Dazu hätte Gysi eigene Schuld bekennen müssen. Dazu hat er bis heute nicht den Mut. Oskar Lafontaine hat es unterlassen, der Linken die kommunistischen Flausen auszutreiben. Er hätte mit seiner Erfahrung als Realpolitiker die spinnerten Utopisten ausbooten können, anstatt sich einzureihen in den Politkarnevalszug, der rote Rosen zu den Gräbern der großen Kommunisten trägt. Aber dafür waren sein Ego und der Hass auf die SPD zu groß, das Interesse an neuer Politik zu gering. Damals, als er Finanzminister war, bezog er Prügel und wurde mit Häme übergossen, als er internationale Aufsicht über die Finanzmärkte vorantreiben wollte. Heute scheinen ihn seine Ideen von damals selbst nicht mehr zu interessieren.
So bleibt eine mehr als dürftige Bilanz der Linken. Sie ist die konsequenteste Antikriegs-Partei in Deutschland. Das ist honorig, kann aber im moralischen Desaster enden. Ethnische Säuberungen lassen sich mit Pazifismus nicht verhindern. Immerhin ist die Linke die Lobby-Partei der Arbeitslosen. Die wurden von der SPD hart rangenommen. Die Linke kümmert sich um sie. Das ist nicht wenig, denn das arme Drittel driftet immer weiter aus der Gesellschaft. Aber Arbeitslosenpolitik ist zu wenig, um politisch relevant zu sein. Dass jetzt wieder Sarah Wagenknecht, diese Rosa-Luxemburg-Darstellerin, als eloquente Allzweckwaffe durch die Talkshows gereicht wird, sagt alles über den Zustand der Partei. Es ist alles wie immer. Wagenknecht analysiert schonungslos, kenntnisreich und belesen die Krise des Kapitalismus. Die Moderatoren fragen erst gar nicht nach realistischen politischen Alternativen. Die erwartet von Wagenknecht und der Linken derzeit eh keiner.

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