Occupy mit Schüttelfrost

Von Siegesmund von Ilsemann

Viel los war nicht am letzten Wochenende bei den Occupisten im Berliner Regierungsviertel.
Bestenfalls ein paar Dutzend Protestierer scharten sich Samstagmittag auf dem Pariser Platz um eine Handvoll Megafon-bewaffneter Campact-Aktivisten. Das Häuflein der Aufrechten ging fast unter im Strom der Touristen, der zwischen dem Luxushotel Adlon und der Straße des 17. Juni durchs Brandenburger Tor wogte. Und auf dem Platz der Republik zu Füßen des Reichstags scheint das Grüppchen der Bankenkritiker, die jeden Tag um 17 Uhr ihren Unmut über Steuergelder für Finanzzocker bekunden, auch eher zu schrumpfen als zu wachsen.
Hilft es der Mobilisierung wirklich, wenn ein paar lied-lustige junge Menschen unter Trommelschlag und mit gregorianischem Ödgesang auf den Lippen als Marsch der Asamblea OCCUPY Berlin durch die Berliner Innenstadt pilgern?

Was läuft schief beim Aufstand gegen den Schuldendienst der Merkel-Mannschaft für die Spekulanten in Banken und Börsen? Schwächelt der Wutbürger angesichts der verwirrend vielen Volten, welche die Akteure in Berlin und Brüssel, von G-8 bis G-20, des Internationalen Währungsfonds und der Finanzministerien beinahe täglich schlagen?
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Piraten im Windelalter

Von Michael Kraske

Journalisten lieben die Piraten. Da können sie nach Herzenslust die plattesten Metaphern zusammenreimen: Sie lassen die neue Partei kentern und entern, Raubzüge in etablierten Revieren freibeutern und was nicht sonst noch alles. Hinter der verbalen Seefahrerromantik bleibt bislang völlig offen, was davon zu halten ist, dass eine Partei mit bruchstückhaften Programmfragmenten in Umfragen bundesweit mehr als fünf Prozent Sympathisanten findet.
Die Begeisterung für die „frische Attitüde“ ist zunächst mal Ausdruck für den Überdruss an einem Politikertyp, den die Daniel Bahrs und Christian Lindners verkörpern. Die sind jung, eloquent, rhetorisch geschult, allwissend, aber eben auch aalglatt und zum Verwechseln ähnlich. Es ist kein Zufall, dass der Höhenflug der Piraten einher geht mit dem Sturzflug der FDP. Das zur Schau gestellte Selbstbewusstsein der liberalen Politprofis steht in keinem Verhältnis zu dem, wofür sie stehen. Die Vokabeln „Eigenverantwortung“ und „Leistungsträger stärken“ münden seit Jahren in der immer gleichen Forderung nach Steuersenkungen für Reiche. Der Liberalismus in Deutschland leidet auch daran, dass seine wortgewaltig vorgetragene Einfalt von den Wählern als Mogelpackung durchschaut wird. …[ mehr ]

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Merkels Meinungs-Mus: Kai Diekmann übernehmen Sie!

Von Marion Kraske

Der Spiegel, es ist schon eine Weile her, brachte es trefflich auf den Punkt. In einem Porträt nannte der Autor den großen Franz Beckenbauer despektierlich „Firlefranz“. Eine schöne Beschreibung für das inhaltliche Herumgeeier des einstmals so strammen Fußballhelden. Hin und Her, Ja und Nein, Rede und Gegenrede, der Franzl – der personifizierte Widerspruch.
Angela Merkel ist so etwas wie der weibliche Firlefranz der Politik. Seit sie in der Republik was zu sagen hat, bekommt das Wort Biegsamkeit eine ganz neue Bedeutung.
Dabei fing doch alles so gut an: Damals, zu Hochzeiten der CDU-Steueraffäre, stand sie tapfer auf, als viele ihrer Parteimitglieder noch in Ehrfurcht vor dem Alten erstarrten, und erklärte der Bimbes-Politik der Christenpartei samt ihrem Ober-Paten Kohl den Kampf. Klare Worte, klare Trennung. Diese Mischung bescherte Merkel den Aufstieg nach ganz oben. …[ mehr ]

