Von Paul Sailer-Wlasits
Populismus ist eine Methode und äußere Form politischer Praxis, nicht ihr Inhalt. Populismus verhilft politischem Verbalradikalismus zu seiner größtmöglichen Entfaltung. Sprachlich gelangt dabei jene Strategie zur Anwendung, die sich nicht am Wahrheitsgehalt eines Arguments, sondern an dessen Zweck und Opportunität orientiert. Der rhetorische Effekt dominiert die Debatte zum Preis herabgesetzter Differenziertheit, denn nicht das Wahre, sondern das für wahr Gehaltene reicht zum Gewinnen von Mehrheiten aus.
Aufgrund der zunehmenden inhaltlichen Konvergenz der Großparteien verlagerte sich die ideologische Opposition – etwa im Unterschied zu Südamerika – in Europa tendenziell in politisch marginalisierte Bereiche. Die relationale, gerichtete Opposition dominiert daher die politische Landschaft. Die „Rückseite“ der relationalen Opposition ist oftmals populistisch. Sie richtet sich z. B. gegen nationale Regierungen oder gegen politische Institutionen der EU und unterstellt diesen pauschal mangelhafte Lösungskompetenz.
Der populistische Sprechakt des angeblichen Engagements für ein nicht näher definiertes Volk oder den metaphorischen kleinen Mann, wie „Mehr für Bürger. Weniger Brüssel.“ (Alternative für Deutschland) oder „Österreich denkt um, zu viel EU ist dumm.“ (FPÖ), setzt häufig auf einen Überraschungseffekt des Kommunikationscodes, selbst wenn dieser zwanghaft gereimt wirkt.
Die Mesalliance von Populismus und Verbalradikalismus entfaltet ihre schädliche Wirkung, sobald etwa Stereotype offener Ausländerfeindlichkeit mit dem Schutz liberaler, demokratischer Grundwerte begründet werden, wie seitens der niederländischen Partei für die Freiheit: „Wollt Ihr mehr oder weniger Marokkaner in den Niederlanden?“ (Zit. Geert Wilders).
Verbalradikalismus versus politischer Diskurs
Verbalradikalismus zersetzt den politischen Diskurs, wenn mit Argumenten der „Zigeuner-Kriminalität“ (Jobbik, Ungarn) gewissenlos Anti-Roma-Agitation versprachlicht wird; oder Asylpolitik mit längst überwunden gelaubten Termini als „ungebremste Überfremdung“ (NPD, Deutschland) bezeichnet wird und damit Assoziationen zum Schrecken vergangener Deportationen weckt.
Zusätzlich zu den diskursiven Tathandlungen der Etablierung von Stereotypen, Feindbildern und Umcodierungen sprachlicher Bedeutung, bildet die Reduktion komplexer Problemstellungen auf verkürzte Lösungen den methodischen Kern populistischer Sprachregelung. Einprägsame Formeln suggerieren „Volksnähe“; gegen Eliten und Institutionen des sog. Establishments werden „Oben-unten-Dichotomien“ generiert.
Ängste verstärken, statt lindern
Argumente werden nicht mehr auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft, sondern nur noch auf ihre Mehrheitsfähigkeit. Populismus verstärkt mittels Verbalradikalismus die Ängste der Bevölkerung, anstatt diese zu lindern. Medial gestützt durch den Boulevard.
Ein Blick in die Geschichte Österreichs zeigt, dass die Christlichsoziale Partei der sog. Ersten Republik ihre Verbalradikalismen erfolgreich in eine mehrheitsfähige bürgerliche Sprache transformieren konnte, ebenso wie die Sozialdemokraten sprachlich den sozialen Aufstieg der Arbeiterschaft mitzugehen vermochten. Die rechtsgerichteten Parteien Österreichs haben hingegen ihre deutschnationale Sprache der Nachkriegszeit in zentralismusfeindliches Anti-EU-Vokabular und fremdenfeindliche Sprachpraxis transformiert.
Sprachliche Ausschließungen: Deutschland, Österreich, Frankreich zuerst
Der Verbalradikalismus des sanften Wortes wird neuerdings in Frankreich kultiviert: Im Unterschied zu offenem rechtspopulistischem Anti-Islamismus eines Jean-Marie Le Pen spricht seine Tochter Marine vom Front National scheinbar nur davon, dass sie keinerlei religiöse Forderungen für die Speisekarten an französischen Schulen akzeptieren wolle. Das integrativ klingende „Sagen Sie »Ja« zu Frankreich“, praktiziert ebenso sprachliche Ausschließung, wie die Perfidie positiver Konnotationen von „Mut zu Deutschland“ bis „Österreich zuerst“ dies tut.
Vergleichbare Positionen werden andernorts in Europa durch regionale (Lega Nord, Italien) oder ethnische Nationalismen (Vlaams Belang, Belgien) besetzt. Ähnliches gilt für die Dänische Volkspartei, die Schwedendemokraten und die Partei der Wahren Finnen. Es bleibt daher nur zu hoffen, dass die europäischen WählerInnen nicht erneut zu Sprachopfern populistischer Rhetorik auf einem inhaltslosen Markt des diskursiven „als“ und des „als ob“ werden.
Paul Sailer-Wlasits ist Sprachphilosoph und Politikwissenschaftler in Wien. Sein zuletzt veröffentlichtes Buch „Verbalradikalismus. Kritische Geistesgeschichte eines soziopolitisch-sprachphilosophischen Phänomens“, erscheint dieser Tage auch als E-Book.