Piraten: Klarmachen zum Kentern?

Von Martin Häusler

Das Interview, um das die FAZ Sebastian Nerz und Christopher Lauer gebeten hatte, war ein Elfmeter ohne Tormann. Es sollte um den skandalösen Bundestrojaner gehen, den der Chaos Computer Club hatte auffliegen lassen. Natürlich sagten Nerz, Bundesvorsitzender der Piratenpartei, und Lauer, einer der 15 in den Berliner Senat gewählten Piraten-Abgeordneten, das Gespräch zu. Immerhin fragte ja die FAZ nach deren Meinung und nicht irgendein Blättchen. Und gehört nicht die Netzpolitik zur Kernkompetenz der Piraten? Also los!
Dann sitzen sie doch tatsächlich da, der Nerz und der Lauer, und haben dem FAZ-Redakteur nichts anzubieten. Als es um die elementare Frage geht, wie denn der Einsatz einer staatlichen Spähsoftware sinnvoll zu begrenzen sein könnte, ob man denn von den Piraten einen Vorschlag erwarten könne, sagt Nerz: „Noch sitzen wir nicht im Bundestag. Wir werden natürlich sehen, welche Möglichkeiten und welche Erfordernisse es dafür gibt. Dafür müsste das BKA erst einmal begründen, ob es diese Methoden tatsächlich braucht. Wir werden versuchen, für den nächsten Bundesparteitag Methoden vorzuschlagen, wie man Kontrollinstanzen für das BKA aufbauen könnte. Ob wir das bis dahin schaffen, wird sich zeigen.“
Gibt’s das? Mehr hat der Chef der deutschen Piraten nicht anzubieten? Fünf Jahre nach Gründung der Partei? Elfmeter verschossen! Das Beispiel zeigt das größte Problem der so plötzlich zum Erfolg gekommenen Politfreibeuter: Ihnen scheint es nicht nur an personeller Quantität für innerparteiliches Engagement, sondern auch an inhaltlicher Qualität zu fehlen. Anstatt sich längst Gedanken gemacht zu haben machen, um daraus ein hand- und krisenfestes Programm zu formen, steckt man immer noch im diffusen Meinungsnebel des Wir-wissen-es-noch-nicht fest. Aber die Anderen, die Etablierten, heißt es dann gerne, wüssten es doch auch nicht besser. Das klingt eine zeitlang sympathisch und authen¬tisch, trägt aber nichts zum dringend notwendigen politischen Fortschritt bei. Die Piratenpartei wurde vom eigenen Erfolg überrumpelt.

Das aktuell auszumachende Missverhältnis von Bedürfnis (der Wähler) und Bedürfnisbefriedigung (der Piraten) ist bitter und wird sicher nicht allzu lange toleriert. Denn die Piraten haben vor allen Dingen von einem Phänomen profitiert: der katastrophalen Schieflage der Demokratie, einer Demokratie, die von machthungrigen Egozentrikern und profithungrigen Lobbyisten ausgehöhlt und verraten wurde. Die lebensbedrohliche Erkrankung unseres politischen Systems in einer vom Kommerz beherrschten Welt ist nicht mehr zu übersehen. Weltweit gelten die Piraten nun als Rächer jener lupenreinen Demokratie. Damit sind sie Projektionsfläche der großen bürgerlichen Sehnsucht, in völliger Chancengleichheit endlich wieder teilhaben zu können an politischen Prozessen und damit an der Konstruktion des eigenen Alltags. Folglich geht ihr Aufschwung einher mit einem gewaltigen Stück Verantwortung.
Natürlich sind die Piraten noch nicht in der Lage, direkt ins bundespolitische Geschehen einzugreifen, aber sie hätten durch ihre Prominenz endlich den Vorteil, hörbar in den nichts bringenden Krieg der immergleichen Meinungen visionär und konstruktiv einzugreifen. Die Suche nach glaubwürdigen Visionären und kompetenten Querdenkern in den Frontreihen der Piraten gestaltet sich zumindest momentan als sehr mühsam. Man stößt auf eine Menge Idealisten mit hehren Zielen, ja, aber wo sind die, die der Garant für faktische Veränderung sein sollen? Wo sind die Charismatiker, die mit Herz und Verstand die verunsicherten und frustrierten politischen Flüchtlinge bei der Hand nehmen und gleichzeitig die Baupläne für ein neues System präsentieren?
Der Erfolg der Piraten folgt einer gesellschaftlichen Logik und kann zurecht als hoffnungs¬voll beschrieben werden, weil er endlich von einem aktiven Bürgertum und einem neuen Bewusstsein zeugt, das sich gerade Bahn bricht. Aber die Piraten müssen sich beeilen – um zumindest im kleinen Einmaleins wie einem FAZ-Interview zu punkten.

Martin Häusler: “Die Piraten-Partei – Freiheit, die wir meinen”, Scorpio Verlag 2011

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