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Amputiert

Von Marion Kraske für DATUM

Es gab, Zeiten, da trug der Liberalismus in Deutschland ein strahlendes, ein markantes Gesicht, da gab es die Scheels, die Hirschs, die Hamm-Brüchers. Kluge Köpfe, geistreich, visionär. Da hatte der Liberalismus einen eigenständigen, prägenden Sound, gar eine eigene Farbe: warm und gelb, so gelb wie der gestrickte Pullunder des ehemaligen deutschen Außenministers.
Genau wie Genschers modisches „must have“ waren die Liberalen jahrzehntelang eine feste Größe im bundesdeutschen Parteiensystem, die unangefochtene „Dritte Kraft“, ein ausgleichendes, ein bindendes und überbrückendes Element, das Zünglein an der Waage zwischen Konservativen und Sozialdemokraten. Eine Brücke, die der Gesellschaft mit liberaler Grundüberzeugung einen festigenden, einen stabilisierenden Kitt verlieh, weniger freilich durch die Größe der Partei als durch ihre stete Regierungsbeteiligung. In meiner Generation erinnert man sich: Die FDP war eigentlich immer dabei. Sie war lange ein Anker, auch ihr eigener.
Das Schiff ist weitergefahren, der Anker indes hoffnungslos stecken geblieben. Irgendwo im tiefen Morast der Bedeutungslosigkeit. Die jüngsten Wahlen in Deutschland – zuletzt in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin belegen: Die einstmals stolze FDP, Trägerin des Liberalismus, ist zur trübseligen Splitterpartei verkommen. 2,7 und 1,8 Prozent – eine politische Trümmertruppe unterhalb der Wahrnehmungsgrenze. Und auch bundesweit liegen die Liberalen am Boden, ausgeknockt, angezählt. Eine innere Schwäche hat sie erfasst, eine desolate Verfasstheit ist ihr eigen.
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Die vernagelte Republik: Mas Integracion!

Von Marion Kraske

50 Jahre ist es nun her, dass Deutschland mit der Türkei ein Abkommen über die Anwerbung türkischer Arbeitskräfte abgeschlossen hat. Das war im Oktober 1961. Und sie kamen in Scharen, diese für viele so hinterweltlerisch anmutenden „Kanacken“. „Gastarbeiter“ wurden sie genannt, die irgendwann, nach getaner Arbeit, möglichst unauffällig und geräuschlos das Land wieder verlassen sollten.
Das war die Idee.
Doch sie blieben, und mit ihnen zogen auch andere Fremde ins Land die Griechen, die Italiener („Itaker“) und ihre arbeitswilligen Brüder aus Jugoslawien, die „Jugos“. Auch meine Mutter ist so eine „Jugo“: Geboren im Armenhaus des damaligen südslawischen Vielvölkerreiches, in Bosnien-Herzegowina, kam sie Mitte der sechziger Jahre nach Deutschland. Wie viele andere wollte sie für die vielköpfige Familie daheim etwas Geld verdienen, um dann, nach einiger Zeit, zurückkehren, zu ihren Geschwistern, zu ihren Eltern, ins Land der würzigen Cevapcici und des selbstgebrannten Sliwowitz. …[ mehr ]

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Rote Folklore

Von Michael Kraske

Staaten taumeln und der Glaube an den heilsbringenden Kapitalismus bröselt. Ein Parteitag der Linken mit dem allerersten Grundsatzprogramm im Köcher müsste also zum Triumphzug für die antikapitalistische Partei werden. Von wegen. Die Linke kann derzeit nicht mal sich selbst mitreißen, geschweige denn ein Wahlvolk oder ein ganzes Land. Vom Parteitag in Erfurt bleiben als Schlagworte Bankenverstaatlichung und Drogenfreigabe hängen, beides Alleinstellungsmerkmale, die nicht mal Gregor Gysi zum großen Wurf rhetorisieren kann. Die Partei ist schon froh, wenn sich ihre Mitglieder mal für einen Moment nicht gegenseitig zerfleischen. Derweil organisieren sich die Bürger auf der Straße ihren eigenen Antikapitalismus.
Die Linke ist eine multiple Persönlichkeit. DDR-Nostalgiker ringen mit altlinken Betonköpfen und frustrierten Gewerkschaftern respektive Sozialdemokraten. Kreuzbrave Koalitionäre mit Kommunisten. Im Osten ist das Personal oft pragmatisch, die Wählerklientel stockkonservativ, aber in der Provinz bieten die Linken alternativen Jugendlichen da eine Alternative, wo CDU und SPD nicht existent, Neonazis aber allgegenwärtig sind. Die CDU schmeißt die Linke bisweilen mit der NPD in den gleichen Extremisten-Topf. Da sollen dann vom Punk bis zu Oskar Lafontaine alle Linken in einem Abwasch als Antidemokraten entsorgt werden soll, was nicht nur den Menschenhass der NPD verharmlost, sondern auch amüsiert, betrachtet man die Biographien ostdeutscher CDU-Politiker, die denen alter SED-Genossen zum Verwechseln ähneln. Die rote Socke taugt also nur zur Belustigung schwarzer Bierzelte. …[ mehr ]

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Schande in Schwarzgelb

Von Michael Kraske

Dortmund und Deutschland haben ein anschauliches Beispiel der Fankultur von Dynamo Dresden erhalten. Vor dem Pokalspiel beim BVB versuchte offenbar ein Dresdner Hooligan-Mob das Dortmunder Stadion zu stürmen. Während des Spiels zündelten Anhänger mit Pyrotechnik. Großaufnahmen zeigten vermummte Chaoten im Gästeblock: den Kapuzenpulli überm Kopf, die schützende Sonnenbrille vor den Augen. Bilder wie bei der letzten NPD-Demo. Nach dem Spiel dann die ritualisierten Beschwichtigungen. Schade, dass einige wenige Chaoten dem Sport und den treuen Fans so schaden. Bla bla.

