Putin, ein fast moderner Diktator

Von Michael Kraske

Was für ein Schmierentheater die sogenannte „gelenkte Demokratie“ in Russland tatsächlich aufführt, ließ sich am besten studieren, wenn Pappkamerad Dimitrij Medwedew Präsident spielte und seinen vermeintlichen Untergebenen Putin an seinen überdimensionierten Präsidententisch einbestellte. Dann trug Laienschauspieler Putin für die Kameras betont bescheiden bräsige Erkenntnisse aus der Provinz vor und Medwedew tat so, als wenn er Anweisungen gab. Mit diesen gestellten Aufführungen imitierte das diktatorische Duo demokratisches Regierungshandeln. Mit der gleichen Verachtung für ihr Volk, mit der sie ihm transparente Demokratie vorspielten, haben Putin und Medwedew sich erneut an die Macht geputscht. Bei den dreisten Wahlfälschungen bemühten sie sich erst gar nicht darum, sonderlich subtil vorzugehen. Das Internet ist voller Berichte über Wahllokale, die schon vor der Öffnung Stimmzettel für „Einiges Russland“ produziert hatten oder von Krankenhäusern mit 97 Prozent Putin-Wählern. Derweil knüppeln die Polizisten in schlechtester Sowjet-Manier Oppositionelle von der Straße.