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Sarrazin, Wowi und der Crashtest-Dummie

Von Marion Kraske

Chuzpe ist, wenn man es trotzdem macht, wider besseren Wissens. Wohl auch wider die Vernunft. Chuzpe ist mehr als nur Mut – der ist heldenhaft, glorreich, ein heller Strahl im dunklen Tunnel des Zauderns und Zögerns. Chuzpe hingegen ist der kleine, rotzige Bruder des Mutes, ihm wohnt ein Drang zur Dreistigkeit inne, zur Frechheit und Forschheit. Ein gehöriges Maß an Unverschämtheit gehört sicherlich auch dazu.
Thilo Sarrazin hat die Chuzpe, nicht locker zu lassen. Er hat sich wieder einmal zu Wort gemeldet, diesmal in der Berliner Morgenpost und auf Welt Online und, noch schlimmer: Er spricht über geistiges Niveau.
Sarrazin kommentiert das neue Buch, das der Regierende Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit, unter dem Titel „Mut zur Integration. Für ein neues Miteinander“ veröffentlicht hat und damit schon im Titel eine Gegenthese zum Sarrazinschen Deutschland-schafft-sich-ab-Tremolo liefert. Mit Neugier habe er das Werk zur Hand genommen, schreibt der, und dass man Wowereit, mit dem er mehrere Jahre als Finanzsenator in Berlin aufs Engste zusammengearbeitet habe, immerhin für die Erkenntnis loben müsse, dass Bildung und Arbeit bei der Herstellung von Chancengleichheit und Teilhabe eine wichtige Rolle spielten. Das war es denn aber auch schon mit den Nettigkeiten. Es folgt, was Sarrazin am besten kann: Schrille Töne, persönliche Beleidigungen. Lautstarkes Brustgetrommel. …[ mehr ]

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Piraten: Klarmachen zum Kentern?

Von Martin Häusler

Das Interview, um das die FAZ Sebastian Nerz und Christopher Lauer gebeten hatte, war ein Elfmeter ohne Tormann. Es sollte um den skandalösen Bundestrojaner gehen, den der Chaos Computer Club hatte auffliegen lassen. Natürlich sagten Nerz, Bundesvorsitzender der Piratenpartei, und Lauer, einer der 15 in den Berliner Senat gewählten Piraten-Abgeordneten, das Gespräch zu. Immerhin fragte ja die FAZ nach deren Meinung und nicht irgendein Blättchen. Und gehört nicht die Netzpolitik zur Kernkompetenz der Piraten? Also los!
Dann sitzen sie doch tatsächlich da, der Nerz und der Lauer, und haben dem FAZ-Redakteur nichts anzubieten. Als es um die elementare Frage geht, wie denn der Einsatz einer staatlichen Spähsoftware sinnvoll zu begrenzen sein könnte, ob man denn von den Piraten einen Vorschlag erwarten könne, sagt Nerz: „Noch sitzen wir nicht im Bundestag. Wir werden natürlich sehen, welche Möglichkeiten und welche Erfordernisse es dafür gibt. Dafür müsste das BKA erst einmal begründen, ob es diese Methoden tatsächlich braucht. Wir werden versuchen, für den nächsten Bundesparteitag Methoden vorzuschlagen, wie man Kontrollinstanzen für das BKA aufbauen könnte. Ob wir das bis dahin schaffen, wird sich zeigen.“ …[ mehr ]

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Neue Serie: Die Mal-so-mal-so-Kanzlerin als Cowgirl

Von Marcus Müller

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist ja vermutlich aufgrund ihrer Herkunft mit dem Phänomen der Dialektik einigermaßen vertraut. Nur so ist jedenfalls zu verstehen, dass sie einerseits fröhlich in das konservative Medienmantra einstimmt, das Internet dürfe kein rechtsfreier Raum sein. Hat man von ihr auch schon gehört, Bochum dürfe keinesfalls rechtsfrei bleiben, als dort das letzte Mal ein Fahrrad gestohlen wurde? So wie Merkel sich aber offensichtlich weiter nach Bochum traut, ist sie jetzt schon wieder in diesem Internet unterwegs. Seit Mittwoch hat die deutsche Regierung einen eigenen Kanal auf YouTube. Ob nun allein schon diese Traute und der Ausritt Merkels in dieses angeblich doch so gefährliche Gelände ihr etwas cowgirlhaft Mutiges verleiht, ob allein schon die digitale Anwesenheit einer leibhaftigen Bundeskanzlerin dem Internet mehr oder weniger Rechtsfreiheit beschert – das mögen mal die Kabarettisten wegkalauern. …[ mehr ]

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