Wladimir Putin, der nie aufhörte, der berechnende KGB-Mann zu sein, hat Russland in eine demokratisch übertünchte Diktatur geführt. Nicht, dass die wilden Jahre unter Jelzin mit den vulgärkapitalistischen Glücksrittern Sternstunden der Demokratie gewesen wären. Aber Putin, der nach dem Chaos und der tiefen sozialen Spaltung nach der Jelzin-Ära alle Chancen gehabt hätte, Russland an Europa heran zu führen, hat sich für einen traurigen Sonderweg entschieden. Er hat die ehrliche Aufarbeitung des Stalinismus beendet und bedient sich für seinen kraftstrotzenden Nationalismus bei den Mythen der einstigen Großmacht Sowjetunion. Im Russland Putins grassiert der Hass auf Juden, Schwarze und Schwule, Presse und Fernsehen wurden weitgehend gleichgeschaltet. Journalisten werden ermordet, ohne dass noch jemand Aufklärung erwartet. Das Recht des Stärkeren zieht sich wie ein Gift durch die Gesellschaft. Vor Gerichten herrscht Willkür, aus manchem Urteil spricht der politische Wille der Regierenden.
Dazu schickt Putin seit Jahren befremdliche Bilder als Belege für seinen Narzissmus in die Welt. Mal sitzt er mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd, mal posiert er als Großwildjäger über einem toten Tiger. Mal diktiert er einer modelhaften Mikrofonhalterin und Journalisten-Karikatur Auto fahrend, dass Störenfriede sich nicht wundern müssten, wenn sie den Knüppel zu spüren bekommen. Putin übertrifft in seiner maßlosen Aufschneiderei noch Silvio Berlusconi und Nicolas Sarkozy. Was nicht vielen gelingt. Mit der „Kreml-Jugend“ züchtet sich Putin gleichgeschalteten, kritiklosen Nachwuchs heran, der sich persönliches Vorankommen mit Personenkult und dem schmutzigen Kampf gegen Minderheiten und festgelegte Staatsfeinde erkauft.
Wenn die politischen Beobachter jetzt feststellen, dass das Ausland kaum Einfluss auf das Russland unter Putins Knute habe, ist das richtig. Und ob Russlands Weg anders verlaufen wäre, hätten Weggefährten wie Gerhard Schröder Putin nicht als „lupenreinen Demokraten“ reingewaschen, darf bezweifelt werden. Gleichwohl bleibt es eine Schande, dass ausgerechnet ein sozialdemokratischer Bundeskanzler mit seiner zynischen Floskel den Ton für den schleimigen Umgang mit dem despotischen Aufsteiger vorgab. So wie es eine Schande ist, dass Schröder sich nach seiner Kanzlerschaft in den russischen Energie-Komplex einkaufen ließ. Die Macht der alten KGB-Seilschaften, die Renaissance des Stalinismus, die Macht von Korruption und Willkür, all das haben aufmerksame Beobachter wie der Autor Boris Reitschuster („Putins Demokratur“) seit Jahren beschrieben, ohne dass es im Westen allzu viele interessiert hätte. Nach der Scheinwahl sollte man jetzt wenigstens aufhören, verharmlosende Neologismen zu ersinnen und die moderne russische Spielart der Diktatur als Pseudo-Demokratie benennen.
Vorerst bleibt dem Westen nur die Erkenntnis, dass Francis Fukuyama ganz furchtbar irrte, als er nach dem Zusammenbruch der UdSSR das Ende der Geschichte ausrief, verbunden mit der quasi naturgesetzlichen Evolution hin zu mehr Freiheit und Demokratie. Auf verstörende Weise demonstriert Putin, dass man eine Verfassung nicht außer Kraft setzen und die Demokratie nicht offiziell abschaffen muss, um eine Quasi-Alleinherschaft zu errichten. Die angestrebte Rochade vom Ministerpräsidenten zurück auf den Präsidenten-Posten war ein geschmackloser Taschenspielertrick, aber er hat funktioniert. Der wird doch nicht, haben einige gedacht. Klar wird er. So ist unter dem offiziellen Label der Demokratie weit mehr möglich als man für möglich hält. Das hat lange auch Silvio Berlusconi mit seinen Sondergesetzen vorgemacht, die einzig den Zweck hatten, ihn vor dem Knast zu bewahren. Geschichte ist keine Einbahnstraße. Die Vorstellung, dass die politischen Verhältnisse immer nur besser werden, ist schlicht naiv. Deutschland ist nicht Russland. Auch nicht Italien. Richtig, Russland verfügt über keinerlei demokratische Tradition, ist aufgrund seiner Größe ohnehin kaum regierbar und an mächtige Zentralgewalten gewohnt, egal ob zaristisch oder kommunistisch. Und Italien mit seiner alles ertragenden Wurschtigkeit tickt offenbar so anders, dass es sich gleich multipel den vielvögelnden Paten ans Bein band.
Gleichwohl liegt in den traurigen Episoden unserer europäischen Nachbarn eine Warnung: Die Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie reproduziert sich nicht automatisch, und sie ist nicht immun gegen eiskalte Machtmenschen. Nun ist in Deutschland weder ein Putin noch ein Berlusconi in Sicht, aber der Freiherr zu Guttenberg hat schon mal vorgemacht, wie man mit staatstragender Schaumschlägerei und hochstapelndem Erlöser-Gestus Menschen einfangen und Demokratie aushebeln kann. Neulich wurde ein Bewohner aus Guttenbergs fränkischer Heimatstadt nach der Eigenschaft gefragt, die er am gestrauchelten Freiherrn am meisten schätze. Seine Ehrlichkeit, antwortete der Mann. Wohlgemerkt, das war nach dem Verlust des Doktortitels und dem verlogenen Umgang mit der Schuldfrage.
In Zeiten einer taumelnden Währung und bröselnden Gewissheiten könnte die Sehnsucht nach einem politischen Messias größer werden. Solch plumpe Bauernfängerei ist im Deutschland von heute undenkbar? In zwei Länderparlamenten hat die NPD den Wiedereinzug geschafft. Mit einem Personal, das nicht ansatzweise so gut aussieht und so herzergreifend sprechen kann wie Karl Theodor zu Guttenberg. Wehe, wenn der Hass und die grausam einfachen Lösungen mal so fesch daherkommen wie einst Jörg Haider. Aber das ist düstere Zukunftsmusik, die nicht unbedingt spielen muss.
Gegenwärtig kann auch Wladimir Putin etwas lernen. Dass nämlich seine Version eiskalter Machtpolitik nicht ganz so modern ist wie er selbst dachte. Denn dreister Wahlbetrug nach Kommunistenart bleibt in Zeiten des Internets nicht unentdeckt und lässt den Wahlbetrüger am Ende dumm dastehen. Putin unterschätzte die Macht der Internet-Blogger, die die Wahrheit als Brandbeschleuniger in die Welt schickten. Putins Versuch, die folgenden Proteste und Demonstrationen den USA in die Schuhe zu schieben, könnte einem KPDSU-Handbuch zum Umgang mit Oppositionellen entnommen sein. So durchschaubar, so plump. Die Demonstranten, die nach einem Russland ohne Putin rufen, machen noch keinen russischen Frühling. Zu apathisch liegt die russische Zivilgesellschaft brach, zu schwach ist die Opposition. Aber die Studentin, die vor der Kamera bekennt, sie sei an der Uni dazu gezwungen worden, für Putin zu demonstrieren, verkündet eine wichtige Botschaft. Die lautet: Es ist genug! Wenn in einer Diktatur, die verhaftet und knüppelt und wegsperrt, Wut und Trotz über die Angst siegen, gibt es Hoffnung.

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